laut.de-Kritik
Postrock-Soundtrack zum Stummfilmklassiker.
Review von Yan Vogel"Das Cabinet des Dr. Caligari" ist ein deutscher Stummfilmklassiker, der dieses Jahr sein 100-jähriges Bestehen feiert. Die Spanier von Toundra spielen extravaganten Instrumental-Rock. Doch wie passen Stummfilm und Post Rock zusammen? Long Distance Calling wählten den Terminus "Stummfilm" etwa für ihre jüngste Live-Veröffentlichung, markierte doch die letzte Studioplatte "Boundless" die Rückkehr zur Instrumentalmusik.
Toundra nehmen das Jubiläum des Films nun zum Anlass, um bei diversen Aufführungen dazu zu improvisieren. Der Reiz des Films besteht auch darin, dass keine Begleitmusik existiert, die als Richtschnur dienen könnte. Die Spanier waren frei, die Bilder mit Musik auszufüllen.
Dabei grenzt die filmische Umsetzung des fantastischen Drehbuchs aus der Feder von Carl Mayer und Hans Janowitz durch Regisseur Robert Wiene damals an Magie. Dabei ist das Sujet, das autoritäres Gebahren, manipulatives Verhalten und die Grenzen des Wahnsinns vereint und mit überraschenden Wendungen aufwartet, angesichts zunehmend rechter Strömungen in Politik und Gesellschaft hochaktuell.
Wobei einer der Schauspieler in der historischen Rücksschau für Diskussionsstoff sorgt: Werner Krauß, der auf unnachahmliche Weise den manisch manipulativen Doktor mimt, spielte auch im Nazi-Propaganda-Film "Jud Süß" eine tragende Rolle. In seiner Person manifestiert sich der Streit um einen genialen Künstler mit fragwürdiger Einstellung.
Toundra verlegen sich beim Underscoring dann weniger auf ein minutiöses Ausleuchten des Sichtbaren, vielmehr fangen sie die Stimmungen ein: Märchenhafte Kulissen, exhaltierte Schauspielkunst und sorgsam montierte Licht- und Schatteneffekte sorgen im Film für Bildgewalt.
Musikalisch agiert das Quartett zurückhaltender als auf ihren dynamisch zwischen Stasis und Chaos pendelnden regulären Alben (beispielsweise "Vortex"). Schlagzeuger Álex Pérez spielt perkussiver, Bassist Alberto Tocados verlegt seinen Arbeitsplatz zeitweise hinter diverse Tasteninstrumente, deren Bandbreite von spooky Synthie-Flächen bis hin zu pointierten Piano-Passagen variiert.
Neben der klanglichen Komponente beweist insbesondere die Komposition mittels sorgsam gestreuten Disharmonien und mäandernde Melodien hohe Kunst. Den elegischen Stücken der frühen King Crimson nicht unähnlich zerlegt die Band die komplexe Conditio Humana in ihre Einzelteile und fördert erheblich den Genuss.
Das Gitarrenduo spendiert dabei ausufernde Arpeggien, endlose Tonfolgen und an ausgewählten Schlüsselstellen eruptive Momente. Sicherlich entfaltet die schlicht in die Akte der Vorlage gesplittete Musik insbesondere mit dem Film seine Wirkung. Doch auch das eigene Kopfkino springt bei geschlossenen Augen und unter dem Kopfhörer an.
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