laut.de-Kritik
Der Teufel hat einen merkwürdigen Humor.
Review von Kay SchierIrgendein Schlaumeier hat den Sound, mit dem man das Tomorrowland Festival verbindet, einmal auf den Namen EDM, Abkürzung für Electronic Dance Music, getauft. Das ist, obwohl saudämlich, kleben geblieben wie Kacke unterm Schuh, genau so wie sich der so benannte Sound, obwohl saudämlich, beharrlich in den Großraumdiskotheken dieser Welt gehalten hat.
Ich verbinde ihn spontan mit Mindestverzehrkarten, Becks nicht unter vier Euro, Mädchen in Canada Goose-Jacken und Typen in Ed-Hardy-Shirts. Sich mit 15 auf Sechzehnerpartys schmuggeln, zwei Stunden in der Ecke stehen (alle Viertelstunde kommt der abgefüllte Kollege, den man irgendwie auch dafür bewundert, dass er an all dem Spaß hat, und schreit einem feucht ins Ohr, warum man denn "nicht mal eine antanzt"), dann nach Hause gehen, JAW hören und Gewaltphantasien entwickeln. Sich fragen, wie Leute eigentlich Spaß haben, wenn sie auf Partys gehen.
Dieses Erlebnis gibt es im "Tomorrowland - The Story Of Planaxis"-Boxset auf drei Scheiben ausgewalzt, leider ohne beigelegte JAW-CD. Stutzt man jedes Jahr kurz vor dem Line Up, weil da immer auch Leute drinstehen, die für etwas anderes bekannt sind als absolut beschissenes Bumms-Bumms-Umtata-Umtata (in diesem Jahr etwa Kölsch, Richie Hawtin oder Solomun), bringt einem das im Fall des Samplers genau gar nichts, denn die tauchen dort nicht auf. Die Mixe auf Disc eins und zwei übernehmen die menschlichen Sangriaeimer Armin van Buuren beziehungsweise Dimitri Vegas & Like Mike.
Man wird im Hause des Veranstalters ID&T schon wissen, was man für ein Produkt wie das vorliegende möchte, nämlich die Corporate Identity möglichst akkurat reproduziert haben. Das inoffizielle Logo muss man sich als ein in der Luft geformtes Herzchen vorstellen, die Hände noch mit Farbpulver verklebt, das man vorher auf Befehl von Oben durch die Luft geworfen hat.
Alles happy, alles Insta, alle sehen gut aus, eigentlich wie ein europäisches Coachella, nur mit schlechter Musik. Da lobt man sich sogar glatt den Ostgut-Stechschritt-Sound, zu dem sich die coolen Kids sechs Stunden nicht von der Stelle bewegen, der heuer durch viele Clubs rumpelt.
Es wird dem musikalischen Hasardeur und unerschrockenem Grenzgänger, der gewillt ist, sich das zu geben, nicht zu viel verraten, wenn man an dieser Stelle festhält, dass sich auf diesem Sampler alles gleich anhört. Die Drops und Übergänge sind ausgelutscht wie die Gags in einer Sat.1-Produktion, dafür weniger lustig, die Effekte und Sounds stammen allesamt aus dem tiefen, tiefen Loch im Boden mit Direktverbindung zur Hölle, das David Guetta in einem gigantischen Gelddurchfall in seinen Garten geschissen hat. Da unten sitzt der Teufel im schwarzen Rollkragenpullover, genießt geschmackvoll produzierten Techno aus dem New Yorker Underground, den nur er kennt, zu einem Guavensaft und amüsiert sich köstlich darüber, was er uns alle Jahre wieder so nach oben schickt.
Ein professionellerer Journalist würde jetzt die Zähne für seine Berufung zusammenbeißen, sich einen Indianerkopfschmuck aufsetzen, drei gepanschte Pillen mit sechs warmen Becks hinunterspülen und das Ganze einfach mal so auf sich wirken lassen, wie die Künstler sich das gedacht haben. Dass das in diesem Rahmen nämlich Spaß macht, kann ich mir durchaus vorstellen. Sich einfach mal treiben lassen in den groovy Samples aus One-Hit-Wondern, den Alltag und das unbezahlte Praktikum in der Großkanzlei vergessen und so richtig leben, dass man den Kindern später mal erzählen kann, wie man von Steve Aoki eine Torte ins Gesicht bekommen hat.
Ist ja auch alles schön und gut. Soll man machen, wenn man Freude daran empfindet. Wirklich über meinen Verstand geht aber die durch die Existenz dieses Samplers behauptete Annahme, dass sich die Leute das für 20 Tacken nach Hause holen möchten, nur ohne die Kirmes und die Drogen. Allein zuhause auf der Couchgarnitur, mit einer Flasche Rotkäppchen vielleicht. Damit will man den Menschen offensichtlich Übles.
3 Kommentare
Mensch Kay, mach dich ma logga!
Tomorrowland ist halt einfach richtige Scheiße, da gibt es keine zwei Meinungen. Die Bewertung jedes Releases, das mit dem Festival in Verbindung steht, muss daher dementsprechend ausfallen.
Dezente Auswahl von Dimitri Vegas & Like Mike! Wichtig ist immer, sich nicht in den Vordergrund zu drängen. Sagt alles über diese Veranstaltung der Fehlgeleiteten.