laut.de-Kritik
Philosophie, Alltag, Plastikmüll in Morningshow-tauglichen Häppchen.
Review von Philipp KauseTim Bendzko geht einen großen Schritt. Denn er wird sich im "April" "wie Phönix aus der Asche neu entfalten". In der Asche glimmt noch eine "Weißglut / und meine Freunde sagen, du tust nicht mehr gut". Mit dieser Nachzeichnung einer toxischen Beziehung in "Du Du Du" trübt sich der optimistische Aufbruch sofort. Nihilismus übernimmt, zwischen der Asche lodert es noch bei "10.000 Grad / unserem Untergang entgegen / ob wir verglühen, ist egal", aber nur "Dieses Mal". Obwohl die Zerstörung drohend naht, hat der arme Anti-Held "den Urlaub drei Mal verschoben / weil deine Arbeit nie warten kann" - immerhin eine andere Begründung als wegen Corona. "Drei Tage vor unserem Flug (...) da hast du dich entliebt", und so hockt der Geknechtete "Alleine In Paris".
Dort verstrickt er sich in einem inneren Taumel zwischen devoter Reaktion ("fall noch vor dir auf die Knie") und Wut ("Das verzeih ich dir nie") im toxischen Gefühle-Chaos. Vibestechnisch der klare Peak der Platte! Nur das kryptische Psychosen-Stück "Geisterjagd" schwingt sich nochmal zu so viel Groove auf: So spooky der Text, so positiv flowt die Musik.
Mehrere der simplen Pop-Nummern mit simplem Drum-Programming ersaufen jedoch in Selbstmitleid, wenn im Nachhinein Liebe eingeklagt wird. "War da nicht noch mehr? War da nicht irgendwas mit Liebe? / War da nicht irgendwas, das wirklich zählt? War da nicht irgendwas mit Herz " ("Irgendwas Mit Liebe"). In der Mitte der Platte wird das Private politisch.
Tim besinnt sich der Wurzeln seiner Karriere, setzt nichts weniger als die Weltrettung fort und führt uns an einen ungeahnten Wendepunkt, der sich bereits zehn Minuten vorher noch unscheinbar auf dem Album abzeichnete, als die Temperatur 10.000 Grad erklomm. Aristoteles, der alte Grieche, würde in seinem Dramenschema von Exposition und Peripetie sprechen
Der Lockenkopf aus Berlin-Köpenick lebt diese klassische Form, analysiert für uns alle zum Zwecke unserer Katharsis das eigentliche Problem, das hinter all dem Liebeskummer lauert: Auf dem Planeten gibt es zu viel Plastikmüll und den Klimawandel, vielleicht habt ihr davon gehört. Wenn nicht, ist es nicht schlimm, der Peter erklärt es euch ganz fundiert. "Wer Rettet Die Welt Für Mich", fragt ein Kinderchor, um zu untermalen, dass der Tim schon mal die Greta im Fernsehen gesehen hat. Die wiederum ist zu jung um zu wissen, dass der Tim sich sogar schon mit Anfang 20 gegen SUV mit Verbrennungsmotoren einsetzte. Bei Auktionen versteigerte er Gebrauchtwagen, eventuell auch an Freitagen, engagierte sich für die Generation seiner Kinder in der Weltrettung, Extinction Rebellion, Letzte Generation, der Tim war dabei, wenn er nicht gar der Papa dieser Bewegung ist. Bitte ein Copyright für ihn.
"Uns steht das Wasser bis zum Hals / ist dir das nicht aufgefallen?, kieksen die Kids wie Tick, Trick und Track vom Fähnlein Fieselschweif zu einem maximal eingängigen Keyboard-Groove. Im "Weltretter Mix" des Tracks geht's ohne Kinderstimmen im Plastikmüll-Song. Im Galopp reitenden Stampf-Beats-Schlager "Das Leben Wieder Lieben" bekundet er: "Auch wenn ich mich verändert hab / die Welt zu retten ist immer noch der Plan."
Pathetische Folktronic-Refrains nach Art von Mumford & Sons kreischen knapp doppelt so laut wie die Strophen, dann verpasst keiner die Hook. Das Wort "einfach" ist maximal oft in den Songtext einzubauen und Auto-Tuning zu unterziehen. Das lässt den Interpreten sympathisch und als vertrauenswürdigen Schwiegersohn erscheinen, alles andere außer einfach wäre "Zu Viel". Unschärfen im Versmaß gleichen sich durch Langziehen und Überbetonen von "ie" in Wörtern wie "Liiiiiiebe" und "wiiiiiieder" aus oder durch vernuschelte Wort-Endungen ("verschwomm anstelle von "verschwommen") zwecks zwanghafter Reime.
"Ein gebrochenes Herz, das gleichmäßig schlägt", aber aus Liebeskummer weh tut, sorgt in "Phantomschmerz" dann für eine schöne, intime Ballade und somit den dritten guten Song, sogar mit einem richtigen Klavier. "Kein Problem" mimt einen zweiten Teesy, Cro oder Majan und bounzt auf geschliffenem R'n'B mit dezenten Sprechgesangs-Ansätzen durchaus weit weg von der Schlager-Ecke. Der Text über die monotone Party eines narzisstischen Selbstdarstellers, auf der geschmacklose Einheitsbrei-Musik läuft, kann sich hören lassen: Bendzko steigt tief in die Gesellschaftskritik ein und distanziert sich vom Oberflächen-Gedöns des Gastgebers.
Glaubwürdiger wäre die ganze Scheibe, wenn nicht in dem einen Song nach Paris geflogen würde (sogar ohne sich dort wohl zu fühlen), in einem anderen Stück bedauert würde, dass die Erde am Darben sei und Waren in unseren Shopping-Malls ein schlechtes Gewissen hervorriefen. Zwischen den Ebenen 'private Zweisamkeit' und 'öffentlicher Protest' finden so viele Hin- und Her-Hüpfer statt, dass nur eines haften bleibt: Jammern hilft. Das wussten viele Hörer*innen aber wohl schon von Tawil.
Aus der Melodieseligkeit des Albums und den klaren, stringenten, knapp erzählten Geschichten hätte sich mehr machen lassen, wenn Bendzko in manchen Reim und manchen Beat mehr Zeit und Qualitätsbewusstsein investiert hätte. "April" hat unterhaltsame Ansätze. Dem Publikum, das Musik noch aus anderen Quellen als "Fernsehgarten", "ZDF Morgenmagazin", "The Voice Kids" und "Sing Meinen Song" entdeckt, wird Bendzkos Album gleichwohl ein Alien aus einer "Parallelwelt" bleiben.
1 Kommentar mit 2 Antworten
In einem Paralleluniversum hatten die meisten Menschen frühzeitig jede Menge Kontakt zu Musik und zu sich selbst, so daß die Tim Bendzkos keinen Erfolg haben.
Viel wichtiger ist doch die Frage: warum wird das Album bereits im März veröffentlicht?
Meinst du, in besagtem Paralleluniversum gibt es auch eine Kommentarspalte, in der sich die Menschen darüber austauschen, wieviel Kontakt sie zu sich selbst haben und wie im Reinen sie mit sich sind?