laut.de-Kritik
Jeder dieser Songs will in "Miami Vice" gespielt werden.
Review von Sven KabelitzDie Geschichte von Tina Turner ist überlebensgroß, wichtig und voller Stärke. Sie ist mittlerweile schon größer als Tina Turner selbst. Egal, wo das Rampenlicht auf die Sängerin fällt, ihre Historie ist bereits da.
Was dabei zunehmend in Vergessenheit gerät: Tina Turner hat in den 1980ern ziemlich glattbügelte Pop-Rock-Musik für den Radioalltag produziert. Musik, in der man den angeblichen Rhythm And Blues- und Soul-Anteil mit der Lupe suchen musste. Ein Problem, das sie sich im Yuppie-Jahrzehnt mit vielen anderen Stars der 1970er teilte.
Damals pubertierte ich munter durch die Gegend. Dabei war zunehmende Abgrenzung eine meiner Hauptaufgaben. Menschen wurden zuerst nach ihrer Plattensammlung bewertet. Befanden sich in dieser etwa Chris de Burgh, Sade oder Fleetwood Mac, war an eine Freundschaft nicht zu denken. Das absolute Ausschlusskriterium und No-Go war jedoch "Tina Live In Europe". Das Ding ging gar nicht. Man, war ich dumm.
Über dreißig Jahre später hat längst die Altersmilde eingesetzt. Irgendwann fiel mir auf, dass man mit Menschen, die nicht meinen Geschmack teilen oder sogar gar nichts mit Musik am Hut haben, auch eine schöne Zeit haben kann. Letztlich schadete ich mir mit meiner jugendlichen Borniertheit nur mir selber. Ja, dank der Nostalgie begann ich irgendwann, bei Tina Turners 1980er-Releases leicht mitzuwippen. Ich gab "Private Dancer (30th Anniversary Edition)" sogar eine ordentliche Wertung. Mein Teenie-Ich begann mich zuerst zu hassen und letztendlich ganz aufzugeben (was auf Gegenseitigkeit beruht). Doch dann kam "Foreign Affair (Deluxe Edition)".
Als "Foreign Affair" 1989 erschien, lag das Pop-Jahrzehnt in den letzten Atemzügen. Die Produktion und das Klangbild der Ära zeigten bereits deutliche Abnutzungserscheinungen. Mit dem eine Woche später erscheinendem "Let Love Rule" begann Lenny Kravitz (ja, der war mal gut), mit einem organischem Sound bereits kräftig an diesem zu kratzen. Ein Sound, der die Richtung für die 1990er vorgab. Tina Turner vertraute jedoch noch auf die Klischees aus Synthbass und Saxofonsolo. Sie veröffentlichte ein Album, auf dem jeder Song danach klang, als wollte er in "Miami Vice" gespielt werden. Blöderweise wurde die Serie in den Vereinigten Staaten gerade abgesetzt, was erklären könnte, warum der Longplayer dort den Erwartungen hinterherhinkte.
Auch die TV-Landschaft war damals noch eine andere. Serienstaffeln brauchten gerne zwei bis drei Jahre, bis sie bei uns aufschlugen und in einer wirren Reihenfolge ausgestrahlt wurden. Bei uns fuhren Sonny und Rico noch munter mit ihrem Ferrari durch die Nacht, und so schaffte es Tina in Deutschland auf die Pole. Vielleicht lag es aber auch an der Dauerrotation, in der MTV "The Best" ausstrahlte. An den Radiosendern, die für Turner immer einen Platz zwischen Joe Cocker, Eros Ramazzotti, Mike & The Mechanics und Chris Rea bereit hielten. Egal, wie ihre Single auch hieß. Egal, ob es nun der ausgenudelte Kuschel-Rock von "I Don't Wanna Lose You" oder der mit Percussions angetriebene Standard-Pop "Look Me In The Heart" war. Sichere Füllmasse zwischen der Werbung, den Nachrichten und den Verkehrsmeldungen, die niemanden vom Roboten hochschrecken ließ.
Über all dem steht der Stampf-Rock "The Best", dem man 1989 nur schwer entgehen konnte. Der es dank des dumpfen Textes auf die Siegesfeier jeder zweiten Sportfeierlichkeit schaffte. Ich wiegte mich in Sicherheit, hatte diesem Lied zuletzt durchaus auch etwas abgewinnen können, doch nachdem die Deluxe Edition fünf Versionen des Stücks enthält und ich die blöde Angewohnheit habe, die mir vorgelegten Alben entgegen einer weit verbreiteten Meinung über Musikkritiker:innen tatsächlich mehrfach zu hören, klopfte die alte Aversion wieder an, und ich ließ sie herein. Die lange vertriebenen geglaubten Pferde-Alpträume und mein Dreyfus'sches Augenzwinkern setzten wieder ein. Das eine der vielen Versionen "Extended Muscle Mix" heißt, sagt eigentlich alles über den Song aus, den Bonnie Tyler ein Jahr zuvor noch erfolglos als Single veröffentlichte.
Vieles hier klingt gar nicht nach Musik, es klingt nach Sport. "Steamy Windows" verfügt über die subtile Erotik einer muffigen Muskelbude. "Steamy windows / Coming from the body heat", singt Turner, während der Schlagzeuger J.T. Lewis wirkt, als würde er ein Steak nach dem anderen auf den Grill schmeißen. So erotisch wie Tim Taylors Neandertalergrunzen: "How, How, How!" Nur ein einfaches "Komm ficken" wäre wohl weniger subtil. Zum Glück lässt der "12'' House Dub Mix" sehr wenig vom eigentlichen Lied übrig und ist dem Original daher jederzeit vorzuziehen.
Ein verschwitzter Beginn, nach dem schon die Mittelklasse von "You Know Who (Is Doing You Know What)" auch dank Tony Joe Whites Gitarrenspiel entspannt. Wäre da nicht dieser allgegenwärtige Synth-Bass, der auf "Foreign Affair" die meisten Songs in den Abgrund reißt. Die porentief reine Produktion raubt selbst dem Highlight "Undercover Agent For The Blues" das Leben. Ein Blues-Track, der zurück zu Turners Wurzeln führt. Ein Blues-Track, der eine geerdete Aufnahme verdient gehabt hätte. Doch benannter Bass, flächendeckende Keyboards und lächerlich luftlose Bläser stehen der Entfaltung im Weg. Es ist ihr hoch anzurechnen, wie sie diesen Song trotz aller Widrigkeiten ausfüllt und so doch noch rettet. Die auf der dritten CD enthaltene Live-Version bietet bereits so viel mehr.
Zu einem Bruce & Bongo-Beat versucht Turner, sich mit "Falling Like Rain" in die Clubs der 1980er zu schmuggeln. Doch anstatt freudigen Aufbruch zu vermitteln, wirkt der Song wie ein verkaterter Flamingo mit Dreitagebart, Kaffee in der Hand und Kippe im Schnabel. Für das Titelstück "Foreign Affair" knödelt mal wieder Mark Knopfler vorbei. Leider prügelt das Arrangement den an sich melancholisch schönen Track zu Boden. Selbst Remix-Legende Shep Pettibone weiß in seinem "Foreign Affair (Shep Pettibone Heartbeat Mix)" nicht so recht, was er mit dem Stück anfangen soll. Wohl eine seiner schlechtesten Arbeiten.
Es gibt großartige Longplayer und Aufnahmen von Tina Turner. Allen voran – wenn man für einen Moment die Hintergrundgeschichte ausblenden kann - "Workin' Together". "Foreign Affair" gehört nicht dazu. Mit ihrem siebten Album ging sie mit dem bewährten "Private Dancer"-Konzept in die dritte Runde. Dabei hatte dieses auf "Break Every Rule" bereits ordentlich Federn gelassen. "Foreign Affair" war ein Schwanengesang der 1980er, der im Rückblick noch einmal verdeutlicht, warum sich die Musik in den 1990er in ihrer bekannten Form entwickelte. Warum Bands wie Nirvana kamen, warum sie überhaupt möglich waren und warum sie alles wegspülten. Die alten Legenden waren müde geworden, verließen sich auf eine erprobte Vorgehensweise und langweilten vor sich hin.
Die Bonus-Tracks auf "Foreign Affair (Deluxe Edition)" bestehen zum größten Teil aus Live-Versionen, wenigen B-Seiten und den zu jener Zeit üblichen 12''-Remixen. Nur von "The Best" gibt es eine Demo-Version zu entdecken, die jedoch nicht allzu sehr von der späteren Aufnahme abweicht. In Zeiten von Ultra HD Blu-ray gibt es zudem die Musikvideos und das Konzert auf DVD. Man muss wohl froh sein, dass nicht zwei Videokassetten dabei liegen. Insgesamt bekommen aber Leute, die das Album mögen, ziemlich viel zu einem fairen Preis.
6 Kommentare mit 25 Antworten
Wahnsinns Stimme und tolle Sängerin, kann aber meine Faves von ihr an einer Hand abzählen.
Aber Sven, Alde: "Befanden sich in dieser etwa Chris de Burgh, Sade oder Fleetwood Mac, war an eine Freundschaft nicht zu denken"
Was zum Geier macht Sade in dieser Aufzählung? Würdest Du das heute immernoch so aufzählen?
Und ja, Lenny Kravitz war m.E. bis inklusive "Circus" top!
Lenny Kravitz krankt meiner Meinung nach am meisten an der Länge seiner Alben, aber gute Songs hat er in fast jeder Phase seiner Karriere geschrieben.
Die aktuelle Scheibe würd ich dann sogar in gesamter Länge in meine Top 3 Kravitz-Alben packen.
"Was zum Geier macht Sade in dieser Aufzählung? Würdest Du das heute immernoch so aufzählen?"
Die stand halt überall herum und ich fand die Musik irgendwie ziemlich schleimig. Das ist heute nicht mehr so. Ebenso bei FM. Da habe ich ja sogar den Meilenstein geschrieben.
Nur beim Chris … naja. "Don’t Pay The Ferryman" war ganz niedlich.
"Das ist heute nicht mehr so."
Aight, dann weitermachen. (Pro-Tipp: Sade ist eine Band, nicht nur eine Sänderin..;) )
Mal abgesehen davon, dass ich weder beim Überfliegen der Rezi (TT ist auch nach Auszug von zu Hause und bis heute "Mom-Stuff" in meinem Leben, Sorry Sven ) noch hier beim Studieren des Freds erkennen konnte, wo Herr K. jetzt mit "Sade" fälschlicherweise einzig Fr. Adu, nicht jedoch ihre Band, angesprochen haben soll, sagt wiki bzgl. deines Pro-Tipps:
"Sade, Vorname, Künstlername sowie Name der Band der nigerianisch-britischen Sängerin Sade Adu (* 1959)"
sowie auf der zugehörigen Unterseite:
"Sade Adu [ʃɑːˈdeɪ], CBE (* 16. Januar 1959 als Helen Folasade Adu in Ibadan, Nigeria),[1] oft nur Sade genannt, ist eine nigerianisch-britische Smooth-Jazz-, Soul- und R&B-Sängerin sowie mehrfache Grammy-Preisträgerin."
WORD an Herrn K. wegen de Burgh, nur Fleetwood Mac ist halt wieder streitbar: Mom's boyfriend z.B. würde als ausgewiesener Blues(rock)-Purist nur Platten ohne sie anpreisen, aber wer Stevie Nicks in der Musikwelt nicht huldigen zu lernen wusste... also in meiner Red. wäre das ein Grund für ne außerordentliche Kündigung!
Yo Doc, beziehe mich auf die Antwort von Sven hier im Faden: "Die stand halt überall herum"
"Die Band / Die Sängerin stand halt überall herum".
Abgesehen davon hast Du mit "Was zum Geier macht Sade..." streng genommen sprachlich eindeutiger in Richtung Bezeichnung der Person denn der Band geschielt...
Dann... dann bin ich jetzt überführt?
ts
Ich behaupte da keinesfalls von mir, konsequent zu sein, aber wenn ich bei missverständlichen Namen die Band als Kollektiv (so sie denn als solches verstanden wissen möchten von professionellen Fans) ansprechen möchte, versuche ich, das durch Verwendung des Plurals zu kennzeichnen:
"Was zum Geier machen Sade in dieser Aufzählung?"
hätte sicher jedem und jeder hier direkt offenbart, dass Du in dem Moment die Band ansprichst, allerdings zu dem Preis eines belehrenden Selbstinszenierungsversuchs als Profi-Fan.
*resigniertersmiley*
Es ist definitiv nicht merkwürdig, erst relativ eindeutig nach ner Person zu fragen, ne Antwort zu bekommen, die grammatisch ne Deutung als Person ODER als Gruppe zulässt um dann die antwortende Person zu belehren, dass Profis unter dem Begriff aber ne Gruppe, keine Einzelperson verstehen...
...nee, hast schon recht, dass war jetzt nur Argwohn und falscher Ehrgeiz meinerseits, weil Du mich so vortrefflich darüber aufgeklärt hast, warum ich immer so falsch mit meinen fabulierenden Mutmaßungen und haltlosen Spekulationen liege, sorry dafür. Go on.
-s
Das erkläre ich Dir mal am Telefon, sollte mich Deine Nummer jemals erreichen, Hase.
Mit Telefon haste den Doktor definitiv mundtot gemacht. Das tut der sich garantiert nicht an
Doch, ich glaube das wird was.
Mit "die" meinte ich übrigens "die Platte".
Kannste dir alleine nicht ausdenken!
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auf wen trifft das hier nicht zu, du pimmel.
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Geile Rezension, danke!
Vor vielen Jahren, als ich noch im uralten und nicht mehr existenten Laut.de-Forum unterwegs war, hatte ich mit einer Userin mit dem Nick "Miss Jones" eine.....Meinungsverschiedenheit in Sachen Tina Turner. Ich war damals -zugegeben- ein Fan von TT, liebte ihre Stimme, ihre Aura und dieses durchaus vorhandene Charisma.
Besagte Miss Jones jedoch, nach meiner Erinnerung damals Studentin auf Lehramt mit dem Schwerpunkt "Musik" und eine Art von "Frau Hansdampf in allen Gassen", war komplett anderer Meinung und verteufelte gar die Stimme von TT als im Grunde grottenschlecht. Hinzu kam leider noch diese gewisse Arroganz, die manchen Musikstudenten / -studentinnen ob ihres zweifelsohne teils reichlich vorhanden Wissens in Bereich der sog. "Musiktheorie" zu eigen war.
Miss Jones setzte nun so ziemlich alles daran, TT, ihre Songs und ihre Stimme in möglichst schlechtes Licht zu rücken.....was allerdings leider dazu führte, dass wir uns richtig dolle zofften. Natürlich konnte ich ihr in gewisser Weise nicht das Wasser reichen, aber ich schlug mich -ebenfalls nach meiner Erinnerung- dennoch recht achtbar.
However, die Neuauflage des Albums werde ich mir dennoch nicht zulegen, da mir das alte "Original" durchaus reicht. Und das Konzert in Barcelona habe ich seit Jahren auf Blu-ray.
Vielleicht werde ich aber etwas anderes machen: bei Laut.de einfach mal nachfragen, was denn so nach mehr als 15 Jahren die gute Miss Jones so tut und treibt.
Ein paar der älteren Semester unter den Laut-Redakteuren müssten sich eigentlich noch an die nette Dame erinnern, zumals sie damals über mehrere Jahre so einige Kontakte nach Konstanz hatte. (Alex Cordas, Signore Benassi, "dein böser Anwalt" )
Atemberaubende Vita. Atemberaubende Künstlerin. Atemberaubende Stimme. Und dennoch seit "Private Dancer" von 1984 (All ihre Meditations-CDs ausdrücklich (!) nicht mitgezählt) nur - wenn auch überaus erfolgreich - den Schrott von Knopflers & Co. gesungen und veröffentlicht.
Da wäre mit etwas mehr Mut - neben einer besseren Perücke - auch musikalisch deutlich mehr drin gewesen. So bleibt beim Hören dieser durch und durch seelenlosen Musik immer dieser billige TT-Nachgeschmack. Klebrig wie schlechtes Popcorn - und jederzeit WEIT unterhalb der eigenen Möglichkeiten.
Sehr tragisch. Und sehr schade. Solche Alben muss man anno 2021 nun wirklich nicht mehr hören ...
Welche "Meditations-CDs" sind denn hier gemeint?
Und natürlich hat Kabelitz auch beim Thema Sade - scheissegal, ob nun Band oder Solo-Künstlerin - recht: Denn dieser völlig bocklosen, seelenlosen und uninspirierten Jazz (???)-Musik konnte man damals wirklich nicht entgehen.
Ein grauenhaftes Geknödel ...
Ich bin schon damals dieser bocklosen, seelenlosen und uninspirierten Jazz-Musik auf den Leim gegangen....und zwar mit großem Vergnügen.
#teamsvenne
Ike & Tina Turner das war purer RnB und den lieb ich heute noch. Nach Foreign Affair war ich mit Tina durch.