laut.de-Kritik
Mit kleinen Schritten zur Hip Hop-Björk.
Review von Yannik GölzRap für Vollblut-Theatre Kids war überfällig und Tierra Whack hat mit ihrem unglaublichen fünfzehnminütigen Debüt "Whack World" alle Sehnsüchte erfüllt. Tierra Whack klingt, als lebe sie in einem Knetfiguren-Trickfilm und mache Songs wie Schneekugeln. Das war extremer auf "Whack World", wo jeder Song sich in einer Minute aufschrauben und lösen musste. Aber auch die Umkehrung auf "World Wide Whack" folgt einem ähnlichen Prinzip. Sie ist einer von wenigen Artists, die wirklich behaupten darf, eine eigene Welt zu entwerfen. Und langsam steigt zwischen all dem Bühnenbild und der Skybox auch ihr wahrer Charakter empor.
Wer ist diese Tierra Whack und wo liegt diese "Whack World", von dem das "World Wide Whack" ausgeht? Grob zusammengefasst ist sie eine ehemalige Battlerapperin aus Philly, die nun in langsamen Schritten den Weg zur Hip Hop-Björk zu gehen scheint. Aus ihrem eigenen Mund gibt es zwei weitere Spezifikationen: Einmal hat sie "Mood Swings", außerdem rühmt sie sich dafür, dass keiner ihrer Songs gleich klinge.
Das wäre bei den meisten Artists geflunkert, kommt hier aber tatsächlich hin. Tierra Whack hat ein verrücktes Gefühl für Soundbilder. Immer wieder taucht dieser seltsame Plinkplonk-Sound auf, der entweder wie altes japanisches Ambient oder eine Spieluhr klingt, kontrastiert gegen R'n'B oder psychedelische Soul-Vocals. Aber schnell arbeitet sie hier neue Impulse ein: "Ms Behave" und "X" sind Timbo-eske Percussion-Banger, gerade abstrakt genug, um nicht als retro durchzugehen. Aber das Tempo und die Energie tut ihrem schneidenden Flow gut, sie klingt energetisch und catchy wie selten zuvor.
Ein großer Pluspunkt dieses Albums zeigt sich darin, dass es tatsächlich schwer zu fassen und noch schwerer zusammenzufassen ist. Aber es produziert wie "Whack World" aus dem Stand eine Menge markante musikalische Momente irgendwo in diesen Genre-Zwischenräumen, die sie da bevölkert. "Imaginary Friends" passte auf ein modernes Tyler The Creator-Album, während sie über die Loyalität ihrer Fantasiefreunde storytellt. "Moovies" geht straight up Disco, so kommerziell hat sie vermutlich nie geklungen. Aber ihre verspielten Reimschemata und ihr unterschwelliger Humor sorgen für ein sehr anderes Bild als beim handelsüblichen Sommersong-Pop-Rap-Sellout.
Mit "Difficult" folgt der schönste Song auf diesem Album, gekoppelt an eine All-Timer-Hook, die so instant classic klingt, dass man sich fragt, ob sie nicht wirklich lange schon existiert haben müsste. "Living is difficult" singt sie, es klingt trübsinnig, aber nicht auf die plumpe Art. Es klingt geschafft, wie Sorgen, die sie auch nach einem harten Arbeitstages nicht loslassen.
Vielleicht ist ihre extreme Wandelbarkeit zu einem gewissen Grat auch eine Schwäche. Viele Songs auf "World Wide Whack" entwerfen zwar genauso kraftvoll einschlägige musikalische Ideen, aber öfter bleibt das Gefühl, dass viele der Ideen hier auch sehr gut in "Whack World" und das Einminutenformat gepasst hätten. Der Moment, in dem Tierra ihre Schneekugelwelt sprengt, ist bis dahin nicht gegeben – man fragt sich ein bisschen, ob sie für immer diese rappende Kurzgeschichtensammlung sein wird. Wäre man böse, könnte man ihre Theatralik als einen immerwährenden Kartenstapel Gimmicks bezeichnen.
Die letzten beiden Songs heben diese Sorgen auf. "Two Night" und die kühne Single "27 Club" treiben die Stimmungsschwankungen in ein destruktives Finale: Verschwindenssehnsucht, Selbstzerstörung, Suizidgedanken. Und die werden nicht nur subtil angedeutet: "Suicide, suicide", heult sie auf den letzten Momenten dieses Albums. Es ist ein spukender Moment, theatralisch, ja, aber nicht so, als würde er eine Rolle spielen. Vielmehr fängt diese Offenheit die All-over-the-place-ness von "World Wide Whack" irgendwie sogar wieder ein. Dieser Rahmen, der ja im Intro quasi wörtlich so angekündigt wurde, rekontextualisiert ihre Kostüme und Masken als Hyperaktivität gegen die Langweile. Eine Art Alleskönner-Melancholie.
Auf dem Albumcover dieser Platte inszeniert sie sich als eine Joker-Karte - und das Bild wird Tierra Whack gerecht. Ihr schwieriges zweites Album nach dem genialen Debüt fühlt sich wie eine schwere Geburt an, aber landet einen Treffer. Sie wirkt weiterhin wie ein Rap-Act, dem ein künftiger Klassiker zuzutrauen ist. "World Wide Whack" ist auf die beste Art unberechenbar. Aber die Weirdness ist kein Selbstzweck. Dieses musikalische Kuriositätenkabinett, diese Schneekugelwelt, es ist wohl der einzige Ort, an dem Tierra Whack wirklich offenbar werden kann.
2 Kommentare
Whack World war so einzigartig, einfach spannend und von mir, Frau und Tochter rauf und runter gehört. Diese werd ich mir ebenfalls haarklein vornehmen, ist klar.
Dieser Kommentar wurde vor 8 Monaten durch den Autor entfernt.