14. September 2016

"In zehn Jahren ist es hip, nach den 2000ern zu klingen."

Interview geführt von

Hamburg, Juli 2016. Anders Trentemøller hat seinen dänischen Heimathafen verlassen und sonnt sich in Deutschlands schönster Hansestadt. Wenige Wochen zuvor erschien seine überraschend wavige Single "River In Me".

Uns erzählt er, warum man seine Fans manchmal auch einfach schocken muss – und was diese auf dem kommenden Album "Fixion" erwartet.

Du bezeichnest "Fixion" als logischen Nachfolger von "Lost". Verfolgst du also weiterhin dieselbe Strategie, alleine aufzunehmen und dann für spätere Auftritte mit deiner Band vieles umzuarrangieren?

Genau, alles wie immer. Meine Band ist nicht in den Entstehungsprozess involviert. Aber genau das ist ja die Challenge, meine ursprüngliche Vision dann in der Gruppe umzusetzen. Hinterher klingt dann natürlich auch vieles anders. Dadurch wird auch vielem neues Leben eingehaucht.

Und du planst auch nicht, deine Kollegen irgendwann einmal zu involvieren?

Vielleicht mache ich das beim nächsten Mal tatsächlich. Nach den ganzen Gigs im Jahr 2014 haben wir natürlich gemerkt, dass sich verschiedene Songs erst im Laufe der Tour so richtig eingrooven. Wenn du an die Sechziger denkst, an die Beatles und die Stones, die haben ihre Sachen damals erst aufgenommen, nachdem sie sie monatelang live gespielt haben. Ich könnte mir vorstellen, das Ganze beim nächsten Mal auch so anzugehen, andersherum eben. Aber das hängt auch einfach von der Musik ab, die ich auf der nächsten Platte machen will. Und das zu planen, ist schon schwierig genug.

Wenn du schon die verschiedenen Stile ansprichst: "River In Me", die erste Singleauskopplung aus "Fixion" erinnert ja durchaus an Post-Punk- oder New Wave-Kompositionen. Sind das schon erste Anzeichen dieser Gruppenerfahrung im Live-Kontext?

Nicht unbedingt. Ich hatte vorher schon einige Ambient-Tracks für das Album fertig. Eines Tages hatte ich den Downtempo-Kram aber plötzlich satt, und dann kam mir relativ schnell diese Bassline in den Sinn. Als mir klar wurde, dass da auch Gesang drauf passen könnte, habe ich eine kurze Demo an Jehnny [Beth, Savages] geschickt. Später haben wir uns dann hier in Dänemark getroffen und zwei Tage gemeinsam im Studio daran gearbeitet.

Für mich war das eine ziemlich intensive Erfahrung. Mit den Sängerinnen, mit denen ich sonst zusammenarbeite, treffe ich mich für gewöhnlich nicht einmal im Studio. Face-to-face ist neu für mich.

Genau, im letzten Interview mit laut.de meintest du ja auch, dass die Studioarbeit eine sehr einsame Angelegenheit ist. Kannst du dir denn vorstellen, andere Künstler künftig wieder in diese Intimsphäre eindringen zu lassen?

Das kommt auf den jeweiligen Song an. "River In Me" hat nun mal diesen Uptempo-Punk-Vibe, darum war diese schnelle, spontane Arbeitsweise in dem Moment genau richtig. Aber gerade beim Gesang trickse ich ja eigentlich gerne ein bisschen und manipuliere das Aufgenommene hinterher noch einmal. Aber generell bin ich schon offen für so etwas.

Du sprichst jetzt nur vom Gesang – einem Element, das du selbst sowieso nicht beisteuerst. Könntest du dir denn auch vorstellen, mit anderen Produzenten oder Instrumentalisten im Studio zu arbeiten? Könntest du so viel Kontrolle abgeben?

Oh, ich glaube nicht. Die Produktion selbst geht für mich Hand in Hand mit der Komposition. Viele Künstler splitten das natürlich auf und arbeiten mit externen Produzenten zusammen. Für mich ist aber enorm wichtig, dass alle Sounds von Anfang an auf meinem Mist wachsen. Ich bin da ein ziemlicher Kontrollfreak.

Noch mal zu "River In Me": Du sagst, du hattest die Downtempo-Sachen satt – und hast jetzt zuerst den mit Abstand poppigsten Track der Platte rausgehauen. Versuchst du, deine Fans zu schocken?

Mhmhm, vielleicht? (lacht) Ich wollte einfach nicht schon wieder mit so etwas Depressiv-Düsterem um die Ecke kommen, sondern auch mal ein wenig Hoffnung vermitteln. Natürlich gab es schon vorher schnellere Tracks auf meinen Alben, aber "River In Me" ist mit dem Gesang und diesem Keyboard-Motiv schon etwas anderes. Und diese Attitüde, die Jehnnys Stimme reinbringt, mag ich wirklich sehr.

Und wie haben deine Fans da bisher drauf reagiert?

Zum Glück ziemlich positiv – das ist mir auch sehr wichtig. Denn das Album legt noch größeren Fokus auf Gesangspassagen als sonst. Deshalb wollte ich auch nicht schon wieder fünf oder sechs verschiedene Sänger haben, wie zuletzt auf "Lost". Es ist halt natürlicher, wenn dich der Klang einer einzigen Stimme durch das Album leitet.

Wobei es jetzt halt doch wieder drei verschiedene geworden sind, aber Marie Fisker singt immerhin auf vier Stücken, Jehnny auf zweien und auf dem letzten Track sogar meine Freundin. Sie ist zwar eigentlich keine Sängerin, aber wir hatten großen Spaß daran.

"Die jüngeren Leuten trennen gar nicht mehr strikt zwischen elektronischer und Rockmusik"

Wo wir vorhin schon beim Post-Punk waren. Du hast zuletzt ein Statement zum Tod von Suicide-Sänger Alan Vega gepostet und ihn als einen deiner größten musikalischen Helden bezeichnet. Wie kommt es, dass du solche Einflüsse jetzt erst so deutlich in deiner Musik zur Schau stellst?

Puh, gute Frage. Wenn ich Musik schreibe, bin ich mir über meine Einflüsse eigentlich gar nicht wirklich im Klaren. Vielleicht hört man aus meinen Werken keinen großen Suicide-Einfluss raus, aber sie waren immer eine große Inspiration für mich. Eine der besten elektronischen Bands überhaupt, auch wenn sie noch so sehr nach Rock'n'Roll klingen. Der Track, den ich da geteilt habe, ist von 1977 – und er klingt immer noch frisch. Für mich ist das absolut zeitlose Musik. Das spiegelt sich vielleicht nicht in meiner Musik wieder, aber die Attitüde war immer da.

In den letzten Jahren erleben wir ja ohnehin ein weiteres Post-Punk-Revival. Du warst ja selbst als Mischer für Savages aktiv – wie stehst du zu diesem Wiederaufleben alter Strömungen?

Ich bekomme das gar nicht so direkt mit, da kümmere ich mich gar nicht drum. Ich versuche natürlich, Inspirationen zu verarbeiten, aber ich suche immer nach neuer, frischer Musik. Gerade zum Beispiel wird wieder ziemlich viel R'n'B gehört, viele Bands inspiriert das. Anderswo ist es dann eben Post-Punk oder Wave oder was auch immer. Ich selbst versuche sowieso nicht allzu viel andere Musik zu hören während ich komponiere.

Aber natürlich, die Stile kommen und gehen. Jetzt gerade ist es ja offenbar sogar wieder in, nach den Neunzigern zu klingen. In zehn Jahren ist es vermutlich hip, nach den 2000ern zu klingen. Ich hingegen ziehe viele Inspirationen aus den Achtzigern. Ich denke, das hört man auch. Aber hey – Hauptsache, es fühlt sich richtig an.

Wenn sich eine Band wie Savages früherer Stilrichtungen annimmt, die dich selbst inspiriert haben – ist das dann für dich als Mixer eine willkommene Herausforderung?

Das ist alles sowieso eine Herausforderung, denn normalerweise mische ich ja überhaupt keine Alben für andere Bands ab. Savages hatten ihre fertig produzierte Platte und ich habe einfach nur versucht, es so gut wie möglich klingen zu lassen. Und wir sprechen von einer reinen Rock-Band ohne irgendwelche elektronischen Elemente. Das wollte ich dann natürlich noch einmal lebendiger klingen lassen. Was schwer ist.

Wenn du eine Band wie Savages live siehst und versuchst diese Energie auf Platte widerzuspiegeln – das ist verdammt schwer. Ich genieße es aber auch, so mal aus meiner eigenen Komfortzone rauszukommen. Man hat keine Ahnung von nichts und muss sich einfach spontan auf seinen Instinkt verlassen.

Zurück zu dir: Ob Techno oder Wave – wie wichtig sind dir tanzbare Elemente in deiner Musik?

Auch das ist etwas, woran ich im Studio überhaupt nicht denke. Klar, "River In Me" ist natürlich ein ziemlich tanzbarer Track, aber er ist nicht dieser typische Disco-Track im Dance-Tempo. Einige Songs haben einfach diesen Groove. Ich mag es ja selbst, wenn Musik physisch wird und nicht immer nur auf so einer intellektuellen Ebene funktioniert.

Auf "Fixion" gibt es den Track "My Conviction", der hat fast schon so einen sexy, slow-down funky Groove. Sowas macht eben auch mal Spaß. Wie gesagt, raus aus der Komfortzone. Aber da steckt nicht keinerlei Absicht oder Kalkül hinter. Das ist einfach die Art und Weise, wie sich Songs manchmal entwickeln.

Wie funktioniert das denn bei deinem bisherigen Material? Wird da zu den Techno-Tracks vor der Bühne getanzt?

Durchaus, klar, aber genauso auch auf die Rock- und Indie-Sachen. Da gibt es gar keine großen Unterschiede mehr. Zu unseren Shows kommen auch viele jüngere Leute, die gar nicht strikt zwischen elektronischer und Rockmusik trennen. Die sind sowieso viele verschiedene Stile gewohnt. Auch altersmäßig vermischt sich das ganz schön. Da treffen dann wirklich junge Leute auf meine Generation, also Ü40.

Also jeder wie er will?

Auf jeden Fall. Es ist mir egal, ob die Leute zu meiner Musik tanzen oder nicht. Viel wichtiger ist es, dass sie da sind, dass sie den Moment bewusst erleben. Ich hasse es, wenn Leute das ganze Konzert durch ihr iPhone erleben. Solange sie einfach nur physisch und psychisch anwesend sind, können sie von mir aus tanzen oder einfach nur ihre Augen schließen und still da stehen – das ist manchmal sogar noch besser.

"Ich mache keine Partymusik!"

Wie sieht denn die typische Trentemøller-Setlist aus? Legst du einen Fokus auf direktere Stücke?

Live zu spielen ist natürlich immer eine wesentlich extrovertiertere Sache, aber es ist mir auf jeden Fall auch wichtig, die atmosphärischen, ruhigen Sachen zu spielen. Das funktioniert natürlich besser in kleineren Läden, wo wir dann als Headliner spielen.

Auf Festivals ist das schwieriger, gerade später gegen Abend, wenn einige vielleicht schon betrunken sind und einfach nur Party machen wollen. Meine Musik ist aber keine Partymusik. Auf Festivals zu spielen, macht mir schon Spaß, aber die kleinen Läden würde ich immer bevorzugen. Nur da können wir richtig etwas aufbauen. Ein paar Songs kriegen aber eh erst live den richtigen Kick. Da lassen wir manchmal etwas mehr zu.

Deine Zuschauer haben also die Chance, zwischen Tanz und stillem Verharren zu switchen?

Absolut, so ist es am besten.

Auf Platte hört dann aber wieder jeder anders. Zum Release von "River In Me" hast du dir gewünscht, dass sich der Hörer eigene Bilder zur Musik erschafft. Du selbst schreibst ja ohnehin keine Texte – gibt es denn bestimmte Themen, die deine Alben behandeln?

Für mich ist es ziemlich wichtig, dass die Texte abstrakt gehalten sind. Damit du dir eben besser ein eigenes Bild machen kannst. Das ist ja ohnehin das Schöne an instrumentaler Musik, dass dir nichts diktiert wird. Ich finde Texte aber trotzdem okay, solange du nicht versuchst, eine Geschichte von Anfang bis Ende zu erzählen. Junge trifft Mädchen, blablabla, Lovestory. Bitte nicht.

Bei mir geht es textlich zwar schon eher persönlich zu. Für Politisches oder so ist da kein Platz. Das würde überhaupt nicht zu meiner Musik passen. Ich mag das Kinematografische.

Aber haben die einzelnen denn zumindest ein einheitliches Konzept? Hängen Artwork, Songtitel und Videos für dich unmittelbar zusammen?

Wichtig ist für mich, dass man sich mit der Musik verbunden fühlt, ohne dass einem dabei ein großes Statement aufgebunden wird. Keine Konzeptalben. Es ist eher das Melancholische, das im Generellen in meiner Musik steckt. Das bleibt auch von Album zu Album gleich.

Ich hoffe natürlich, dass es den Hörer irgendwie auf eine Reise schickt. Das ist jetzt nicht so leicht auf Englisch zu erklären, aber gewissermaßen soll es immer auch eine Achterbahnfahrt sein. Die glücklicheren Augenblicke, die unheimlichen, düsteren Momente, all die Dinge, die du so auch in deinem eigenen Leben erfährst. Das kommt alles zusammen. So ist es jedenfalls, wenn du meine Alben von Anfang bis Ende hörst.

Was ja aber leider nicht mehr der Normalfall ist.

Genau. So viele jüngere Leute nutzen das Albumformat überhaupt nicht mehr. Das ist doch eine ziemliche Schande. Ich poche aber weiterhin darauf, ganzheitliche Werke zu veröffentlichen. Nur so kannst du Emotionen vernünftig ausdrücken – und hoffentlich wird das auch so wahrgenommen.

Bei der Ankündigung zu "Fixion" fiel öfter die Vokabel "new romantic". Wie definierst du das?

Ich finde, das merkt man direkt dem ersten Song an. "One Eye Open" hat so einen romantischen, dramatischen Stil. Die Epik, die großen Gefühle. Ich glaube, das ist etwas, das ich in der Vergangenheit nicht so richtig zugelassen habe.

Aber mittlerweile bin ich der Meinung, dass auch so etwas in den Mix gehört. Auch die Romantik gehört nun mal zum Leben. Und irgendwie haben diesmal viele Songs einen solchen Touch – es fühlt sich natürlicher an. Mittlerweile kann ich besser mit den Kontrasten arbeiten.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Trentemøller

In Dänemark kennt wohl fast jeder Clubgänger und Connaisseur elektronischer Tanzmusik den Namen Anders Trentemøller - spätestens seit 2005 auch der …

Noch keine Kommentare