9. Juli 2010

"Religiöse Stoffe geben viel her!"

Interview geführt von

Wie unterscheidet sich Arbeit fürs Theater von der am Programm der Band? Wie verteilen sich die Zuständigkeiten innerhalb von Vanden Plas? Und welche Rolle spielt Religion dabei? Gitarrist Stephan Lill steht Rede und Antwort.Das neue Album "The Seraphic Clockwork" ist mittlerweile auf dem Markt, doch bereits vor der Veröffentlichung, bot sich einigen Journalisten die Möglichkeit, in das Werk reinzuhören. Da bereits der Vorgänger "Christ 0" ein kleines Meisterwerk darstellte und man von der neuen Scheibe kaum weniger erwarten durfte, waren wir natürlich vor Ort.

Anstatt aber wieder ins Bazement Studio von Produzent Markus Teske in Strinz-Trinitatis einzuladen, wurde die Listening-Session mit dem später stattfindenden Showcase-Gig von Grand Magus gekoppelt. So fand man sich also mit einem Rudel Kollegen im Kölner Underground ein. Dort eröffnete sich zunächst ein kurzer Blick auf die letzte Theaterproduktion "Ludus Danielis" von Stephan und Keyboarder Günter Werno.

War das bereits beeindruckend genug, geht es kurz darauf schon mit dem nicht weniger umwerfenden Album los. Die Review findet ihr an anderer Stelle, nun aber zu dem, das Stephan Lill über "The Seraphic Clockwork" zu sagen hat - nachdem er uns endlich gefunden hat:

Ah, da bist du ja. Hab' dich grade erst gar nicht gesehen.

Ja, ich tarn' mich gern als Zimmerpflanze. Wenn ich mich nicht bewege, ist die Täuschung beinahe perfekt. Sobald ich aber zum Bier greife, ist die Tarnung dahin. Aber egal, das war ja einmal mehr ein sehr geiles Album, das ihr da veröffentlicht ...

Danke, das ist doch mal eine Aussage, die man gerne hört. Dabei haben sich die ersten hier schon über den Sound beschwert. Ich war auch ein wenig überrascht, dass nicht alles so differenziert klang, wie ich mir das vorgestellt hatte. Aber ich denke mal, in dem Raum und bei der Anlage hier muss man einfach mit Abstrichen leben. Ich hoffe zumindest, dass das nur daran liegt, denn wir haben im Studio doch an einigen Feinheiten sehr detailliert gearbeitet, die hier weitgehend untergegangen sind. Aber deswegen mach' ich mich jetzt auch nicht verrückt. Die Scheibe knallt vom Sound her an allen Ecken und Enden, das passt schon.

Warum habt ihr die Prelistening nicht einfach wieder wie das letzte Mal im Bazement Studio gemacht, wo ihr aufgenommen habt?

Das war die Idee von unserer Promofirma Underdawg. Die sitzen hier fünf Meter weiter mit ihren Büros, da sind die Verbindungen zum Underground natürlich bestens. Im Bazement ist der Sound natürlich wesentlich besser, aber alles auch deutlich kleiner. Da bietet sich das hier schon eher an, um ein paar Leute mehr einzuladen. Wir wollten es halt mal auf die Art versuchen. Köln liegt doch eine Spur zentraler in Deutschland als Strinz-Trinitatis (lacht). Wir haben es bislang zweimal im Bazement gemacht. Das war super. Aber jetzt wollten wir mal was anderes machen und ein paar Leute mehr mit rein nehmen.

Wenn ich das als Laie mal so sagen darf: Bereits nach dem ersten Durchlauf hat die Scheibe mit der zugrunde liegenden Story durchaus das Potenzial, auch auf der Bühne stattzufinden. Inwiefern unterscheiden sich die Sachen, die Günter (Werno, Keyboarder) und du für die Bühne im Theater schreiben, von denen, die ihr für Vanden Plas schreibt?

Wir hatten durchaus im Hinterkopf, dass die Story und die Musik irgendwann auf die Bühne sollen. Schon im Vorfeld und vor allem während der Aufnahmen war bereits das Interesse angemeldet, dass die Story - wie zuvor bereits "Abydoss" und "Christ-O" - auf die Bühne kommt. Entsprechend hatten wir das beim Produzieren im Sinn und sind auf die orchestralen Parts dementsprechend eingegangen. Aber gerade so 'ne Sache, wie die Kirchenglocken im Outro, waren eigentlich reiner Zufall. Du kennst das Studio in Strinz-Trinitatis ja. Ich stand gerade vor der Tür und hab' das schöne Wetter genossen, als drinnen das Outro mit den Streichern lief. Die Kirchenglocken klangen einfach nur geil und auf einmal ist mir aufgefallen, dass die gar nicht auf dem Band sind, sondern live von der Kirche kommen (lacht). Das musste dann natürlich nachträglich noch mit rein. Das trifft die Atmosphäre einfach perfekt.

Aber wie gesagt: Die Tatsache, dass das auf die Bühne soll, hatten wir im Hinterkopf. Günter und ich konnten die entsprechenden Erfahrungen natürlich bestens nutzen. Allerdings wussten wir von der Story eigentlich noch nichts, als die Lieder in ihrer Basisversion entstanden sind. Das sind Sachen, mit denen man sich beschäftigt, wenn es ans Produzieren geht und die Story entsprechend klar und definiert ist. Gerade so etwas, wenn ein Sprachgewirr aus mehreren Stimmen noch reingearbeitet wird. Das sorgt für eine enorme Dynamik und lässt sich auf der Bühne bestens umsetzen. Das also zum Songwriting bei Vanden Plas.

Der Unterschied zum Theater ist nun, dass wir da einen Text oder eine Story schon von vorne herein vorliegen haben und an der entlang die Musik komponieren. Man weiß von Anfang an, komponiert man jetzt Musik für drei Gestalten, die über die Bühne hüpfen, oder geht es um eine Armee-Parade, wo knapp 50 Leute auf die Bretter marschieren. Man arbeitet am Theater deutlich zielgerichteter als für eine Band. Man kann nicht einfach 20 Songs schreiben und dann mal schauen, welcher an der richtigen Stelle passt. Man hat einfach schon ein klares Bild vor Augen und muss dieses anschließend musikalisch umsetzen.

"Musik ist immer ein fortlaufender Prozess"

Bei den Songs von euch stehen immer nur zwei Namen: Andy für die Texte und Günter oder du für die Musik. Hast du die Musik dann immer schon fertig und hörst dir Andys Texte an, um die Details auszuarbeiten - oder wie läuft das?

Nein, bei Vanden Plas steht grundlegend erst einmal die Musik, dann kommen die Texte. Ich hatte eine Anzahl an Songs und Andy hatte natürlich die Grundzüge der Story bereits im Hinterkopf. Ich nehm' meine Songs also erst einmal auf und drück' die Andy in die Hand. Der erklärt mir anschließend, wie er die Story geplant hat, was darin passiert und was musikalisch umgesetzt und ausgedrückt werden soll, und dann wird entsprechend ausgesucht und arrangiert. Da findet natürlich auch gegenseitige mentale Befruchtung statt und wir können gemeinsam auf einzelne Details eingehen. Musik ist ja immer ein fortlaufender Prozess. Weder Andy noch ich sind so auf unsere Sachen fixiert und eingeschossen, dass wir da nicht noch was dran ändern würden. Die Songs wachsen nach und nach, obwohl wir letztendlich relativ autark an unseren Sachen arbeiten. Wir sitzen nicht ständig zusammen und zerbröseln uns das Hirn, wie das funktionieren könnte und was wir mit dem oder dem anderen Ding anfangen. So verkopft ist das gar nicht.

Um so erstaunlicher, dass das alles so toll miteinander harmoniert.

Stimmt schon, aber für uns klappt das einfach gut, auf die Art. Manche mieten sich für zwei Monate ein Haus in der Normandie, schotten sich total von der Außenwelt ab und fangen dann mit dem Songwriting an. Das ist nicht unser Ding. Keine Ahnung, ob sowas bei uns auch funktionieren würde, aber bislang hat das auf unsere Art immer perfekt hingehauen. Die Budgets der Plattenfirmen geben sowas eh nicht mehr her (lacht).

Ich kenn von meinen eigenen Sachen her nur zu gut, dass man als Texter zwar noch was zu sagen hat, sprich da wären noch ein oder zwei Strophen, aber um den musikalisch noch unterzubringen, würde der Song leiden. Gibt es das bei euch auch? Oder klopft ihr dann einfach, um der Dramatik der Story Rechnung zu tragen, eben doch noch eine Strophe mehr als notwendig dazu?

Das kann durchaus sein, aber dann hast du ja auch die Möglichkeit, die Strophe bei der nächsten Wiederholung einfach durch ein paar Töne oder Stimmungen zu modifizieren. Andererseits kommt es schon vor, dass wir einfach mal den ein oder anderen Text kürzen, weil die Story auch ohne die entsprechenden Stellen funktioniert und nachvollziehbar bleibt. Das sind Entscheidungsfragen, über die wir durchaus diskutieren. Manchmal wird das ganz schon hart (lacht).

"Man kann sich gegen Einflüsse von außerhalb nicht mehr verschließen"

Das von dir und Günter umgesetzte lateinische Stück fürs Theater basiert auf einem religiösen Thema. Seid ihr als Privatpersonen denn alle sehr religiös?

Stimmt schon, der Text dazu stammt aus dem 13. oder 14. Jahrhundert und wurde bereits in einem Kloster von Mönchen aufgeführt. Wer den Text geschrieben hat, weiß eigentlich keiner so genau. Der Intendant von Kaiserslautern wollte daraus schließlich ein Rock-Musical machen. Dass es sich dabei um ein religiöses Thema handelt, ist also eher Zufall. Ich würde auch nicht sagen, dass Vanden Plas sich als religiöse Band sieht. Als spirituell könnte man uns durchaus bezeichnen, aber wir sagen jetzt nicht, dass irgendeine Religion besser ist als eine andere oder ergreifen Partei für einen bestimmten Glauben. Dass Andy ein sehr spiritueller Mensch ist, dürfte spätestens seit "Abydos" klar sein. Solange aus der spirituellen Ausrichtung nichts Dogmatisches oder gar Fanatisches wird, ist das okay für mich. Klar geht es in der Geschichte von "Seraphic Clockwork" um eine bestimmte Religion, aber solange das Ganze auch global anwendbar ist, hab' ich da keine Probleme mit. Die Story hätte auch von einer anderen Religion ausgehen können, aber mit dem christlichen Glauben kennen wir uns eben am besten aus. Religiöse Stoffe geben einfach viel her, die haben viel Dramatik und Atmosphäre.

Mir sind in dem Zusammenhang zwei Bücher eingefallen. Zum einen ein Roman von Wolfgang Hohlbein, in dem der Plot war, dass Jesus eigentlich schon wieder auf Erden zurückgekehrt war. Da das aber den Jüngsten Tag einläuten würde, haben ihn ein paar Mönche in einem Kloster einfach eingekerkert, weil sie der Meinung waren, die Menschheit brauche noch Zeit, bevor sie gerichtet wird. Zum anderen kam mir der fünfte Band aus den "Vampirchroniken" von Anne Rice in den Sinn. Dort trifft Lestat auf Satan, doch der ist nicht der von der Kirche dargestellte Teufel, sondern einfach nur Gottes Widersacher. Also ein Engel, der Gott zum Vorwurf macht, dessen Schöpfung sei alles andere als perfekt gelungen, und der dafür aus dem Himmel verbannt wurde.

Keine Ahnung, ob Andy die entsprechenden Bücher und Geschichten kennt, aber die Wendungen in den jeweiligen Storys sind in gewisser Weise wohl ähnlich. Das ist ja wie in der Musik: Man kann sich gegen Einflüsse von außerhalb in der heutigen Medienwelt überhaupt nicht mehr verschließen. Dennoch finde ich die Art und Weise, wie er die Geschichte aufgelöst und ihr nochmal eine ganz neue und ganz andere Wendung verpasst hat, absolut originell. Wobei die Sachen, die du erwähnt hast, auch gut klingen (lacht).

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