laut.de-Kritik
Und ehrlich währt doch am längsten.
Review von Hannes WesselkämperHeldengeschichten sind in Literatur und Kunst seit Jahrhunderten ein Dauerbrenner. Das Popgeschäft ist da natürlich nicht anders. Sei es die aufgeblasene Casting-Show oder der alternative Geheimtipp, eine gescheiterte Existenz, die sich durch einen Moment der Klarheit auf die eigenen Fähigkeiten besinnt, fasziniert das Publikum seit jeher.
Der Kanadier Tobias Jesso Jr. ist glücklicherweise kein Opfer hochgejazzter Fernsehdramaturgie, sondern ein bescheidener Lockenkopf aus Vancouver. Sein Moment der Klarheit, ein richtig, richtig beschissener Tag in Los Angeles, beinhaltet alle Zutaten eines gebrochenen Mannes: eine langjährige Beziehung geht in die Brüche, die Mutter erhält eine Krebs-Diagnose und zu allem Überfluss rammt ihn ein Autofahrer vom Bürgersteig.
Jesso zieht zurück zu seiner Mutter nach Kanada, dabei lässt er Gitarren und den gescheiterten Traum als Songschreiber für aufstrebende Popstars in den USA zurück. Zuhause in Vancouver entdeckt er etwas, das fast so alt ist wie die Heldengeschichte selbst: gefühlvoll-reduzierten Piano-Pop.
Am Klavier verarbeitet er seine Zeit in Los Angeles sowie die gescheiterte Beziehung, Themen also, die nicht gerade neu sind: Das alles hüllt er in ein musikalisches Gewand der Siebziger. Sicherlich feierte dieses Genre mit Randy Newman oder Billy Joel seine Höhepunkte vor vielen Jahren, aber Tobias Jesso Jr. ertastet mit in seinem Debüt "Goon" den verschwindend kleinen Bereich zwischen Kopie und uninspiriertem Pathos.
Zu Orgel- und zaghafter Schlagzeug-Begleitung richtet er die Worte "How Could You Babe" an seine Ex-Freundin. Dabei bringt Jesso keine lyrische Meisterleistung hervor, er ist einfach nur der Typ, der am Piano sitzt und dessen Stimme sich im Refrain so angenehm überschlägt. Sein Geheimnis ist das heimelige Hörvergnügen und das Gefühl der Aufrichtigkeit, die dieses aus der Zeit gefallene Album transportiert.
Das mit sechs Minuten längste Stück des Albums, "Hollywood", zeichnet dieses Bild weiter: "Well, I'm a man. I was brought up right, I said my prayers every night." Solche Wertvorstellungen können in dieser Stadt natürlich nicht bestehen. Das lyrische Ich schließt mit "I've done the best I could. I think I’m gonna die in Hollywood." Dazu illustrieren windschiefe Bläser das Ende des aufrichtigen Mannes in der Großstadt.
Musikalisch dreht Jesso immer wieder leicht an der Stellschraube des Songwriter-Pop und landet so bei den folkigen Einflüssen Simon & Garfunkels ("The Wait") oder Paul McCartney’schem Singsang ("Can We Still Be Friends"). Im Zeitlupentempo, das "Bad Words" vorgibt, findet er sich schließlich fast schon beim Blues wieder – eine angenehme Visitenkarte des Black Keys-Drummers Pat Carney, der hinter den Reglern sitzt.
Unter den amerikanischen Songwritern, die in diesem Jahrhundert derart vorbelasteten Piano-Pop in ihre Musik eingebaut haben, darunter Ben Folds oder Ben Kweller, schreckt Tobias Jesso Jr. am wenigsten vor den Genre-Größen zurück. "Goon" zeigt lediglich zarte stilistische Variationen, leichte Synthieklänge oder versteckte LoFi-Gitarren, die das simple Thema auflockern. Mit der wahren Heldengeschichte im Rücken, geht Jesso unkitschig in die Vollen – und erntet Dankbarkeit allerorten.
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