laut.de-Kritik

Hardrock wie er sein soll: aggressiv und atmosphärisch.

Review von

2021 passt als VÖ-Jahr für "Tonic Immobility" perfekt: Vor 20 Jahren erschien das selbstbetitelte Debüt. Und gleich der Opener "SHHH!" bezeugt: Tomahawk bzw. die Gründer Duane Denison und Mike Patton wussten damals wie heute ziemlich genau, was diese Band kann, nämlich Alternative-Hardrock, wie er sein soll.

Davon zeugt die erste Auskopplung "Business Casual", einer der stärksten Tracks ihrer Karriere. Der Song groovt schon allein im Zusammenspiel von Bass und Schlagzeug vorne weg. Aber natürlich packt Denison noch eines jener so unspektakulär wirkenden wie extrem durchschlagenden Killerriffs drauf, die The Jesus Lizard einst in Alternativekreisen berühmt machten.

"Valentine Shine" und "Predators And Scavengers" halten die Energie oben: Schön trocken eingezockt reißen sie schlicht mit. "Doomsday Fatigue" lockert erstmals den Griff und zeigt die bedächtigere, Dension zufolge oft von Spaghetti-Western-Sound inspirierte Seite der Amerikaner. Im unheimlichen und doch kontemplativen Ambientstück "Eureka" lassen sie dann vollends los. Der Song erinnert an das Intro von "Mit Gas". Im aufgrund seiner Tempowechsel emotional aufwühlenden "Tattoo Zero" weckt das schnelle Gitarrenlick nach dem ersten Drittel dann Erinnerungen an Tomahawks untypischste Scheibe, "Anonymous".

Das passt zu Denisons Kommentar, man fahre zum Jubiläum eine Art Quintessenz des bisherigen Schaffens auf. Interessant klingen Tomahawk vor allem deshalb, weil sie Unerwartetes verbinden, etwa Latin-inspirierte Strophen-Drums mit harschen Riffs und überdrehten Vocals im Refrain ("Howlie"). "Fatback" liefert danach das quasi einzige Gitarrensolo der Platte (vielleicht von dem ein oder anderen Lick in "Valentine Shine" abgesehen).

"Sidewinder" klingt wie zwei oder drei Songs in einem, man könnte sich die Nummer, die untypisch mit etwas Klavier beginnt, in einem Faith No More-Set vorstellen. Die irritierende Atmosphäre von "Recoil" lässt sich eher schwerlich beschreiben, irgendwo zwischen sommerlich guter Laune und abrupter Eskalation. Mit der zweiten Single "Dog Eat Dog" kommt die Band zum Ende der Platte wieder in ihrem typisch körnig bissigen Soundbild an.

Tomahawk zeichnet von Beginn an ein spezieller Sound aus. Dieser liegt einerseits in Pattons expressionistischem Gesangsstil begründet, der im Mix mittlerweile präsenter wirkt als auf den ersten Alben. Seine additional Noise-Sounds und elektronischen Effekte spielen dagegen eher eine untergeordnete Rolle. Auf der anderen Seite geben Denisons Gitarrenarrangements den Takt vor: Zwei oder drei verschiedene Spuren respektive Sounds sind entweder hintereinander geschaltet oder addieren sich zu intensiven Refrains hoch. Nicht zu vergessen, das Fundament, das Jon Staniers erdiger und unauffällig anspruchsvoller Drumstil legt.

Tomahawk können aggressiv, atmosphärisch, sie können dissonant oder direkt auf den Punkt - und eben auch alles zusammen. "Tonic Immobility" ist die erwartbar coole Rockplatte geworden.

Trackliste

  1. 1. SHHH!
  2. 2. Valentine Shine
  3. 3. Predators And Scavengers
  4. 4. Doomsday Fatigue
  5. 5. Business Casual
  6. 6. Tattoo Zero
  7. 7. Fatback
  8. 8. Howlie
  9. 9. Eureka
  10. 10. Sidewinder
  11. 11. Recoil
  12. 12. Dog Eat Dog

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5 Kommentare mit 22 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Tut so ziemlich genau das, was Amy Lee nebenan mit ihrer neuen gerne würde und das ist noch ein fettes Understatement für diese Platte, meinerseits aber wohl auch ein Stück weit der wahrgenommenen Konkurrenzlosigkeit des Augenblicks ihrer Veröffentlichung geschuldet.

    4/5 im nebenbei hören

    • Vor 3 Jahren

      Deinen Gähnen bedeutet gar nichts, ich hab gelesen, was Du hier sonst so abzuwürgen versuchst!

    • Vor 3 Jahren

      Wurden die Taubheits-Fakten schon geklärt?

    • Vor 3 Jahren

      @Soulburn: such dir ein anderes Opfer, ich bin 7 Jahre länger hier als du und hab ganz andere Sachen gelesen ;-)

    • Vor 3 Jahren

      @morpheau bei manchen Releases wäre ich es gerne. Das hier ist langeweile pur, 1000 mal gehört.

      P.S. Clockwork Orange immer noch nicht gesehen? Seid ihr alle zu jung für, wa?

    • Vor 3 Jahren

      Kein Ding. Mit geben Mike Patton und seine etlichen Projekte auch wenig bis nix. Früher konnt ich mir schon mal die Angel Dust von FNM geben, ist aber auch nicht besonders gut gealtert.

      Clockwork Orange hab ich gesehen und fand den nur ganz okay. Zweite Hälfte eher kacke. Bin ich aber auch vllt zu jung für und kann die ursprüngliche Brisanz, die er anno 1971 noch hatte, nicht mehr nachvollziehen.

      Und soulibrudi ist freilich schon seit Ionen am Stiso. Der zwischenzeitliche Abstecher ins brigitte.de-Forum hat ihn nur seinen ersten Account gekostet.

    • Vor 3 Jahren

      morphibrudi spricht trotz divergierender Meinung zu Clockwork Orange freilich wahr. Für den Fall, dass der alte Ludwig van sich eines 7 Jahre früheren Aufschlags im Forum rühmt, muss ich also anfügen, dass ich mich locker schon 7 Jahre vor diesem Aufschlag mit zwischenzeitlich ausgestorbenen (und wieder ins Game zurück evolutionierten) Urmonstern in der laut.bar schlug.

      Die Messermilch-Referenz in einem Beitrag von vor paar Tagen sparte ich mir auch nur aus Altersmilde und der mMn (auch schon von Kubrick) zu eindeutig hergestellten Assoziation zu illegalen Stimulanzien der Gegenwart und wie schon mein eigener Eröffnungspost in diesem Fred offenbart hängt meine wohlwollende Bewertung dieser Platte hier wohl auch so ein bisschen an dem Mangel vergleichbarer aktueller Quallidädsware zum Veröffentlichungszeitpunkt... ;)

    • Vor 3 Jahren

      @Soulburn: da magst du Recht haben, was die Qualität angeht. Nichtsdestotrotz ruft die mangelnde Frische des vorliegenden Werks ein notorisches Gähnen bei mir hervor - ist eben immer noch subjektiv. Mehr als 3 Sterne würde ich hier nicht geben.

      Was die laut.bar angeht, war ich dort auch zugegen und wollte mich damit keinesfalls rühmen, sondern dir lediglich aufzeigen, dass es schon härterer Trigger bedarf, um mich zu trollen :D

    • Vor 3 Jahren

      Einspruch. Faith No More war so ziemlich das langweiligste und schlechteste, was Patton je gemacht hat.

    • Vor 3 Jahren

      Und dadurch immerhin deutlich hörbarer als alles von Mr Bungle, Fantômas, Tomahawk und den Kollabos mit John Zorn.

    • Vor 3 Jahren

      FNM für mich schon eine sehr wichtige Band in der Jugend, "falling to pieces" allein schon.. "Angel Dust" und "King for a Day... Fool for a Lifetime" laufen bis heute immer wieder, nach meinem Befinden ohne Staub angesetzt zu haben. Von dem wahnwitzigen Bizarre-Auftritt 97 habe ich ja schon häufiger berichtet, episch.

    • Vor 3 Jahren

      Ach so. Die Puhdys sind natürlich auch besser als Stravinsky, da hörbarer.

      Arge, ich konnte FNM echt noch nie verstehen. Ist für mich der absolute Durchschnitt ohne irgendeine Art von Energie oder Appeal. Vielleicht komm ich aber eines Tages darauf, was Leute an denen fanden.

    • Vor 3 Jahren

      Nein, die Puhdys sind nicht hörbar. Stravinsky ist es immerhin mit Abstrichen.

    • Vor 3 Jahren

      Keine Ahnung, wie sehr da bei mir ebenfalls der Nostalgie-Faktor mitschwingt. Waren halt "erste Garde" bei der Abgrenzung meines eigenen Musikgeschmacks von dem meines älteren Cousins und meiner Mutter, ersterer so der Bay Area/Thrasher-Typ, letztere mit Kraut und Prog groß geworden, aber ausgerechnet auf Glam Rock und Trve Metal hängen geblieben... So konnten halt FNM und helmet bei mir zu so was werden wie bei anderen hierzulande häufiger Nirvana und/oder Die Ärzte...

      "King for a day..." definitiv bestes Album, nicht nur aus technischer Sicht, imo. Vielleicht kommt als Bonus dazu, dass ich FNM (ähnlich wie lauti) mehrmals live gesehen habe während der 90er, aber zu den wenigen möglichen Anlässen, die Mr. Bungle boten, hab ich es wiederum nicht (nüchtern genug für belastbare Erinnerungsleistungen) geschafft.

  • Vor 3 Jahren

    Irgendwie erinnert mich das extrem an die Fun Lovin Criminals

    • Vor 3 Jahren

      Do you have the slightest idea how little this narrows it down? :D

      Wirkt speziell für diese Tomahawk-VÖ auch stellenweise wirklich nicht völlig aus der Luft gegriffen, bei bekennenden Stilhoppern wie FLC aber auch keine Erkenntnis, die einen Paradigmenwechsel hinsichtlich der Wahrnehmung dieser Platte einleiten könnte.

    • Vor 3 Jahren

      Gut, ich hab ja nur ein paar Lieder angeskippt, ehrlicherweise. Da hatte ich halt die Assoziation ;)

    • Vor 3 Jahren

      Hab dann mal intensiver reingehört. Hatte noch andere positive Assoziationen hier und da (Therapy? zb), klingt aber durchaus eigenständig, kriegt mich aber irgendwie nicht.

    • Vor 3 Jahren

      Bin ja auch schon mehrfach zurückgerudert im Thread hier... Will nicht sagen, dass mir die "emotionale Dringlichkeit" bei Mike Patton-Beteiligung schon seit Ewigkeiten vollends fehlen würde oder ich nicht genau wüsste, dass die ja auch zu Mr. Bungle-Hochzeiten mehr oder weniger professionell aufgesetzt war (um mal zu seinen Gunsten zu spekulieren, dass er nicht der totale Soziopath irl ist), aber ich fühl morphis Aussage, dass Patton überwiegend gar nicht an ihn gehe, inzwischen auch recht deutlich in diesen Eindrüvcken, dass mir vieles auf dieser Variable (auch wieder bei der neuen Tomahawk) zu routiniert abgebrüht rüberkommt sowie zu wenig abgerissen und unbedingt.

    • Vor 3 Jahren

      Check ich, auch wenn ich es so nicht definieren könnte, dafür bin ich nicht Rocknerd genug. Wäre ich gerne noch, aber mir fehlt zu oft das Dreckige früherer Tage. Oder ist halt nur ein lauer Aufguss.

    • Vor 3 Jahren

      Die Soundästhetik und die Songstrukturen hier müssten mich eigentlich kriegen, aber es funkt nicht.

  • Vor 3 Jahren

    ich weiß nicht warum aber in meinem kopf hat sich ein bild eingebrannt. ich muss bei mike patton immer an kurt krömer denken, der christopf schlingensief imitiert. keine ahnung wieso

  • Vor 3 Jahren

    Mike Patton wie üblich animiert, aber der Rest der Band klingt wie kurz vorm Einschlafen...