laut.de-Kritik
Tom Waits ist Tom Waits ist Tom Waits ist Tom Waits ...
Review von Alexander CordasDer unvergleichliche Tom Waits. So muss man ihn bezeichnen, oder gibt es da draußen auch nur einen einzigen Künstler, der mit derart verschrobener Hartnäckigkeit und fernab jeglicher Mainstream-Ambitionen sein Ding durchzieht, der ohne Rücksicht auf gängige Hörgewohnheiten Soundtrümmer aufeinander schichtet? Der sich außerdem äußerst geschickt aus dem Fundus der Musiktraditionen bedient und einen besonderen Blick auf das wirft, was der amerikanische Traum geflissentlich als Menschenabfall in den Gulli kehrt?
Wohl kaum. Waits braucht keine künstlichen Klangerzeuger, um neuartige Sounds zu entwerfen. Und wenn er sich dann doch einmal dazu hinreißen lässt, moderne Instrumente zu verwenden, dann aber bitte schön zweckentfremdet.
Jetzt legt der Umtriebige auch noch ein dickes 3er-Set vor, bei dem der Hörer gut zu tun hat, um sich durch die 54 Songs (und zwei Bonus-Tracks) zu kauen. Dazu spendiert Waits ein fettes, 94 Seiten starkes Booklet. Thematisch in die Kapitel "Brawlers", "Bawlers" und "Bastards" unterteilt, bietet "Orphans" fast die komplette Palette an Waits-Sounds, die ihn in den vergangenen Jahrzehnten bekannt gemacht haben.
"Brawlers" (Streithammel) huldigt ausgiebig Kneipensounds, Blues, Rock'n'Roll und Derivaten daraus. Nicht umsonst bezeichnet Waits die hier versammelten Tracks als Juke Joint-Sounds, schließlich gab es in den gleichnamigen Kaschemmen ordentlich viel billigen Fusel, Glücksspiel und reichlich Gelegenheit, sich körperliche Befriedigung zu erkaufen.
Hurerei, Suff und Party kommen denn auch im eingängigen klanglichen Kostüm um die Ecke gerumpelt und geschunkelt. Das ist immer noch unverkennbar Waits, aber ohne allzu sperrige Dreingaben, die den Genuss der Songs zur Kraftanstrengung werden ließe. Skurrilitäten bietet Waits ebenfalls wieder. Oder ist schon einmal etwas von einem Knacki bekannt geworden, der sich mittels einer Fischgräte durch die Gitterstäbe gesägt hat? Das hat schon etwas Monty Python-Eskes.
Komischerweise fügt sich das zu einem harmonischen Gesamtkunstwerk zusammen. Der analoge Klangtüftler vereint in den unterschiedlichsten Situationen aufgenommene Songs unter einem großen Hut. Das Vater/Sohn-Gespann musiziert diesmal nicht mit Plattenteller, vielmehr setzt sich der Filius beim simplen und straighten Rocker "Low Down" hinter die Schießbude.
Sogar so etwas Ähnliches wie Gospel hat sich in die Trackliste geschmuggelt. Das Traditional "Lord I've Been Changed" vergrummelt Waits tatsächlich so, als würde ein jovialer Reverend vor der Gemeinde stehen und den Herrn um Vergebung bitten.
Rhythmisch einfallsreich wie eh und je versammeln sich die verschiedensten Instrumente zu einem stimmigen Potpourri, das in seiner Gesamtheit wieder eine Einheit bildet, selbst wenn beim ersten Hören alles verquer durch die Gegend scheppert. Selbst absolut abgespeckte Oeuvres wie "Lucinda", das lediglich mit Beatbox-Einlagen und spärlichen Gitarrenklängen auskommt, klingen eher fett als zurückgenommen.
"Road To Peace" nimmt sich dem Thema Naher Osten an. Den schlurfenden Stomper begleitet ein eher hilfloser Text, der sich der aktuellen Lage anpasst. Amerikanische Künstler scheinen nicht nur ein Problem mit der Regierungsführung der Bush-Administration zu haben, vielmehr scheinen sie angesichts des kompletten Irrsinns, der sich besonders in der Region Israel/Palästina abspielt im Wortsinne sprachlos zu sein. Tom Waits macht da keine Ausnahme. Leider. Das schon auf dem 2003er Tribute-Album für die Ramones enthaltene "The Return Of Jackie And Judy" bietet zuhauf Anschauungsunterricht, was man aus einer Coverversion noch so alles heraus holen kann, ohne das Original zu verleugnen.
"Bawlers" (Schreier) führt vom Titel her etwas in die Irre, versammelt Waits unter diesem Banner doch seine melancholisch-balladeske Seite und agiert eher als Wehklagender im Walzertakt. Ganz großer jazziger Sport: Das Teddy Edwards-Cover "Little Man" sowie das nachfolgende "It's Over", wo der Schlagzeug-Besen zum großen Kehraus ausholt und sämtliche Barflys, Nutten und gescheiterte Existenzen zur Türe hinaus fegt. Die andere Seite des Tom Waits klingt in ruhigen Momenten hingegen sehr zärtlich und behutsam. "Long Way Home" und "Widow's Grove legen ein eindringliches Zeugnis davon ab, dass er auch ein emotionaler Brummbär sein kann.
Im letzten Abschnitt treffen wir die "Bastards", in dem Waits den vorangegangenen Schönklang Zug um Zug dekonstruiert. Da ist er wieder, der Schreihals, der räudige Hund, der einem die Rhythmen und Texte ins Gesicht spuckt und uns als musikalische Masochisten entlarvt. Macht nix. Wir lassen uns gerne anbläffen.
Was bei dieser schönen Box trotz des hervorragenden Gesamteindruckes etwas seltsam anmutet: Wieso bedarf es der Unterteilung in einzelne stilistische Spielarten der waits'schen Musik? Schließlich sind seine regulären Aufnahmen auch unberechenbar und springen von Harmonie und Melodie über Blues bis hin zu verschrobenen Krach-Kaskaden.
7 Kommentare mit einer Antwort
Und wieder ein lbum gefunden, was großartig ist, aber noch keinen Kommentar bekommen hat...tztztz...aber was soll man auch groß sagen, da der Artikel alles sagt und genau die richtigen Worte findet. Ein muss für jeden Waits-Fan einfach!!!!
Muss man wirklich haben als Waits-Fan! Also nicht-Kenner würde ich aber eher andere Alben empfehlen.
Auch wenn zwölf ganze Jahre ins Land gegagnen sind, muss ich sagen, dass ich gerade die Bawlers Waits-Neulingen immer wieder ans Herz lege.
i like this thread with just a little drop of poison....
Lustigerweise mein erstes Waits-Album. Besonders die zweite Scheibe, Bawlers, ist mir seitdem ans Herz gewachsen. Waits Version von Down there by the train find ich um Längen besser, als die von Cash auf der ersten American Recordings.
@zombie:
wird wohl daran liegen, daß der Song von Tom Waits ist und nicht von Cash (nichts gegen Johnny Cash),
Überhaupt fallen alle Cover von Waits Songs gegenüber dem Original ab, egal ob von Cash, Rod Stewart oder Springsteen.
An extremsten ist aber der "ol' 55" von Waits mit dem Cover von den Eagles....
@mad dog (« @zombie:
wird wohl daran liegen, daß der Song von Tom Waits ist und nicht von Cash (nichts gegen Johnny Cash),
Überhaupt fallen alle Cover von Waits Songs gegenüber dem Original ab, egal ob von Cash, Rod Stewart oder Springsteen.
An extremsten ist aber der "ol' 55" von Waits mit dem Cover von den Eagles.... »):
Stimmt, wieder was gelernt. Von Waits für Cash geschrieben. Tatsächlich kannte ich aber nur jahrelang die Cash-Version und war dann doch erstaunt, wie viel man da noch rausholen kann. Anders ist es bei Thirteen. Gleiche Geschichte, nur das Glenn Danzig den Song für Cash geschrieben und dann Jahre später noch mal selbst aufgenommen hat. Fand ich nicht so berauschend im Gegensatz zur Cash-Version.