laut.de-Kritik

Seelenstriptease und Asozialität: Timi wagt beides.

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Auch wenn sich viele Menschen mit Drogen und Bettgeschichten ablenken, der Ernst des Lebens holt irgendwann jeden ein. Timi Hendrix musste das nach der Veröffentlichung seines Solodebüts "2 Zimmer, Küche, Bong" im Jahre 2015 auf schmerzhafte Art lernen. Sein bester Freund entschied sich für den Freitod, was Timi zum Umdenken brachte. Er kloppte ein fertiges Album in die Tonne und ging die zweite Soloplatte komplett neu an. "Tim Weitkamp Das Musical" sei nun Timis persönlichstes Werk, so der warnende Pressetext.

Jede einzelne Zeile entstand ohne Stift und Papier im Kopf. Die Musik erinnert trotzdem mehr an Eminem als an den ebenfalls auf Stift und Papier verzichtenden Jay-Z. 18 Jahre nach Erscheinen der "Marshall Mathers LP" scheint Slim Shadys Meisterwerk immer noch Inspirationsquelle Nummer Eins für Tim Shady zu sein. Beide greifen in die unterste Schublade und machen sich unter Drogeneinfluss über die Promiwelt lustig. Auf "Tim Weitkamp" zieht Timi auch auf persönlicher Ebene mit dem Detroiter gleich, indem er seine Vergangenheit sowie Gefühlswelt zum Thema macht.

"Dämonen" rechnet mit der inneren Zerrissenheit des Rappers ab. Er weiß, dass mit ihm etwas nicht stimmt, den Entzug verschiebt er trotzdem aufs nächste Leben. Ratsam wäre dieser jedoch früher, dann klappt's vielleicht auch mit dem Herzensmenschen, den er in "Utopie" handzahm besingt. Nicht alles auf "Tim Weitkamp" lebt von Härte und Zynismus. "Es ist acht Uhr morgens / ich schau high durch meine Brille / im Gegensatz zum Biolehrer hab ich keine zwei Promille", analysiert Timi auf "Schule", was sich damals im Klassenzimmer abspielte, um kurz darauf die Begabungsfächer als Sündenböcke heranzuziehen: "Nein, ich glaub an kein System, in dem es Noten gibt für Kunst". In jedem Witz steckt ein bisschen Wahrheit. Wenn sich Hendrix komplett ins Persönliche vorwagt, verlieren die Lieder dagegen ihren Reiz. "Tausend Zweite Chancen" schrammt mit der unangenehm auf Hit getrimmten Hook von Sänger Sapient nur haarscharf am Kitsch vorbei.

Nicht der einzige uninspirierte Moment. "Wenn ich könnte" ist ein Aufzählsong, der genau das einlöst, was der Titel verspricht. Timi wirkt nicht allzu clever, wenn er erst die kackbraune AfD im Klo herunterspült und anschließend mit der Forderung nach Gulags für Kinderschänder eine ähnlich populistische Meinung vertritt. Ziel verfehlt. Namen von Autotune-Rappern, denen er das Werkzeug am liebsten verbieten würde, nennt er nicht. Stattdessen dürfen sich Künstler wie Jan Delay und Blumio gefühlt zehn Jahre zu spät über persönliche Schmähungen freuen. Entweder hängt Timi Hendrix gedanklich in "Feuer über Deutschland"-Zeiten fest oder er traut sich nur gegen vermeintlich harmlose Gegner auszuteilen.

Trailerpark-Anhänger, die nach der ersten Videoauskopplung die Angst verspürten, Seelenstriptease statt Asozialität vorgesetzt zu bekommen, können beruhigt zur Bong greifen. Timi Hendrix klingt noch immer wie Timi Hendrix. Auch wenn es neuerdings emotionale Momente gibt, der größte Verlust, den Fans auf "Tim Weitkamp Das Musical" erdulden müssen, ist der deutlich eingeschränkte Einsatz der "Timmäää"-Rufe.

Trackliste

  1. 1. Das kunterbunte Haus
  2. 2. Mein Musical läuft
  3. 3. 7483
  4. 4. Der Kaiser von China 2ta Teil
  5. 5. We Are Family
  6. 6. Gerade frisch gewickelt
  7. 7. Schule
  8. 8. Tijuana
  9. 9. Ich kill wen ich will
  10. 10. 1 Millionen Messer
  11. 11. Autist
  12. 12. Psycho
  13. 13. Dämonen
  14. 14. Exitknopf
  15. 15. Utopie
  16. 16. Wenn ich könnte
  17. 17. Tausend Zweite Chancen
  18. 18. Ende

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