laut.de-Kritik

Für die deutschen Coldplay ist Dilletantismus nun vorbei.

Review von

Ich weiß nicht wie oft ich den Vorgänger "Eine Sonnige Nacht" gehört habe. Diese Sache mit den vielen Nullen wäre aber wohl noch untertrieben. Das war waschechter deutscher Indie-Rock, wie man ihn seit Tocotronics "Digital Ist Besser" vermisst hat: roh, tief melancholisch und zugleich herrlich zufrieden.

Ähnlich zu Tocotronic und allen anderen Menschen sind auch Tomte mit der Zeit älter und reifer geworden. Man ist betagt, beschäftigt sich ausgiebig mit dem Prozess des Älterwerdens (vgl. Tomtes Vorgänger) und kümmert sich nun auch darum, dass die Saiten richtig gestimmt sind. Das resultiert dann in einer top produzierten Platte, die nur noch wenig mit dem hastigen Geschrammel des Debüts und wenig mit dem bösen Wort "überproduziert" zu tun hat, sondern ihre Ruhe in einer weichen Mitte gefunden hat.

Tomte wären nun Coldplay und Embrace auf deutsch, steht so halb im Info. Das trifft den Nagel doch ziemlich fest auf den Kopf. Dass ich als überzeugter Fan der Band nun bei der tiefbritischen Fiedel-Gitarre von "Neulich Als Ich Dachte" weiterskippen muss, tut zwar höllisch weh, ist im Endeffekt aber mein persönliches Problem. Denn Vorschreiben kann man Tomte sicher nichts.

Die Platte ist richtig, passt perfekt in den Band-Kontext der stetig musikalischen Verbesserungen und dem immer tiefer gehenden Seelenstrip von Sänger Thees Uhlmann. Dessen Texte sind auch dieses Mal (selbst wenn er über seinen Hund singt) wieder mit unzähligen hervorragenden Fragmenten gespickt, die man sich auf sein Schulmäppchen schreiben will – sofern man denn noch eins hat. Ein kompletter textlicher Zusammenhang erschließt sich aber wohl nur ihm allein.

Musikalisch setzten Tomte pro Album bisher immer eins drauf. Mit Album Nummer Drei gibt es hier wohl den bislang größten Schritt. Weiter ausgefeilt, weiter überlegt und weiter abgestimmt klingt die Platte. Der Einschlag Richtung Pop basiert auf einer Perfektion des Songs, der eine dichte Einheit darstellt. Nichts liegt mehr verloren da oder offenbart sich als Lückenfüller. Dilletantismus ist vorbei, jetzt kommt der Ernst im Songschreiben und im Songaufbau.

Nebenbei gibt es mit "Schreit den Namen Meiner Mutter" noch einen der besten drei Songs, den Sänger Thees Uhlmann je geschrieben hat. Ein Track, der alles beinhaltet, was deutschen Indie-Rock ausmacht: die Melancholie im Headbangen und den Spaß trotz beschissener Welt. Denn wem geht es im Endeffekt schon wirklich schlecht? Genau. Mit dieser Platte auf dem Ohr wohl wirklich niemandem. Oder wie Thees sagt: "Die Schönheit der Chance, dass wir unser Leben lieben, so schwer es auch ist."

Trackliste

  1. 1. Für Immer Die Menschen
  2. 2. Schreit Den Namen Meiner Mutter
  3. 3. Die Bastarde, Die Dich Jetzt Nach Hause Bringen
  4. 4. Du Bist Den Ganzen Weg Gerannt
  5. 5. Endlich Einmal
  6. 6. Neulich Als Ich Dachte
  7. 7. Von Gott Verbrüht
  8. 8. Insecuritate
  9. 9. Das War Ich
  10. 10. Die Schönheit Der Chance

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52 Kommentare

  • Vor 20 Jahren

    Zum Heulen schön...

    Mehr kann ich noch nicht sagen, ich lasse erstmal anders sprechen:

    aus der intro: "Tomte ist mit HadF, dem Album auf das wir viel zu lange warten mussten, eine Offenbarung gelungen. Nie klang Arbeiter-Prosa umwerfender, nie wurde eine so tiefe Sehnsucht nach Liebe und Nähe angenehmer formuliert als mit der Uhlmann'schen Bierromantik. Und schon lange nicht mehr überzeugte deutscher Rock so eigenständig und facettenreich wie hier."

    aus der UncleSallys:

    "Tomte haben nach ihrem Debüt "Eine Sonnige Nacht" eine Platte gemacht, die nur für dich geschrieben wurde, jede Sekunde, jede Minute. Man könnte auch einfach Zitate aneinanderreihen. Es würde ausreichen, um zu sagen, dass sie uns lehren, das Leben zu lieben."

    und

    "Diese Musik wird dein Herz brechen, und es wird passieren, dass du in dem Moment, wo du sie hörst, ob am Steuer deines Autos, beim Anstehen an der Supermarktkasse oder in der ängstlichen Sekunde vor dem Bankautomaten hemmungslos anfangen wirst zu weinen."

  • Vor 20 Jahren

    kann mich nur anschließen: Das Album ist grandios. Ein wirkliches kleines Meisterwerk. Ein Album für alle Lebenslagen, alle Tages- und Nachtzeiten, einfach umwerfend gut.

  • Vor 20 Jahren

    Jetzt, wo das Thema sich in Richtung deutsche Texte verlagert hat.

    @Mandarine: Bin gespannt auf Reaktionen.

  • Vor 20 Jahren

    mir gefällt die tomte von mal zu mal immer besser. werd mich wohl auch mal nach älteren alben von denen umschauen.

    is ja nicht so einfach, gute deutschsprachige musik zu finden. im vergleich zu den tausenden englischsprachigen ist das ja wirklich fast wie die suche nach der nadel im heuhaufen.

    kann dem nur zustimmen, was hier bereits schon gesagt wurde. bei bands wie tomte oder tocotronic hat man wirklich ein cooles "kopfkino" erlebnis. texte die oft scheinbar nichts, doch irgendwie alles sagen. wirklich genial!

  • Vor 20 Jahren

    Es ging um deutsche Texte, deren Sperrigkeit bzw. Eleganz, und nicht um einen Vergleich zwischen Tomte und Element Of Crime.