2. Dezember 2016

"Drei Bambis wären schon Massentierhaltung"

Interview geführt von

Mitternachtsaudienz bei Udo Lindenberg, natürlich im Hotel Atlantic in Hamburg – so viel Etikette muss sein.

Bevor der Panikrocker aber zum Gespräch bittet, lädt er noch eine Handvoll Journalisten zum Filmschauen ins Hotelkino ein, Eierlikör und andere Erfrischungen stehen schon bereit. Als ich – ein wenig zu früh – reinkomme, sitzt Udo bereits in der ersten Reihe, alleine, in voller Montur. Natürlich raucht er Zigarre. Alles stilecht, Amigo.

2016 war ein gutes Jahr für Lindenberg. Neues Album, Nummer Eins, viele Ehrungen, dann das Buch von Stuckiman, in dem ihm als Idol, Projektionsfläche und Freund in der Not ein Denkmal gesetzt wurde. Der Grund des Treffens heute Abend ist aber die neue Tour-DVD „Stärker als die Zeit (live)“, ein Mitschnitt von Panikmessen im Stadion mit Raketen, UFOs, großen Hits und prominenten Gästen. Udopium für's Volk, straight vom Dealer höchstpersönlich.

Udo, danke für die Einladung zur Geisterstunde. Erzähl doch was vom Film, den wir gerade gesehen haben ...

Der Film hat uns eben auch ziemlich geflasht, ich hatte ihn ja eine Zeitlang nicht gesehen. Er ist über vier Stunden lang – eine Trilogie, drei Jahre Stadionshows. Immer wieder anders, immer wieder 'nen Zacken schärfer. Mit vielen Gästen: Bryan Adams, Stefanie Heinzmann, Otto, Helge Schneider, Klaus Doldinger, Till Brönner. Wir haben einen langen Tresen auf der Bühne, da gibt es gute Drinks zum Gurgeln – Eierlikör und Whisky, alles da. Man trifft sich am Tresen, die Gäste hängen schon da, und dann heißt es irgendwann: "Kommst du auf die Bühne? Singst du mal einen mit"? So sessionmäßig. Es ist immer Action auf der Bühne, aber es gibt auch leise Teile, bei denen ich auch alleine singe. Wenn ich mir das so anschaue, dann bin ich gleich in diesem Sog drinnen. Dann denke ich mir, eigentlich müsste das morgen schon wieder weitergehen. Es ist so geil, auf der Bühne zu sein, Stadien zu sehen. Dass das überhaupt alles geht, das wusste ich ja nicht, als wir 2014 damit angefangen haben – da hatte ich noch ein wenig Bammel gehabt, wusste nicht, wie und ob das alles hinhaut. Ob ich luft- und flugtauglich bin, schwindelfrei. Ob die Fluggeräte funktionieren, ob ich nicht hängenbleibe. Es ist eine hochkomplizierte Technik, die zwei Leute koordinieren. Es gibt ja auch diesen Rundflug, bei dem ich durchs Stadion fliege und alle begrüße – ich wollte ja jedem einzelnen Hallöchen sagen. Persönlich. Ich wollte keine anonyme Masse, ich wollte direkt rein, über die Augen durch die Seele.

Du hast gesagt, live zu spielen ist dein Eldorado.

Ja, das ist für mich das Schönste, das es gibt. Früher dachte ich, Stadien wären mir zu anonym. Jetzt habe ich festgestellt, nein, das kann auch ganz intim, ganz nah sein. Es gibt da eine totale Intensität, auch wenn die Leute ein Stück entfernt sind. Das zu spüren: Diese Erfahrung hatte ich bis dahin noch nicht gemacht. Eine große Fantasy-Show mit Raketen, Ufos, vielen Leuten… ein bisschen wie angetrunkene Kinder. Ein tolles Abenteuer.

"Nur über heile Welt zu singen, schätze ich nicht"

Gerade hat man dir ja wieder mal einen Bambi fürs beste Album gegeben – überreicht hat ihn dir Sting. Den fürs Lebenswerk hast du ja längst in der Tasche. Bedeuten dir Preise überhaupt noch etwas?

Ein Bambi ist okay, zwei Bambis sind okay – mehr als drei braucht man nicht, dann wäre das ja schon Massentierhaltung. Aber ich fand es schon schön, vor allem dass Sting mir den so liebevoll überreicht und so freundschaftlich gesprochen hat. Rock'n'Roll ist ja auch eine Family – und in der neuen Generation spielt keine Rolle mehr, wie alt man ist. Wir gehen auch noch mit 80 auf die Bühne, wenn’s geht auch mit 90. Ich hab ja auch den Club der 100-Jährigen schon gegründet. Rock’n’Roll hält uns frisch. Ich schätze Sting sehr und fand es sehr berührend, was er gesagt hat. Auch die Begegnung, ich kannte ihn vorher nicht so richtig. Preise – ja, das ist manchmal schön, Saison der Preiselbeeren und so… Kenn ich zwar alles, ist aber trotzdem schön. Ich werde jetzt ja auch Düsseldorfer des Jahres. Ich häng mir jetzt aber nicht die ganzen Orden irgendwo hin. Bis auf Grammys oder Oscar hab ich ja alles.

Du hattest vor kurzem auch mal Schlagersänger wie Helene Fischer dazu aufgefordert, politisch Stellung zu beziehen.

Ich habe damals gesagt, ich wünsche mir dass die Kolleginnen und Kollegen aus der anderen Abteilung der Popmusik, dem Schlager, nicht immer nur einen auf heile Welt machen. Es gehen ja auch Katastrophen ab, und die haben ja wahrscheinlich auch mal eine Meinung, die können sie auch mal äußern. Leute, die Öffentlichkeitsjongleure sind. Diese ganzen rassistischen Pöbeleien, die derzeit passieren: In einem Land mit einer Geschichte wie die von Deutschland, da gehört das einfach nicht rein. Ich würde mir wünschen, dass aus der Schlager-Ecke da auch mal Statements kommen. Es ist nicht so, dass ich das jetzt von Helene Fischer fordere. Es war als Wunsch geäußert. Leute, die immer nur über die heile Welt singen: Das ist ein Berufsstand, den ich nicht sehr schätze. Der reine Entertainer, der rein dazu da ist die Leute zu unterhalten, wie damals im Kino – mach dir ein paar schöne Stunden, vergiss' die Welt da draußen – das halte ich für einen läppischen Beruf. Leute wie wir, wie Grönemeyer – wir singen über’s ganze Leben, und es gibt eben auch Politik, Entwicklungen. Es ist mir lieber, wenn sie ihre Stimme erheben, auch wenn es eine Schlagerstimme ist. Gegen den Scheiß, der hier läuft im Land.

Ist die derzeitige Popmusik zu brav geworden?

Ja. Viele achten zu sehr drauf, dass alles radiokompatibel ist. Sich hinstellen und sagen: "Ich gehe eisenhart meinen Weg und ich krieg das auch hin": Solche Radikalinskis gibt es leider wenige. Einfach so vom Acker in die großen Städte losziehen und sagen "Ich bin gekommen, um das hier zu bringen", das sehe ich selten. Wenn es welche gäbe, dann könnte ich nicht singen "Einer muss den Job ja machen". Ich muss den Job aber ja immer noch machen. Da muss ich nochmal ran auf meine alten Tage, ist schließlich kein anderer da. Liedermacher vielleicht, aber Rockstars nicht. Ich mach das jetzt auch noch 20, 30 Jahre. Rock’n’Roll hält dich ja gut frisch, sagt ja auch Sting. Kopf-, aber auch bodymäßig. Die Geisterstunde ist für mich ja zum Joggen da. Eine mysteriöse Gestalt mit Tarnmütze schneidet den Wind. Das hält mich fit, sonst könnte ich die Shows auch gar nicht bringen.

Aber heute, nach unserem Gespräch, gehst du nicht mehr joggen, oder doch?

Nee, heute mal nicht (lacht). Nicht jede Nacht. Aber vor dem Touren immer, zwei Monate durch, jeden Tag. Du musst dich auf den Körper total verlassen können, wenn du dich auf dieses Ufo-Ding draufstellst. Du musst dir seiner Sache total sicher sein. Aber auch deiner Psyche. Auf dem Fluggerät, in dem Moment bist du allein. Dann denkst du „Auf was habe ich mich da wieder eingelassen“. Man muss wohl ganz schön verrückt sein. Aber je verrückter, desto normaler bei uns. Würde ich mir auch bei den Jungen wünschen: Mehr Crazyness, mehr Verrückte, mehr Radikale. Siehst du da etwa welche?

"Es gibt zu viele angepasste Dröner"

Wir haben bei laut.de die Musikbücher des Jahres gewählt, und da kam natürlich auch ein Buch deines Freundes „Stuckiman“ vor, wie du ihn nennst - "Panikherz" von Benjamin Stuckrad-Barre. Wie war's für dich, das Buch zu lesen?

War geil, sehr gut. Ich war ja dabei beim Entstehungsprozess, beim Startprozess. Wir waren zusammen in L.A. Ich habe gemerkt, dass ist in ihm, das ist ready, das muss er jetzt los werden. Ich habe ihm dann geraten, er soll noch ein wenig in L.A. bleiben, in dieser Leichtigkeit. Klar, es gibt in Los Angeles auch andere Gegenden, aber dort am Sunset Strip hat alles irgendwie eine Leichtigkeit, aber auch eine Tiefe. Diese mysteriöse Geschichte, die in einem Hotel wie dem Chateau Marmont gelaufen ist: große Schriftsteller, große Storys, Starmythen… Mythen mit Hüten, aber auch ohne Hüte. Das hat ihn sehr inspiriert.

In der Talkshow „Willkommen Österreich“ sprach er über deine erste Reaktion auf das Buch – die war laut ihm: „Geht gut ab!“

Ja, geht aber auch gut tief. Er schreibt gnadenlos über das Ausloten seiner Abgründe, seiner Tiefen. Es gibt nicht viele Leute, die sich das trauen. Darüber zu schreiben ist nochmal ein anderes Thema. Soweit in sich hinein zu schwimmen – viele kommen da nicht mehr hinaus, bleiben auf der Strecke, kratzen ab. Sich so auf die Liebe zu den Wirkstoffen einzulassen, auf das Ausprobieren. Deswegen ist das Buch so gut angekommen, viele Leute finden es einfach interessant und kokettieren auch damit, mal mit der Taschenlampe in die eigenen Untiefen der Seele runter zu leuchten. Er hat's gemacht, und da spiele ich natürlich eine große Rolle. Es ist ja auch ein Buch übers Leben und er beschreibt, wie man sich eben gegenseitig hilft, da wieder rauszukommen. Das muss man mit sich selbst abmachen, dass man da wieder rauskommt, aber gute Freunde können natürlich hilfreich sein. Und darüber schreibt er: Über unsere Freundschaft, aber auch meine Abgründe und Tiefen, in die ich runtergerutscht bin.. Er hat ja auch eine lange Zeit kein Buch veröffentlicht, aber jetzt ist er so richtig nach oben geschossen, und das war für ihn wichtig. Das Grundnahrungsmittel für den Künstler ist ja immer noch Anerkennung. Ich hab ihn ja auch erlebt, seine Lesetour wird echt gefeiert, es ist sehr toll. Er ist ein sehr guter Freund, und ich freu mich sehr für ihn, dass es so gut abgeht.

Eine letzte Frage: Was können wir uns von dir 2018 erwarten?

Ich bin ja eine Art Drogendealer, ich muss den Leuten das Udopium bringen. Der Virus zieht ziemliche Kreise, und es gibt auch Landstriche, wo wir noch nicht mit dieser Show waren, weil die keine Stadien hatten. Jetzt gehen wir in die Arenen und machen 25 Shows. Es geht um das Zusammenleben der Panik-Familie, das ist ja eine Art WG, enge Freundschaften. Diese Art zu leben finden wir alle so toll. Nach dem letzten Konzert in Leipzig lagen wir uns in den Armen und haben geheult. Die Fans brauchen das wie'n Grundnahrungsmittel, die brauchen Udopium. Wenn's nicht mein Beruf wär, wär's mein Hobby und ich würde es auch machen, weil es ist meine Art zu leben – mit denen zusammen. Das Publikum ist die erweiterte Panikfamilie, die haben einen ähnlichen Groove drauf. Die feiern das ja: locker, crazy. Da geht's auch darum, einen Freistil zu entwickeln, die individualistische Selbsterfindung. Wir brauchen Originale, Paradiesvögel, Leute, die sich etwas trauen. Es gibt zu viele angepasste Dröner um uns, auch in der Popszene. Da ist ja nichts Radikales am Start.

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