laut.de-Kritik
Wie der Hip Hop in den 80ern zum Kommerz fand.
Review von Alexander EngelenWelches Thema dominiert die Diskussion über das Genre Hip Hop? Ist es Beef, diese perfekt in Szene gesetzten Promotion-Streitereien zwischen wortgewandten, wildgewordenen Halbstarken? Oder düpiert sich die Allgemeinheit vorwiegend über nichtssagende Texte, die lediglich auf ihren Style bedachte Turnschuhträger konform über den Äther schicken? Beides daneben. Denn das Diskussionsthema Nummer eins stellt ohne Zweifel die Frage nach der absatzgetriebenen Ausschlachtung einer Kultur, die eine soziale Minderheit erschaffen hat.
Kurz: Es geht um die Frage nach dem Kommerz. Die Auseinandersetzung, wie und ob eine identitätsstiftende Subkultur einem Massenpublikum zugänglich gemacht werden soll, erhitzt seit jeher die Gemüter. Das im Jahr 1979 gegründete Label Sugarhill Records hat in dieser Kontroverse eine ganz besondere Stellung. Denn die Plattenfirma aus New Jersey hat die Kommerz-Diskussion im Hip Hop vor etwa 25 Jahren quasi erfunden.
Sylvia Robinson und ihr Mann Joe, die kreativen Köpfe hinter Sugarhill, veröffentlichten im Jahr 1979 den Song "Rapper's Delight" der Sugarhill Gang und machten ihn zum ersten kommerziell erfolgreichen Raptrack der Geschichte. Sie holten die Musik der Straße in die weltweiten Charts, in die Wohnzimmer der breiten Masse und auf die Tanzflächen der ausgehenden Disko-Generation der Siebziger.
Das Genre Hip Hop war plötzlich nicht nur für die schwarze Minderheit geboren, die schon seit einigen Jahren auf den Blockparties von Afrika Bambaataa und Cool DJ Herc tanzten. Vielmehr trat eine Zäsur ein, und Hip Hop tauchte fortan auf der gesamtmusikalischen Landkarte auf. 25 Jahre danach ist das Thema der kommerziellen Ausschlachtung des Genres noch so umstritten wie einst, und die Überreste des gleichen Labels wagen erneut einen Schritt, der die Gemüter der streitbaren Puristen in Wallung geraten lässt.
In einer unvergleichlichen Box hat Sanctuary Records nun die größten Hits der Sugarhill Records-Blütezeit zusammengetragen und liebäugelt mit der Kaufkraft der Oldschool-affinen Hip Hop-Hörer. Angesichts dieses stattlichen Pakets kann sogar der traditionsbewusste Head ganz ohne schlechtes Gewissen dem Kommerz frönen, denn "The Message - The Story Of Sugarhill Records" bietet in schmucker Graffiti-Box neben einer 46-seitigen Hip Hop-Geschichtsfibel über fünf Stunden feinste Oldschool-Klassiker, die am Schreiben der Genre-Geschichte maßgeblich beteiligt waren.
Allen voran natürlich das angesprochene "Rapper's Delight" in 16-minütiger Langversion und Grandmaster Flashs "The Message", das in sieben Minuten die Gefühle eines jeden Fans durcheinander bringen sollte. Das Paket aus vier CDs unterstreicht damit die Ausnahmestellung, die Sugarhill Records Anfang der Achtziger Jahre genoss. Natürlich tummeln sich ganz große Namen des Oldschool auf der Compilation. The Sequence, die erste weibliche Raptruppe, die mit Angie Stone eine immer noch sehr erfolgreiche Vertreterin in der Jetztzeit hat.
Oder Grandmaster Flashs erster, aufs schwarze Gold gepresster DJ-Track "The Adventures Of Grandmaster Flash On The Wheels Of Steel". Die einzelnen Mitglieder der legendären Furious Five - Keith Wiggins (MC Cowboy), die Geschwister Melvin (Melle Mel) und Nathaniel (Kid Creole) Glover, Guy Williams (Raheim) und Eddie Morries (Scorpio) - sind entweder solo oder als Quintett mit von der Partie. Oder Kool Moe Dees Treacherous Three, die zusammen mit dem blutjungen Doug E. Fresh auf "Christmas Rap" in die Annalen eingegangen sind.
Das Sammlerstück wartet zwar nur mit bruchstückhaften Zeugnissen der Vergangenheit auf, diese wahren Klassiker drückten jedoch einer ganzen musikalischen Spielart nicht nur kommerziell, sondern auch kreativ ihren Stempel auf - und das weltweit. Immerhin beansprucht ausgerechnet Thomas Gottschalk, der König des seichten Sonnabends, die Erfindung des deutschen Raps für sich: sein "Rapper's Deutsch" war 1980 das teutonische Gegenstück zu "Rapper's Delight".
Es ist sicher bezeichnend, dass Sugarhill Records nach nur vier Jahren Vorherrschaft im Hip Hop-Musikgeschäft das Zeitliche segnen musste. Die Kommerzialisierung, die das Label so groß und erfolgreich gemacht hatte, rächte sich in Form von Geldgier der hochgezogenen Künstler, gepaart mit labelinternen Fehleinschätzungen der Verhältnisse des aufstrebenden Musikmarktes. Ein weiteres Beispiel zeigt einmal mehr die wirtschaftliche Abgebrühtheit und das einzigartige Marketingverständnis des Sugarhill-Vorstandes um Sylvia Robinson.
Jahre nach dem weltweiten Erfolg von "The Message", das ja als erste sozialkritische Rap-Nummer gilt, die einen kommerziellen Erfolg feierte, klärte Grandmaster Flash die Entstehungsgeschichte des Superhits auf. Sylvia Robinson soll den Furious Five damals den Auftrag gegeben haben, einen Song über den Alltag auf der Straße zu schreiben, da sie von einem erfolgsversprechenden Vermarktungskonzept urban-politisierender Musik überzeugt war. "Don't push me 'cause I'm close to the edge": diese Zeilen, die man wie wenige andere direkt mit Hip Hop in Verbindung bringt, verlieren angesichts jener Geschichte natürlich schon einen Teil ihres Credibility-Glanzes.
Trotzdem bleiben die Innovationen des Sugarhill-Labels unvergessen und erleben in diesem Paket eine in Detail und künstlerisch hochwertigem Anspruch unvergleichbare Dokumentation. Das Jahr 2005 bietet viele Beispiele für die kulturelle, aber auch kommerzielle Stellung, die Hip Hop genießt. Mittlerweile hat sich Rap als verkaufsstärkste Musikrichtung etabliert und bringt (zumindest teilweise) sozialkritische Themen in die Stereoanlagen der weltweiten Hörer. Der Erfolg von Hip Hop ist so groß wie nie. Die Diskussion um den Kommerz ist unter diesen Umständen immer weniger wegzudenken.
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