24. Oktober 2017
"Reiß dich vom Computer los!"
Interview geführt von Manuel BergerTrivium bringen auf ihrem achten Album "The Sin And The Sentence" die Screams zurück. Matt Heafy und Paolo Gregoletto erklären die Hintergründe.
Trivium überlassen nichts dem Zufall. Kündigte Frontmann Matt Heafy beim letzten Interview noch an, stets im Voraus zu planen und bereits Vorstellungen für Album Nummer acht zu haben, bestätigte Bassist Paolo Gregoletto das nun. Planung spielte bei der Entstehung von "The Sin And The Sentence" eine wesentliche Rolle. Möchte man eine dominante These aus dem halbstündigen Plausch mit den beiden ziehen, dann deshalb wohl diese: Vorbereitung ist alles.
Ihr habt gerade erst im Februar eine Show in Berlin gespielt, jetzt – nur ein paar Monate später – seid ihr im Rahmen der Promotour zum neuen Album schon wieder zurück. Wann habt ihr "The Sin And The Sentence" geschrieben, geprobt, aufgenommen und gemischt?
Paolo: Der Prozess begann recht bald nachdem der für "Silence In The Snow" abgeschlossen war. Riffs schreiben wir eigentlich immer. Pre-Production zum Album starteten wir bereits vergangenen November, quasi zur selben Zeit, als Alex (Bent, Drummer; Anm. d. Red.) zu uns stieß. Die Hälfte zogen wir damals durch, die andere nach der Tour im März. Die Soundchecks nutzten wir auch immer schon, um das neue Material zu üben. Es lief im Grunde übergangslos. Der Plan war, nach der Tour im April aufzunehmen und die Platte dann später im Jahr zu veröffentlichen. Wir hüllten uns aber in Schweigen darüber, um uns von den Fragen der Leute danach nicht ablenken zu lassen. Wir wollten keinerlei Einfluss von außen, sondern uns auf unsere Sache konzentrieren.
So ähnlich lief es bei den letzten Alben ja auch schon. Ihr beide seid zwar sehr aktiv auf euren Social Media-Kanälen, aber etwa zum Recording, worüber andere Musiker gerne posten, findet man bei euch eigentlich nie etwas.
Matt: Mit Trivium reagieren wir einerseits darauf, wie wir selbst Dinge in der Vergangenheit gehandhabt haben, und andererseits auch darauf, wie Dinge um uns herum gehandhabt werden. Bei "Vengeance Falls" posteten wir mehr oder weniger zufällig Zeug wie: "Oh, ihr glaubt gar nicht, was bald kommt." Heutzutage sieht man dasselbe bei vielen anderen Bands – diese unkuratierte, stumpfe Hinführung zum Album. Sie posten einfach beiläufig keinen wirklichen Inhalt, sondern zum Beispiel ein Bild des Studiobodens oder einer Flasche Bier neben dem Mischpult. Wir wollten wirklich alles fertig haben, bevor wir irgendetwas raushauen, um es dann koordinieren zu können. Denk mal ans Filmbusiness: Du siehst nicht zuallererst Behind-The-Scenes-Footage, sondern einen Trailer. Und dann folgt das Build-Up. Daran orientierten wir uns.
Wenn schon ein Jahr vorher das erste Teaser-Bild auftaucht, aber dann lange nichts passiert, werden die Leute auch immer ungeduldig.
Paolo: Genau. Es braucht einfach ein wenig Disziplin. Die Leute hauen alles raus auf Social Media. Aber du hast die Wahl, etwas nicht zu posten. Darum gehts im Internet heutzutage glaube ich. Wenn du nicht postest, gewinnst du gewissermaßen die Kontrolle über eine Situation zurück. Du musst nicht zwanghaft alles was du tust dokumentieren. So wie wir es gehandhabt haben, vermieden wir Fragen von Fans und all das. Ich wollte, dass das erste, was die Leute hören sein wird: "Wir veröffentlichen 'The Sin And The Sentence'." Keine Warnung vorher. So kriegst du sofort unverfälschte, ungefilterte Meinung – gut oder schlecht. Ich bin nicht grundsätzlich dagegen, etwas aus dem Studio zu posten. Aber es müsste einem Plan unterliegen. Vielleicht setzen wir das eines Tages mal für einen Song um: Wir nehmen die Leute mit auf die Reise durch den gesamten Prozess eines Trivium-Songs. Das wäre cool. Nur manchmal musst du Dinge einfach vor den Leuten fernhalten. Das Publikum hat nur eine gewisse Aufmerksamkeitsspanne – du musst genau darüber nachdenken, wie du das Fenster füllen möchtest, das dir zur Verfügung steht. Wir sind uns sehr bewusst, dass wir nur einen limitierten Zeitrahmen haben, bevor die Leute wieder einem anderen Ball nachjagen. Nicht viele Künstler sind in der Lage, so etwas zu kontrollieren, nicht einmal die allergrößten.
Wie lief denn das Songwriting diesmal ab? Ich nehme an, ihr beide und Corey wart wieder etwa zu gleichen Teilen federführend?
Matt: Im Songwriting folgen wir keiner bestimmten Formel. Jeder kann mit einer Idee ankommen, sei es nur ein Riff oder ein ganzer Song. Interessant ist, dass ich in der Vergangenheit etwa 90 bis 95 Prozent aller Texte und Gesangsmelodien verfasst. Diesmal sagten wir jedoch: Alles kommt auf den Tisch und das beste nehmen wir. Im Endeffekt hat Paolo nun viele Vocallines und Lyrics beigesteuert. Mir hat das großen Spaß gemacht. Die beste Metapher, die mir gerade einfällt, ist die eines Films: Paolo war der Drehbuchautor, Josh (Wilbur, Produzent; Anm. d. Red.) der Regisseur und ich der Schauspieler. Das brachte mich in eine ganz andere Lage als die gewohnte, wo die Lyrics immer schon von Anfang an in mir schmorten. Jeder Song verändert sich total, je nachdem, wer was schreibt. Das mag ich an Trivium: Wir haben keine Formel, nach der alles immer ablaufen muss. Es muss nicht immer der eine Kerl sein oder wie bei anderen Bands das Songwriting-Team. Es bleibt an uns dreien hängen.
Naheliegende Frage, wenn viele Gesangsmelodien von dir stammen, Paolo: Ging es auf dich und vielleicht auch Corey zurück, dass Matt wieder screamt?
Paolo: Bei "Silence In The Snow" wussten wir nicht, ob Matt je wieder würde screamen können, nachdem wir diesen furchteinflößenden Moment bei Rock On The Range hatten. Das passierte ja direkt vor dem Albumprozess. Wir diskutierten auch bei "Silence In The Snow" über Screams und hätten fast welche draufgepackt. Der einzige Grund, warum wir es nicht taten, war, dass wir nicht wussten, ob Matt in der Lage dazu wäre. Sollten wir es riskieren und stünden dann im Zweifel mit Songs da, die wir nicht spielen können? Oder wollen wir den Weg ohne Screaming einschlagen? Wir mussten uns damals entscheiden. Inzwischen hat Matt live eine neue Screaming-Technik eingearbeitet. Es fühlte sich natürlich an, wieder darauf zurückzukommen. Und im Endeffekt kommt es immer darauf an, was ein Song braucht. Auf "The Sin And The Sentence" finden sich ebenso Songs ohne Shouts: "The Heart From Your Hate", "Endless Night". Zu shouten, nur damit es drin ist, bringts auch nicht. Wir haben übrigens öfter Scream-Parts wieder rausgenommen. "Betrayer" hatte ursprünglich Screams in den Strophen. Aber als ich das hörte, dachte ich mir: "Mh, es klingt, als müsste hier Gesang stehen." Wir probierten beide Varianten aus und haben uns für die bessere entschieden.
Hast du stimmlich an etwas Bestimmten gearbeitet, Matt? Vor "Silence In The Snow" hattest du intensiv Gesangsunterricht, wenn ich mich recht erinnere.
Matt: Ja, nachdem ich meine Stimme ruiniert hatte, musste ich Singen und Screamen komplett neu lernen. Bis dahin hatte ich mein Leben lang falsch gescreamt und zumindest halb-falsch gesungen. Wenn wir zuhause sind, üben alle Bandmitglieder. Bei mir sind es dann fünf Tage die Woche vier Stunden Singen und Screamen und Sicherstellen, dass alles richtig ist, um live nicht darüber nachdenken zu müssen. Heute fällt es mir leicht, live zu singen und zu schreien. Früher habe ich mir ständig Sorgen gemacht, ob ich das Set und die Tour durchstehe. Klar, hast du solche Gedanken immer noch irgendwo im Hinterkopf, aber genau dafür nimmst du ja all die Vorbereitung auf dich. Im Studio nutzte ich übrigens trotzdem die alte Screaming-Technik, weil sie besser klingt. Aber wir schoben die Aufnahmen ganz ans Ende. Live hört man keinen Unterschied.
"Wir üben total gern"
Gabs ein Ziel, das ihr mit dem Album erreichen wolltet – nicht nur auf den Gesang bezogen, sondern auch was die Instrumentalparts angeht?
Paolo: Wir mussten insgesamt lernen, loszulassen. Wir wollten die Riffs nicht ständig hinterfragen und auch nicht von anderen hinterfragen lassen. Wenn wir drei fanden: "Das ist badass", dann blieb es so. Das war Gesetz für dieses Album. Es fühlte sich richtig an. Wir sind schon so lange dabei – wir verstehen unsere Musik, wir verstehen, was es brauchte, uns an den heutigen Punkt zu bekommen. Wir kennen unsere Einflüsse, die Bands, die uns als Kids inspirierten. Wir kennen uns im Metal aus, wir wissen, wie wir spielen müssen. Wir brauchen keine Experten, die uns sagen, was wir tun sollen. Wir müssen einfach unser Ding durchziehen. Wir schrieben die Songs, wir probten gemeinsam, wir absolvierten Pre-Production, probierten gewisse Dinge aus – siehe das "Betrayer"-Beispiel. Wir mussten das selbst durchleben, um zu wissen, wie die Songs sein sollen. Dann holten wir Josh hinzu, dessen Aufgabe es war, das Bestmögliche rauszuholen. Wir brauchen jemanden, der einen Punkt hinter Dinge setzt, vielleicht hie und da sagt: "Das könnt ihr besser". Josh war der finale Tester. Im vorangehenden Prozess war es sehr wichtig, zu wissen, dass uns niemand beim Songwriting reingrätscht. Ich habe das Gefühl, bei einem Song wie "Into Oblivion" wissen nur wir drei, warum gerade diese Riffs kombiniert werden sollten. Wir verstehen uns in dieser Hinsicht einfach. Es wäre schwierig, jemanden hier dazuzuholen, der Metal auf andere Weise hört oder versteht wie wir. Wenn die Leute, das Album hören, werden sie sagen: "Das sind die Trivium, die ich kenne."
Das Album ist gewissermaßen eine Mischung des stripped-down Materials à la "Silence In The Snow" und "In Waves" und komplexeren Werken wie "Shogun".
Matt: Die Platte fasst gut zusammen, was Trivium ausmacht. Es ist eine Mischung aus allem, was wir richtig machen.
Paolo: Wir gehen aber nie an einen Song heran, mit der Absicht, Elemente dieses und jenes Albums zu vermischen. Sowas passiert ganz natürlich. Das liegt an unserem Songwriting-Stil. Wir verlassen uns einfach auf das, was wir sind. Wir fühlten uns gut, als wir die Songs gemeinsam spielten. Das ist immer ein gutes Zeichen. Als wir ins Studio gingen, stand nur noch die Frage im Raum, ob wir sie auch so gut klingen lassen können, wie wir sie fühlten. In diesem Punkt mussten wir Josh vertrauen. Er ist ein Zauberer. Das ist der beste Sound, den wir jemals hatten. Ich freue mich darauf, wenn die Leute es hören. Bevor die Single "The Sin And The Sentence" erschien, wusste ich nicht, wie sie reagieren würden. Ich hatte zwar ein gutes Gefühl, aber die anschließende positive Energie, bestätigte dann doch nochmal. Wenn ihr den Song mögt, werdet ihr begeistert vom Rest sein.
Matt, als wir uns im Vorfeld zu "Silence In The Snow" unterhielten, sagtest du, dass ihr drauf steht, nach jedem Album die Crew zu wechseln. Josh ist jetzt zum zweiten Mal dabei. Wieso?
Matt: Als wir mit der neuen Platte anfingen, analysierten wir sehr genau, was wir bisher schon gemacht hatten. Was hatten wir richtig gemacht, was falsch? Wir stellten fest, dass uns die Alben am besten gefielen, bei denen wir selbst die Zügel in der Hand hatten – die, für die wir alles vorbereitet hatten, als wir ins Studio kamen. Bei "Silence In The Snow" und "Vengeance Falls" verfolgten wir den Ansatz, uns Dinge offen zu halten und mit dem Produzenten ändern zu können. Sowas ist auch wichtig, einige Bands arbeiten hervorragend so. Als wir das durchgezogen haben, lief es auch super und wir lieben beide Alben nach wie vor. Aber zumindest ich merkte jetzt, dass meine Lieblingsalben "In Waves", "Ascendancy" und "Shogun" sind. Das sind die Alben, die wir als Band fertig hatten, bevor der Produzent damit in Berührung kam. Als wir ins Studio kamen, hatten wir schon eine fette Pre-Production, alles stand. "Shogun" war vielleicht etwas weniger vorbereitet als "In Waves" und "Ascendancy"...
Paolo: Nein, "Shogun" brauchte verdammt lang. Daran erinnere ich mich noch gut, weil Nick (Raskulinecz, Produzent; Anm. d. Red.) nach einer Woche sagte: "Leute, ihr seid noch nicht soweit." Also hängten wir noch eine zweite Runde Pre-Production dran. Ich finde, das war eine super Erfahrung. Die meisten hätten wohl gesagt: "Okay cool, packen wirs ins Studio." Das war eine Lektion in Demut. Nach "The Crusade" brauchten wir glaube ich jemanden, der uns das sagt. Seitdem proben wir dauernd. Das ist wahrscheinlich eher ungewöhnlich, aber wir proben und üben total gern. Es klingt immer so, als würden andere Bands das nicht so gern tun. Das kriegst du dann auch über die Produzenten mit. Sie erwarten, einen Eiertanz aufführen zu müssen. Wir proben lieber gescheit und präsentieren ihnen dann, was wir haben. Für mich macht genau das aus, in einer Band zu spielen. Damit fängst du doch auch an. Bevor du Plattendeals unterschreibst und Shows spielst, ist alles, was du tust, üben. Das ist deine einzige Möglichkeit, Musik zu machen. Das ist 101. Wenn du das nicht machst, machst du's nicht richtig. (lacht)
Wenn du nicht probst, kriegst du eben auch keine Gigs.
Paolo: Richtig. Und ich muss im Raum mit den anderen sein, um eine Idee präsentieren zu können. Ich hab' etwa nicht Vocals aufgenommen und sie dann Matt beigebracht, sondern wir waren zusammen da, ich sang es vor, Matt sang es nach und dann veränderten wir Teile davon. So entstand "The Sin And The Sentence". Das Riff, das ich ursprünglich als Strophe gedacht hatte, wurde zu einem Bridge-Riff, das uns in den Mittelteil führt. Also mussten wir die Strophe umschreiben, weil es sonst nicht mehr mit den Vocals funktioniert hätte. Der einzige Weg, sowas rauszufinden, ist, zusammen zu spielen. Es gibt eine Million verschiedene Wege, den Song zu gestalten. Wäre Josh dabei gewesen, hätten wir vielleicht eine ganz andere Richtung eingeschlagen. Hätten wir es nicht zuerst im Proberaum gespielt, hätten wir vielleicht im Studio diese Idee erzwungen, die niemals funktioniert hätte, nur um dann live festzustellen, dass es einfach nicht hinhaut. Du lernst eine Menge im Proberaum. Das ist dein Labor. Unser Stift und Papier sind Gitarren, Schlagzeug und Bass. In diesem Raum packen wir alles zusammen und testen. Alle Songs des Albums spielten wir sehr oft im Voraus. Danach wusste ich, "The Sin And The Sentence" wird sich live gut anfühlen. Es gab keinen Zweifel. Er war quasi schon Teil des Sets. Mit diesem Gefühl gingen wir ins Studio und nahmen alles in 15 Tagen auf. Wir wussten, was wir tun. Viel ist auch Alex zu verdanken – er ist ein Wahnsinns Studiodrummer.
Angeblich hat er alles in One-Takes aufgenommen. Stimmt das?
Paolo: Hat er. Für "The Sin And The Sentence" hat er zwei Aufnahmen gemacht – jeweils start to finish. Den ersten davon haben wir genommen. Alex ist großartig live, aber im Studio wurde er noch besser. Sobald du den Record-Knopf drückst, schrumpfen einige Leute total in sich zusammen, andere wiederum blühen auf. Auch da war aber sicher ebenfalls die Vorbereitung der Schlüssel. Ein Typ wie Alex ist gewohnt, nicht viel Zeit zum Proben zu haben, bevor es ins Studio geht. Er ist zack fertig. Und dann kam er zu uns, die wir so viel proben, und hatte alle Zeit der Welt. Klar dass er das nailt. Wir wollten den Recording-Prozess eigentlich dokumentieren, aber das halbe Album hatte er schon im Kasten, bevor wir überhaupt Kameras rangeschafft hatten.
Matt: Wenn ich mich recht erinnere, brauchten wir für Schlagzeug drei Tage, Gitarren zwei Tage, Bass einen Tag. Die Vocals liefen so schnell, dass Josh meinte: "Hey, wir haben Zeit und je länger du das machst, desto besser wirst du." Also haben wir sie nochmal aufgenommen, es wurde wieder besser und wir machten noch einen Durchlauf. Im Endeffekt trackten wir die Main-Vocals ganze dreimal. "Endless Night" habe ich sogar viermal eingesungen.
Paolo: Diese Praktik hat er uns auch im Vorfeld schon angekündigt. "Ihr werdet sehen", meinte er, "die Vocals werden besser. Es mag sein, dass wir alles nochmal aufnehmen und einige Tracks vielleicht sogar noch ein drittes Mal." Wir brauchten auch nicht jeweils acht Takes pro Part, sondern meistens wussten wir sofort: Das ist es. Kleine Randnotiz zum zweischneidigen Schwert Pro-Tools: Heutzutage musst du niemals aufhören. Es gibt immer Details, die du besser machen kannst. Es ist endlos. Wir achteten diesmal darauf, uns nicht so sehr reinzusteigern. Es gibt immer noch bessere Takes, aber manchmal muss man auch einfach sagen: "Das klingt gut, passt. Nächster Part." Das hält das Tempo hoch. Du darfst nicht alles überdenken, du musst irgendwann aufhören.
"'Endless Night' komponierte ich für eine Fitness-Company"
Ein Song des Albums, "The Wretchedness Inside", schwirrt schon ein paar Jahre im Netz herum. Warum habt ihr euch dazu entschieden, ihn jetzt neu aufzunehmen?
Matt: Eine Band – ich werde nicht sagen welche – kam auf mich zu und wollte, dass ich einen Song für sie schreibe. Ich schrieb einen ersten Song, der nicht gut genug war. Dann schrieb ich einen zweiten Song – "The Wretchedness Inside". Vocals, Lyrics, alles davon war exakt so für eine andere Band gedacht. Aus irgendeinem Grund haben sie ihn dann aber nicht verwendet. Also veröffentlichte ich ihn selbst, schließlich steckte eine Menge Arbeit drin. Meine Kollegen meinten dann irgendwann, dass das Stück es doch aufs nächste Album schaffen könnte und wollten es überarbeiten. Wir hockten uns ran, veränderten Kleinigkeiten, was den Song aber viel besser macht. Paolo half mir, den Text zu verbessern. Zusammen mit "Thrown Into The Fire" ist das wohl der heavieste Song der Platte. Ich mochte den Song schon immer. Und aus irgendeinem Grund schreibe ich besser, wenn ich nicht versuche, für etwas zu schreiben. Mit 'etwas' meine ich etwas für Trivium. Die Urfassung von "Endless Night" komponierte ich ursprünglich für die Fitness-Company eines Freundes. Auch da kamen die anderen an und meinten: "Hey, der Song ist toll, lass uns das überarbeiten und in einen Trivium-Song verwandeln." Mein bestes Material entsteht immer dann, wenn ich für anderes Zeug schreibe.
Apropos anderes Zeug: Was macht dein Black Metal-Projekt?
Matt: Haha, aktuell gar nichts. Ich bin so beschäftigt mit Trivium und Ihsahn ist ebenfalls ziemlich busy. Irgendwann ist es soweit! (lacht)
Nebenbei betreibst du ja auch deinen YouTube-Kanal, wo du Letsplays und ab und an Cover-Songs hochlädst – nach Chester Benningtons Tod auch Linkin Parks "One More Light". Letztes Jahr habt ihr euch beide für die You Rock Foundation engagiert. Was ist denn euer Standpunkt zur aktuellen Mental Health-Situation und dem öffentlichen Echo?
Matt: Für mich ist das Thema genauso wichtig wie körperliche Gesundheit. Die Leute betonen immer wie wichtig körperliche Gesundheit ist, vergessen dabei aber ein wenig die geistige. Es ist genauso wichtig, sich um seinen Geist zu kümmern wie um seinen Körper. Zumindest in den Staaten gibt es immer noch dieses Stigma à la "Reiß dich zusammen." Ich weiß nicht, ob das in Deutschland genauso ist?
Ich denke schon, ja.
Matt: Das ist oldschool Macho-Style und echt nicht nötig. Deswegen machen wir Musik. Wir ermuntern unsere Fans immer, Negatives mit Kreativem zu kompensieren. Es ist definitiv wichtig, Schlechtes anzusprechen, aber genauso wichtig ist es, mit Positivem dagegen anzusteuern. Einfach nur zu sagen: "Hey, mir gehts nicht gut" und es dabei zu belassen, hilft dir nicht weiter. Du brauchst etwas, um dich besser zu fühlen. Mach Musik oder etwas anderes Künstlerisches – irgendwas für dich.
Paolo: Reiß dich vom Computer los, häng mit deinen Freunden ab. Rede mit Leuten, und zwar von Angesicht zu Angesicht. Das ist wichtig. Ich glaube, viele verstehen nicht so ganz, dass obwohl wir alle über unsere Handys verbunden sind, mit deinen Freunden zu texten nicht dasselbe ist, wie mit ihnen abzuhängen. Es scheint, als würde geistige Gesundheit gerade in unserer modernen Gesellschaft immer mehr zum Thema werden, deshalb ist wohl der beste Rat: Wenns dir nicht gut geht, halte dich an Freunde, nimm an der Welt teil, mach Erfahrungen, lerne sie zu genießen. Sieh uns als Band zum Beispiel an: Wir sind eine fest zusammengehörende Gruppe. Wir unternehmen gemeinsam was. Das ist für mich persönlich sehr wichtig. Was sehr gefährlich für Bands werden kann, ist, wenn sich die Mitglieder auf Tour zunehmend isolieren. Jeder braucht seinen Raum, aber du brauchst auch Gesellschaft – sei es nur ein Abendessen mit der Crew, um zu lachen und Spaß zu haben. Sowas stellt dein Hirn wieder ein. Denn wenn du dich jeden Tag in derselben Art Venue aufhältst, ständig genau dasselbe tust und so weiter, kann das sehr isolierend wirken. Ich habe erlebt, wie Leute sich immer weiter zurückziehen. Wenn du das siehst, musst du sie einbeziehen. Etwas mit deinen Freunden zu unternehmen kannst du durch nichts ersetzen.
All das spielt ja auch in eure Texte mit rein.
Paolo: Auf jeden Fall. Bei "Endless Night" zum Beispiel. Die Idee dazu kam mir wegen des Buches "Tribe" von Sebastian Junger. Es geht um Kriegsgebietserfahrungen. Er beschäftigte sich mit den Leuten, die er dort traf. Ein wichtiges Thema im Buch ist, dass diese Leute zwar Schreckliches erlebt hatten, aber das in einer Gruppe. Gemeinsame Erfahrung verbindet Menschen. Und auch wenn sie jetzt aus der schlimmen Situation raus sind, vermissen sie doch die dort erlebte Gemeinschaft. Diese Gruppendynamik hat mich zu "Endless Night" inspiriert: Du bist dafür bestimmt, zusammenzusein, Probleme zusammen zu durchstehen. Im Kern des Songs steht der Mythos, PTSD würde einzig aus traumatischen Ereignissen resultieren. Aber ein Teil davon ist auch in der Kameradschaft verwurzelt. Es geht um die Ironie, eigentlich in Sicherheit zu sein, aber trotzdem etwas von der gefährlichen Situation zu vermissen. Das lässt sich auch auf andere Dinge übertragen, etwa Naturkatastrophen. In schlimmen Situationen kommt das Beste im Menschen zum Vorschein. Leute helfen einander. Der Tsunami in Japan führte nicht zu Chaos, sondern zu Ordnung. Sowas ist häufig zu beobachten. Das ist das menschliche Wesen – nicht, sich zu isolieren und immer allein zu handeln, obwohl du mit Millionen anderen verbunden bist.
Noch kurz zu "The Revanchist": Revanchismus bezeichnet ja eine politische Einstellung – habt ihr den Song auch als politisches Statement geschrieben?
Paolo: Ja, schon irgendwie. Was wir zurzeit in der Welt erleben, ist im Grunde nichts wirklich Neues. Nur die Technologie, die drumherum gewickelt ist, ist vielleicht neu. Trotzdem fühlt es sich an, wie ein Moment zwischen Tür und Angel für die Welt. Vermutlich stehen wir das durch. Momentan wirkt es so, als wäre jede Menge angestautes Schlechtes – wo immer das herkam – auf die Welt losgelassen worden. Es ist wichtig, diesen Dingen ins Auge zu blicken. Wir dürfen sie nicht ignorieren. Wir müssen aus der Geschichte lernen und dürfen keine Angst haben, sowas zu konfrontieren.
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