laut.de-Kritik

Nick Caves Storytelling-Talent und Johnny Cashs Düsternis.

Review von

Am Anfang ist der Wind. Deutlich zu hören, überspielt von einer Gitarre und einem Pfeifen, und das Hirn fängt an, Bilder zu malen. Eine Ebene, über die der Wind fegt. Der Film im Kopf zeigt eine weiße Kirche im Hintergrund. Eine Horde wilder Reiter mit großen Schnurrbärten und noch größeren Sombreros reitet Unheil verkündend auf die Kirche zu, in dem Moment, als die Hochzeitsgesellschaft vor die Tür ins gleißende Licht tritt. Die Braut ist wunderschön, der Bräutigam stolz, ganz in Schwarz gekleidet. Er ist geblendet vom Licht und vom Glück, so dass er sein Ende nicht gleich sieht. Er muss sterben, und als er die Reiter sieht, weiß er das auch.

Doch das ist kein Spaghettiwestern, und nach einer guten Minute legen Two Gallants los. Sie singen, oh Wunder, von Sünde und Verbrechen. Murder Ballads. Love God Murder. In der Tat erscheint es, als hätten sie das Storytelling-Talent eines Nick Cave und die Düsternis eines Johnny Cash mit der Muttermilch aufgesogen. Der großartige Auftakt "Las Cruces Jail" weist weitere Parallelen mit dem Man in Black auf: Two Gallants singen davon, sie hätten eingesessen, wegen Mord. Folsom Prison, ick hör dir trapsen.

Two Gallants einen Abklatsch zu unterstellen, wäre allerdings ein kollossaler Fehler. Im Gegenteil, das Duo Stevens und Vogel entwickelt eine überzeugende songwriterische Eigenständigkeit, die zwar Parallelen zulässt, aber genauso den Hörer nie die Originalität des Geschaffenen anzweifeln lässt. Country und Folk ist musikalisch ein Einfluss, das Songwriting eines ziemlich versoffenen Dylan ebenso wie die Intensität eines Conor Oberst. Jeder Song erzählt eine Geschichte, traurig, hoffnungslos und herzzerreißend schön.

Geschichten von gefallenen Charakteren ("Some Slender Rest"), von Verfehlungen ("Las Cruces Jail"), düsteren Abgründen, die man besser nicht näher kennt ("Long Summer Day") und vergangenen Lieben ("Threnody In Minor B"). Von Geborgenheit und Verlust. Dankenswerterweise kümmern sich die Zwei ungehobelten Barden nicht um ein drei Minuten dreißig Sekunden-Songgerüst, sondern geben den Stücken Zeit, sich zu entwickeln. Epische Geschichten brauchen eine epische Ummantelung. Wenn man den rauhen Stimmen lauscht, vergehen auch neun Minuten wie im Flug.

Two Gallants beweisen ein traumwandlerisch sicheres Gespür für den richtigen Ton, beim Klagelied "Threnody" ist einem wirklich zum Heulen, wenn man am Ende endlich versteht, worum es hier geht. Wenn die Schmerzensschreie verhallen, das Klagen verebbt und die Frage im Raum hängen bleibt: "Could that be you my love, your dust upon the wind?" Musikalisch brechen sie nur selten aus aus den ruhigen Tönen, zum Beispiel bei "16th St. Dozens", wenn sie sich in einer kakophonischen Noiseattacke verlieren und zum Schluss über lärmigen Folkpunk zu Skapunk finden.

Mit ihrem zweiten Album "What The Toll Tells" ist Two Gallants gleich ein ganz großer Wurf gelungen. Ein nicht unbedingt leicht zugängliches Album, das aber mehr Freude bereitet, je öfter man es hört. Das einem sicher auch noch beim fünfzigsten Hören einen Schauer den Rücken herunterjagt. Und das wieder einmal zeigt, dass man nicht unbedingt einen Bass braucht, um großartige Soundwelten zu kreieren.

Trackliste

  1. 1. Las Cruces Jail
  2. 2. Steady Rollin'
  3. 3. Some Slender Rest
  4. 4. Long Summer Day
  5. 5. The Prodigal Son
  6. 6. Threnody In Minor B
  7. 7. 16th.St. Dozens
  8. 8. Age Of Assassins
  9. 9. Waves Of Grain

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Two Gallants – What the Toll Tells €16,36 €3,00 €19,36

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Two Gallants

Es gibt sie noch, die Bands, die wirklich ganz klein anfangen. Two Gallants sind eine solche - in zweifacher Hinsicht. Adam Stevens und Tyson Vogel kennen …

39 Kommentare

  • Vor 18 Jahren

    @yasmin (« Am Anfang sehr schwer zugänglich für mich,aber seit eben bin ich endlich hin und weg.

    Musik,die dich liebevoll streichelt.Wow. »):

    Ich versteh nicht was an der Musik schwer zugänglich sein soll...

    War beim ersten Hören von Las Cruces Jail hin und weg und die knapp 10 Minuten Stücke haben auch extrem schnell gezündet aufgrund ihrer schweren Melancholie.

    Der wohl beste Song ist in meinen Augen trotzdem 16th St Dozen wegen der extremen Lautstärkeschwankung, ich LIEBE extreme Lautstärkeschwankungen ;).

    A propos, kann mir wer ein paar Tips bezüglich Bands geben, die oben erwähne LAUTSTÄRKESCHWANKUNGEN (3 mal benutzt in 2 Sätzen, ich bin gut ;) ) ebenfalls so toll einsetzen?

  • Vor 18 Jahren

    Je länger ich das Album höre, desto sinnloser erscheinen mir irgendwelche Vergleiche. Die sind doch im Prinzip in jeder Hinsicht ihre eigene Kategorie. Bislang das Top-Album 2006 für mich und sehr unwahrscheinlich, dass sich das noch ändert. Da müsste ja ein regelrechtes Wunderwerk daherkommen.... Mein Lieblingstitel (nach längerer Einhörzeit) übrigens: Threnody in Minor B.

  • Vor 18 Jahren

    Die Jungs sind im Dezember ja in Münster. Ich komm nicht drum herum sie mir anzusehen ;). Und 12€ für eine Karte... geschenkt und hinterhergeworfen.
    Allerdings, haben die jetzt nicht ein online-only Album released? Und ihren Erstling muss ich mir vor dem Konzert auch intensiv geben. Man muss ja mitsingen können ;).