laut.de-Kritik

Neue Wege in Elektronica.

Review von

Wie ein Mosaik wirkt das Warp-Artistrooster. Fast jeder neue Act aus der Londoner IDM- und Avant-Indie-Kreativfabrik gibt sich schwer verlinkt mit bestehenden Repräsentanten, allen gemein die Philosophie der neuen Wege.

Born Ruffians und Grizzly Bear stehen ein für die Clever-Indierock-Sparte, Pivot und Battles machen die Postrock-Stellvertreter, während Aphex Twin und Autechre den Braindance-Archetypus erschuffen. Damit ist der Warp-Kosmos noch lange nicht beschrieben, aber relativ gut verortet, wo eigentlich Tim Exile wütet.

Wie so viele Elektropioniere lebt der Brite mittlerweile in Berlin. Dorthin zog der Nerd, als ihn die Sequencer-Spezis von Native Instruments um die Entwicklung eines Tools für die Standard-Software Reaktor 5 baten, die Live-Electronics ohne Kompromisse ermöglicht. Im Verzicht auf vorgefertigte Samples und Presets orientiert sich der Brighton-Import also in Bühnenverwandtschaft zu einem weiteren Labelmate, namentlich Jamie Lidell.

Exile steht schwer auf Improvisation, manipuliert dafür schonmal live Barack Obamas Inauguration-Speech oder ein Klassik-Ensemble. Und so wie man von ihm on stage niemals zweimal die gleiche Darbietung erwarten kann, klingt auch sein drittes Album "Listening Tree": nach Anarchie mit Köpfchen.

Das Hörerlebnis wandelt sich mit jeder einzelnen Rotation, wenn ohne Vorwarnung zwischen Breakcore-Geballer, Gabba und Ornamental-Elektronik geswitcht wird. Alles geht: spaciges Nintendo-Nerd-Geknarze und Drum'n'Bass ("Family Galaxy"), Leila-Reminiszenz ("Pay Tomorrow"), Squarepusher-Illbient ("When Every Day's A Number") und massig Tempiwechsel sowieso.

Seine Stimme benutzt Exile im dennoch erstaunlich sinnigen Gestrüpp zum einen als weiteres, schwer verfremdetes Rhythmusinstrument. Stakkati-Sprech à la "i.have.been.known.to.change.my.tune." suhlen sich frivol im Goth-Appeal Marke Dave Gahan. Ständig stößt dieser merkwürdige Gesang mit den Beats zusammen, formt stimmige Symbiosen und lässt sie gleich wieder zerfallen.

Linietreue ist Exiles Sache nicht - Progressivität auf eklektischer Basis dagegen schon. Wie der Albumtitel schon ankündigt: großer Baum, starke Wurzeln, vitale neue Triebe. Frühling in Berlin eben.

Trackliste

  1. 1. Don't Think We're One
  2. 2. Family Galaxy
  3. 3. Fortress
  4. 4. There's Nothing Left Of Me But Her And This
  5. 5. Pay Tomorrow
  6. 6. Bad Dust
  7. 7. Carouselle
  8. 8. When Every Day's A Number
  9. 9. Listening Tree
  10. 10. I Saw The Weak Hand Fall

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LAUT.DE-PORTRÄT Tim Exile

"Ich weiß wirklich nicht, wie ich einen Track erschaffe. Es ist eine Symbiose aus mir, meinem Körper und meinen Computern. I do something to them, they …

1 Kommentar

  • Vor 15 Jahren

    Eigentlich entspricht das Album ja genau meinem Geschmack und ich würde es gerne öfter anhören. Die Soundqualität lässt jedoch stark zu wüschen übrig. Der Klang ist derart kühl und matschig und kratzt ständig an dem Lautstärkemaximum, dass meine Schmerzgrenze einfach überschritten wird. Leider ist die Vinyl-Version nicht wirklich besser.

    Normalerweise mache ich sowas nicht, aber ein Blick auf die Wellenform bestätigt es: Dynamik und sowas wie Beats sind quasi nicht vorhanden. Ich weiß nicht, ob das möglich ist, aber es wäre extrem hilfreich, zu den Rezensionen immer noch den Dynamikbereich in Dezibel anzugeben (lässt sich zum Beispiel mit dem "TT Dynamic Range Offline Meter" (http://www.pleasurizemusic.com/en/download) messen).

    Bei Tim Exiles Album geht der Dynamikbereich dauerhaft auf 3 bis 5 Dezibel runter, was schon extrem schlecht und eher auf dem Niveau eines Hitradioprogramms ist. Ich kann es also leider überhaupt nicht weiterempfehlen, auch wenn ich es sehr gerne würde.

    Kueken