laut.de-Kritik

Der Graf als Fleisch gewordene Rosamunde Pilcher of Music.

Review von

"Mit dem Gefühl, dass ich für dieses Album die für mich besten Lieder meines Lebens geschrieben habe, wurde mir immer mehr klar, dass ich unbewusst ein letztes Kapitel bei Unheilig aufgeschlagen hatte. (...) In mir reifte der Entschluss, musikalisch Abschied zu nehmen." Diese Zeilen richtet der Graf vor der Veröffentlichung von "Gipfelstürmer" an Fans und Öffentlichkeit und erklärt damit gleichzeitig den Abschied von Unheilig.

Damit gelingt ihm ein mediales und massenpsychologisches Kunststück: Die künstliche Konstruktion eines in Wahrheit nicht existenten Trauerfalls samt Rauschen im Blätterwald plus Heulen und Zähneklappern im Fanlager. Drama, Baby, Drama! Das muss ihm ein deutschsprachiger Künstler erst einmal nachmachen. Doch der Tränenfluss ist nicht angebracht. Denn dahinter steckt lediglich das Ende eines Projekts. Als getriebener Vollblutmusiker wird er sicherlich ins Rampenlicht zurückkehren und nicht den Rest seiner Tage Golf spielen oder Ananas züchten.

Freuen wir uns bis dahin über die Erholungspause von Unheilig und gönnen ihm den Rückzug ins Private. Wer wirklich einen Grund zum Weinen haben möchte, der mag einfach diese Abschiedsplatte ohne Skiptaste hören. Der Schwulst ganzer Jahrhunderte tropft aus diesen 16 Liedern. Es klingt so pathetisch, als träfen sich Liberace und Elton John bei der Telefonseelsorge, um ein Schlager-Tribute für Rammstein zu machen.

Der rote Faden des nunmehr dritten Konzeptalbums in Folge ist schnell erzählt. Dieses Mal muss die Bergwelt tatsächlich und metaphorisch herhalten. Die Landschaft bietet dem saftlosen Mutter Theresa-Rock genau jene Projektionsfläche, die des Grafen Hang zum immer gleichen Plattitüden-Muster reflektiert. Holzschnittartige Zeilen kulminieren in den immer gleichen Durchhalteparolen, bei denen Graf Unheilig vor allem eine einzige Emotion transportiert: Die Ergriffenheit von sich selbst. "Lass uns dafür leben, einmal dort oben zu stehen. Lass uns bis zum Gipfel gehen." Der einzige Berg, den er hier musikalisch erklimmt, ist Andrea Berg!

Gegen den Fokus auf alles Erreichte wäre im Grunde nichts zu sagen. Denn Showbiz ist Showbiz. Man kann sich solch eine von jeglicher Selbstironie oder Humor befreite Soße indes nur leisten, wenn die Musik gehörig abräumt. Wer darauf hofft, kann sich schon mal zum Abstieg abseilen. Es gibt auf der ganzen Platte weit und breit keine einzige neue musikalische Idee. Stattdessen sorgt das altbekannte Produzententeam Brötzmann, Masbaum und Spremberg zuverlässig für den soundtechnischen Viertaufguss lahmer Schablonentracks, deren Melodien und Rhythmen, schon auf dem letzten Album kaum überzeugten.

Schon die ersten Sekunden machen den Gipfelsturm zur nicht enden wollenden Talfahrt. "Der Berg (Intro)" lockt mit banalem Heimwerker-Synthie und engelhaftem Badadada-Chor vor allem zum Sprung in die Tiefe. "Zeit Zu Gehen" degradiert die eigene Rhythmusgitarre zum Schatten eines Statisten. alle Instrumente mischen sich zum deprimierenden Radiobrei für den örtlichen Heimatfunk. Der perfekte Song für Leute, die im Grunde keine Musik mögen.

Gelegentlich gönnt sich der Graf dann doch Ausflüge gen härteren Rock. Doch auch Lieder wie "Hinunter Bis Auf Eins" zeigen nur das ewige Epigonentum Unheiligs ohne eigene Gesichtszüge. Der Song ist nicht mehr als ein zwillingshaftes Rip Off des Rammstein-Klassikers "Sonne" mit einem Hauch Laibach in den Vocals. Das geht beim besten Willen nicht mehr als Stilmittel durch, sondern hängt irgendwo im Niemandsland zwischen dreistem Plagiat und unfreiwilliger Parodie. So in etwa auch das unerträglich biedere "Goldrausch".

Inmitten dieses Kitsch-Gebirges gibt es die eine oder andere Illusion eines minimalen Lichtblicks. Es sind jene seltenen Momente, in denen das hervorragend gespielte Piano kurz das Ruder übernimmt und dieser abgezockten Orgie marktkonformen Gedengels einen Hauch Seele entgegen schleudert. "Zwischen Licht Und Schatten" ist so ein kurzer Augenblick, der als Instrumental und ohne die rührseligen Vocals ein echter Bringer geworden wäre.

"Doch nichts im Leben ist unendlich" Auch diese unfassbar langatmige Scheibe findet nach "Der Gipfel (Outro)" das ersehnte Ende. Wer alle Stücke des Abschiedswerks von Unheilig hinter sich bringt, hat vom Grafen als Fleisch gewordene Rosamunde Pilcher of Music eines ganz gewiss gelernt: Es gibt einen großen Unterschied zwischen Melodram und Schmonzette.

Trackliste

  1. 1. Der Berg (Intro)
  2. 2. Hinunter Bis Auf Eins
  3. 3. Zeit Zu Gehen
  4. 4. Die Weisheiten Des Lebens
  5. 5. Zwischen Licht Und Schatten
  6. 6. Glück Auf Das Leben
  7. 7. Wie In Guten Alten Zeiten
  8. 8. Alles Hat Seine Zeit
  9. 9. Echo
  10. 10. Mein Berg
  11. 11. Goldrausch
  12. 12. Held Für Einen Tag
  13. 13. Dem Himmel So Nah
  14. 14. Wir Sind Die Gipfelstürmer
  15. 15. Hand In Hand
  16. 16. Der Gipfel (Outro)

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17 Kommentare mit 56 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Damit auch noch ein bisschen was Positives gesagt wird: Das Cover ist echt gut.

  • Vor 10 Jahren

    Vor 3 Monaten
    dein_boeser_Anwalt
    aber wichtig ist mir als autor natürlich die auseinandersetzung mit der musik (nicht mit dem marketing)
    http://www.laut.de/U2/Alben/Songs-Of-Innoc…

    Heute:
    Damit gelingt ihm ein mediales und massenpsychologisches Kunststück: Die künstliche Konstruktion eines in Wahrheit nicht existenten Trauerfalls samt Rauschen im Blätterwald plus Heulen und Zähneklappern im Fanlager. Drama, Baby, Drama! Das muss ihm ein deutschsprachiger Künstler erst einmal nachmachen. Doch der Tränenfluss ist nicht angebracht. Denn dahinter steckt lediglich das Ende eines Projekts. Als getriebener Vollblutmusiker wird er sicherlich ins Rampenlicht zurückkehren und nicht den Rest seiner Tage Golf spielen oder Ananas züchten.

    Kommt wohl doch mehr auf den Künstler an. Hier handeln die ersten drei Absätze vom Markenting. :)

    • Vor 10 Jahren

      nein, aber gut aufgepasst :)
      ein abschiedsbrief ist bislang noch kein marketing aus meiner sicht.
      der schluss liegt zwar nah, aber ich würde nicht so weit gehen, es ihm zu unterstellen. der abschiedsbrief jedoch nimmt direkt inhaltlichen bezug auf diese lieder als "beste songs ever". da war und ist für mich die klammer.

    • Vor 10 Jahren

      So ein Abschiedsbrief ist schon ganz klar Marketing.

  • Vor 10 Jahren

    Der Graf und sein Machwerke sind und bleiben die zu Musik auferstandene Frauenquote. Wie man dessen Platten gefahrlos, ohne Schleimhautemphigoide zu bekommen, hören kann, bleibt mir ein Rätsel. Dass man mit der Ankündigung mit der Musik aufzuhören eine Tour ausverkauft bekommt, hat er aber mehr als begriffen. Carmen Nebel dürfte sich jedenfalls auf höhere Einschaltquoten freuen. Ein Betriebsunfall wie der Graf hat ja auch etwas Samuel Kocheskes.

    • Vor 10 Jahren

      Ich find's ja immer wieder süß, wie sich so Black-Metal-Experten wie du oder JaDeClown auf einem kommerziellen Musikportal wie laut.de verirren, um ihr geschwülstiges Geschwätz zu für sie irrelevanten Interpreten abzugeben. Selbstzweck aus Profilierungsgründen, klar, aber warum?

    • Vor 10 Jahren

      Ach, hör doch auf. Natürlich profiliert man sich, ist doch ganz natürlich. Aber wenn dabei ein wenig Kritik an lebensfeindlicher Mainstream-Mucke rumkommt, nicht übel. Die intellektuelle Unterfütterung mag fehlen, aber seine Ansichten gehen in die richtige Richtung.

    • Vor 10 Jahren

      Außerdem: Ganz so kommerziell ist laut ja nun nicht: Für einen klickgenerierenden Verriss kommen doch fünf Besprechungen von Indie-Künstlern.

    • Vor 9 Jahren

      ach wie süß @ Catch Thirtythree ..man belebt das mainstream phantom wieder. das toschlagargument gegen alles was einem selber nicht gefällt und das vielen anderen gefällt. man hat sich in seiner kuscheligen indie ecke eingerichtet und schaut herablassend auf alles was ausserhalb dieser ecke ist. das iss ja so doll. mainstream ist lebensfeindlich..indie leben rettend. ja klar....so kann man sich den anderen überlegen fühlen. und das scheint ja das wichtigste zu sein ?? dann weiter viel spaß in der "indie .wir sind besser als ihr..kuschel-ecke".

  • Vor 10 Jahren

    Habe gerade diverse Kommentare von Fans deutschsprachiger Musik durch meine Innersynaptische-Orthographie-App laufen lassen und für un-postbar befunden.
    Lässt man Groß- und Kleinschreibung sowie Zeichensetzung ausser Acht, tun sich Inhaltlich und in punkto Satzbau Abgründe auf,die m.M. durch Höhrgewohnheiten überbrückt werden sollten.
    Zeigt Das,wessen Kindes Höhrer von Interpreten der Art des Grafen,Herrn Naidoo's oder Ihrer Mitbewerber um den Platz des peinlichsten deutschsprachigen Barden sind?
    Ich bin eigentlich nur zum Kommentare lesen Hier,was durchaus sehr erheiternd sein kann,werde wohl aber in Zukunft die eine oder andere Duftmarke setzen,um auch meinem Geltungsbedürftnis Luft zu verschaffen,wie so viele Andere Hier....Hier gefällts mir,ich bleibe Mal ein bisschen...und werde mich anpassen und meinen kram nichtmehrkorrektur lesn befor ich poschte..Cheers!

  • Vor 9 Jahren

    Bei dem bekomme ich Krämpfe...

  • Vor 9 Jahren

    leute begreift doch endlich, das ist ganz schleimige Musik, bei der mit billigen Mitteln versucht wird Gänsehautmomente zu vermitteln. Völlig schwammige Texte die Alles und Nichts sagen und irgendeinen melancholischen Pseudopathos mit sich ziehen

    • Vor 9 Jahren

      und das hast du jetzt schon gemerkt? Wauzi...

    • Vor 8 Jahren

      schlimmste kalenderblatt sprüche...
      die er früher mit mehr oder weniger guter musik kaschiert hat. aber die einem jetzt mit diesem weichgespülten ohrenkleister erst so richtig auffällt. und da esy einem jetzt auffällt nervt es um so mehr. früher hat die musik von den texten abgelenkt.

      und jetzt gibt es ja noch ein LETZTES album..Von Mensch zu Mensch
      mit genau den gleichen Texten.

      Von Mensch zu Mensch

      Du schlägst in mir und lässt mich nie allein
      Du bist zu groß und manchmal auch zu klein
      Mit jedem Puls fliegt die Zeit vorbei
      Unentbehrlich immerzu bist du mein Geleit

      Keine Sünde die du mir verzeihst
      Kein Versprechen keine Hoffnung für die Ewigkeit
      Stiller Schmerz bricht dich und mich entzwei
      Mit jedem Sturm mit jedem Kampf wirst du vogelfrei

      Menschenherz
      Du schlägst jetzt schneller
      Menschenherz
      Rasend schnell voran

      Du bist bei mir von Anbeginn der Zeit
      Durch deine Kammern flutet Sterblichkeit
      Mit jedem Schlag stiehlst du mir die Zeit
      Wie ein Uhrwerk sollst du sein

      Mit jedem Schlag treibst du mich voran
      Mit jedem Schlag mit jedem Puls von Anfang an
      In deinem Inneren liegt Glückseeligkeit
      Bleibst du stehen, bist du still, ist der Kampf vorbei

      Menschenherz
      Du schlägst jetzt schneller
      Menschenherz
      Rasend schnell voran

      Du bist bei mir von Anbeginn der Zeit
      Durch deine Kammern flutet Sterblichkeit
      Mit jedem Schlag stiehlst du mir die Zeit
      Wie ein Uhrwerk sollst du sein