laut.de-Kritik

Johan hat die Geschwindigkeit wieder für sich entdeckt.

Review von

Fünf Jahre hat sich Johan Edlund Zeit gelassen, um endlich den Nachfolger zum starken "Prey"-Album abzuliefern. Langweilig wird ihm in der Zeit nicht gewesen sein, gab es doch noch die DVD "The Church Of Tiamat" fertig zu stellen und ein zweites Lucyfire-Album aufzunehmen. Doch nun liegt "Amanethes" endlich vor und birgt wieder mal einige Überraschungen.

Die Scheibe eröffnet mit dem erstaunlich hart rockenden "The Temple Of The Crescent Moon", dessen Leads auch Greg Mackintosh aus dem Ärmel gefallen sein könnten. Man fühlt sich mehr als einmal an Paradise Lost zu "Draconian Times"-Zeiten erinnert, jedoch war die Auswahl in Sachen Backgroundsängerinnen früher schon mal besser. Das Geheule im Refrain nervt nämlich nur.

Doch wer sich jetzt schon über die Härte gewundert hat, wird sie bei "Equinox Of The Gods" Augen und Ohren reiben. Johan hat die Geschwindigkeit wieder für sich entdeckt und lässt zumindest die Drums im Death Metal-Tempo abzischen. So ganz zündet die Nummer aber dennoch nicht, dazu ist der Gesang zu gepresst. Krass ist auch das Kinderlied am Schluss.

Gesanglich hat sich Johan einige Neuerungen einfallen lassen und setzt ihn sehr variabel ein. Bei getragenen Sachen wie dem episch-symphonischen "Until The Hellhounds Sleep Again", dem von Riff her schwer an Black Sabbath angelehnten "Lucienne" oder dem verträumten "Summertime Is Gone" klingt recht deutlich ein gewisser Peter Steele durch.

An die Ära "Wildhoney" und "A Deeper Kind Of Slumber" knüpfen hingegen "Will They Come" oder "Circles" an. Beide kommen den gewohnten Tiamat-Stücken der letzten Scheiben am nächsten, doch Johan setzt seinen Gesang inzwischen ein wenig anders ein.

Während "Summertime Is Gone", wie bereits erwähnt, recht deutlich an Type O Negative erinnert, schwingen bei nahtlos anschließenden "Katarraktis Apo Aima" durch die Orchestrierung leichte Aerosmith-Anleihen mit. Nach so viel Eingängigkeit kommt mit "Raining Dead Angels" der sperrigste Song des Albums, der wohl vor allem in der Gothic-Szene seine Fans finden wird.

Der Name Nick Cave will nicht aus dem Hinterkopf weichen, wenn man sich "Misantropolis" anhört. Dabei handelt es sich um einen wundervollen, melancholischen Tiamat-Song mit schönen Melodien der nahtlos in das rein akustische "Amanitis" übergeht.

Was folgt lässt sich nur als typischer Hippiesong beschreiben und zwar dermaßen, dass man beinahe zum Vöglen ins Freie will (bei 8,5 Grad, wohlgemerkt). "Melia" ist eine Pink Floyd-Hommage in Reinkultur, was spätestens das Solo schon allein vom Sound her klar macht.

Wer sich bei dem Song eher mit Grausen abwendet, sollte lieber direkt zu "Via Dolorosa" weiter springen, kommt Freund härterer Klänge hier doch besser auf seine Kosten. Das gilt mit Abstrichen auch für das zähflüssige "Amanes", das abschließend durch die Boxen quillt, durch den gewöhnungsbedürftigen, weinerlichen Gesang aber nicht unbedingt zu den Highlights des Albums zählt.

"Amanethes" ist somit zwar eine sehr abwechslungsreiche Scheibe, doch mit den Vorgängern lässt sich das Teil nur bedingt vergleichen.

Trackliste

  1. 1. The Temple Of The Crescent Moon
  2. 2. Equinox Of The Gods
  3. 3. Until The Hellhounds Sleep Again
  4. 4. Will They Come?
  5. 5. Lucienne
  6. 6. Summertime Is Gone
  7. 7. Katarraktis Apo Aima
  8. 8. Raining Dead Angels
  9. 9. Misantropolis
  10. 10. Amanitis
  11. 11. Meliae
  12. 12. Via Dolorosa
  13. 13. Circles
  14. 14. Amanes

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5 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    ... der liebe Johan!

    Ich kann mich noch gut daran erinnern, als er seinerzeit bei einem Gig in Stuttgart aus Angst um seine Monitore die wilde Menge mit den Worten "headbanging is more evil than stage diving!" bändigte - oder zumindest versuchte ...

    Und plötzlich war Evil-Johan ziemlich unevil.
    Aber das ist jetzt auch schon bald 15 Jahre (verdammte Sch**ße!) her.

    Das nur nebenbei als kleine Anekdote :)

  • Vor 16 Jahren

    Mit tiamat ist es ja immer ein wenig wie mit einer pralinenschachtel. Man ahnt schon im vorhinein, dass dort neben den favoriten auch sachen angeboten werden, die man eigentlich eher nicht unbedingt konsumieren möchte. Das hängt natürlich immer mit der sehr hohen stilistischen bandbreite von edlunds songs zusammen.
    Tiamat ist ja mittlerweile eine art perfekte tribute band voller hommagen an große goth-, metal- und psychedelicvorbilder mit eigenem songwriting.
    Da sind die vergleiche herrn edeles schon sehr treffend. Der facettenreichtum ist gleichwohl deutlich ausgeprägter.
    "Equinox Of The Gods" beispielsweise klingt vor allem in bridge und refrain so täuschend echt nach the nephilims zoon (bzw fields o.t. nephilims mourning sun) und vokalistisch derart ähnlich einem carl mccoy, dass man fast vergisst, hier herrn edlund zu hören.

    „Temple Of The Crescent Moon“ lässt in der strophe interessanterweise ein fast konterkarierendes fröhliches synthie-geklimper parallel laufen, welches in sound und spielweise an ein xylophon (!) erinnert. Derartiges habe ich noch in keinem gothsong erlebt.

    Die zusammengehörigen „summertime is gone/ Katarraktis Apo Aima“ erschaffen im eruptiven refrain die weiterführung von pink floyds „nile song“ mit modernen mitteln, inklusive angedeutetem „another brick“ gitarrensolo zum ende des ersten songteils.

    „Raining Dead Angels“ erinnert (mich) stimmlich an einen geschwindigkeitshalbierten und gezähmten dimmu borgir-song zu „stormblast“-zeiten incl. der charakteristischen simplen keyboardtupfer.

    „via dolorosa“ könnte ebsogut ein moonspell-track in der „irreligious“ phase sein.

    „meliae“ wiederum klingt als wenn der alan parsons project-sänger eric wolfson eine david gilmour-komposition einsingen würde.

    Der kreative höhepunkt ist für mich der letzte song „amanes“, welcher gesanglich endlich mal authentisch nach johan edlund klingt und qualitativ an vergangene psychedelic-glanztaten wie zb teonacatl (deeper kind of slumber) anknüpft. Klar…es gibt auch hier ein schönes fremdes puzzleteil, die tangerine dream/klaus schulze-keyboards, aber alles in allem wird hier ein typisches edlund = edlund stück serviert.

    Ebenso lässt sich schon das vorherige amanitis einsortieren, welches ab der 2. hälfte eigentlich schwermütigen scandinavian folk bietet. Sehr ästhetisch.

    Referenzen an die anfangszeiten tiamats wird man hier vergeblich suchen. Ein hammer a la „sleeping beauty“ ist nirgends in sicht. Edlund wird diesen auch schönen teil seiner karriere wohl weiterhin schlafen lassen.

    Edlund hat mit diesem patchwork-album mal wieder unter beweis gestellt, dass er wohl der legitime nachlaßverwalter für ehemals großartige genrepioniere ist, dessen songwriting immer noch gut genug ist, dem copycat-vorwurf zu trotzen.

    Dennoch wird er immer nur dann so richtig weltklasse, wenn er sich mal aller zitierwut befreit und einfach dem schwedischen psychopilz-songwriter in seinem kopf das ruder lässt.

  • Vor 16 Jahren

    Tiamat ist schon ne tolle Band (ok, ist mehr so ne einmanngeschichte), und auch die neue Scheibe finde ich gelungen. Wieder mal ein bißchen härter, nicht ganz so pinkfloydig.
    Was mich irritiert ist ihre Vergangenheit. Die wenigsten wissen, daß sie früher mal unter dem Namen "Treblinka" aufgetreten sind (so hieß ein polnisches Massenvernichtungslager). Beweggründe dafür sind mir allerdings nicht bekannt.

  • Vor 16 Jahren

    hatte keinerlei verdächtigen rechtsradikalen hintergrund. war reine provokation.
    bzgl derartiger tendenzen ist der weltoffene johan zum glück unverdächtig.

  • Vor 16 Jahren

    tja. von allem etwas, aber nichts davon so wirklich richtig gut. meiner meinung nach das schwächste tiamat album seit langem.