laut.de-Kritik
Ein bitterer Abschied von der gestohlenen Jugend.
Review von Mirco LeierVince Staples macht seit dem Beginn seiner Karriere keinen großen Hehl daraus, im von Gangrivalitäten zerfressenen Long Beach eine nicht besonders angenehme Kindheit und Jugend verbracht zu haben. "Stolen Youth" nennt sich gar eines seiner ersten Tapes, das damals noch im Tandem mit einem sich im Aufschwung befindenden Mac Miller entstand. Seit seinem Debüt "Summertime '06" bewegte sich der Rapper jedoch mehr und mehr weg von der ungeschönten Reflektion der Traumata seiner Heimat, ließ die Emotionalität seiner Musik deutlich abflachen. Im Vordergrund standen doppelte Böden, zynischer Voyeurismus und der fast schon sich aufhebende Kontrast zwischen brutaler, glorifizierter Gewalt und friedvoller, kalifornischer Idylle.
Mit steigendem Alter änderte sich allerdings auch Vinces Perspektive auf all die Dinge, denen er sich in jüngeren Jahren tageins tagaus ausgesetzt sah. Der Spaß, über Drive-Bys, Gangbanger und Blindgänger unter der kalifornischen Sommersonne zu rappen, flaute ab. Die reale Tragik daran lässt sich nicht länger hinter Ironie oder Zynismus verstecken, sie tut einfach nur noch weh. Schon sein letztjähriges, nach sich selbst benanntes Album wagte einen reduzierten und biographischen Ansatz, richtete den zunehmend müde werdenden Blick auf einen Zyklus aus Gewalt, der ohne Aussicht auf Besserung nicht aufhören wird, seine eigenen Kinder zu fressen.
Das ursprünglich auch für letztes Jahr angekündigte "Ramona Park Broke My Heart" knüpft nahtlos daran an. Es strickt die teils sehr losen und affektiven Fäden seiner letzten LP musikalisch und thematisch weiter und führt sie zu einem Ort der Resignation und der Ohnmacht, dem Vince sich zuvor in seiner Musik vehement verschloss. In einem Interview mit Hot97s Peter Rosenberg verrät er: "I feel like a lot of my work has been an anthology of my neighborhood and my past, and I think this is kinda the end of that for me". Ein schönes Ende ist es zweifelsohne nicht, aber möglicherweise das einzig logische.
Das gilt nicht nur auf der lyrischen Ebene, auch musikalisch trägt Staples den Sound seiner Jugend sinngemäß zu Grabe. Die Charakteristiken der Rap-Musik der Westküste finden auf die eine oder andere Art ihren Weg auf "Ramona Park Broke My Heart". Auf dem von Mustard produzierten "Magic", oder dem öffnenden "Aye! (Free The Homies)" hören wir müden G-Funk, "DJ Quick" interpoliert den MC Eiht-Disstrack "Dollaz & Sense", und "When Sparks Fly" oder "Player Ways" lassen mit ihren verwaschenen Samples die Sonne über dem verspielten R'n'B der 90er untergehen. Der Spaß und die Leichtigkeit, mit der diese Musik in der Vergangenheit den alltäglichen Struggles entgegen trat, verstummen mit jeder Minute mehr.
Dabei kommt der LP die Abkehr von Kenny Beats als einzigem Produzenten zugute. Denn auch wenn der Grundton durchgängig gleich bleibt, erlauben die zahlreichen Nuancen verschiedener Produzenten wie Joey Ramirez, Frano, Tommy Parker, Mustard oder Saint Mino diverse Graustufen der zur Schau getragenen Melancholie.
Songs wie "Magic" oder "Lemonade" mögen instrumental sogar ein wenig die Laune heben, doch auch sie sind noch weit von der Energie eines "Norf Norf", dem Spaß eines "FUN!" oder der Eingängigkeit eines "Are You With That?" entfernt. "Ramona Park Broke My Heart" ist ein durch und durch trostloses Album, ein Abschied, der mehr bitter als süß schmeckt, und auch wenn es sich in dieser Hinsicht nur wenig von Staples letztem Album unterscheidet, gibt er diesen Emotionen dieses Mal deutlich mehr Raum zum Atmen. "Ramona Park Broke My Heart" ist nicht nur sein längstes Album seit seinem Debüt, es ist auch sein seitdem rundestes und bestes.
Die Rückkehr an den Ort seiner Adoleszenz kommt mit einer ganzen Reihe an schwerwiegenden Erinnerungen und Erkenntnissen. 'Dead Homies' verkommen zur Adlib, wenn Staples einen Wunsch frei hätte, wäre es, die die noch leben aus dem Knast zu holen. Er hat sich diesem Leben verschrieben, beteuert er vermehrt, doch nahezu jeden Song auf diesem Album durchzieht ein inniges Verlangen nach innerem Frieden, nach einer Möglichkeit seine Jugend von der Straße zurück zu stehlen.
Wenn Staples darüber rappt, seinen Feinden eine Kugel zwischen die Augen zu jagen, oder vor der Polizei zu fliehen, schimmert keine toughe Attitüde mehr durch, kein Spaß, nicht einmal Wut oder Trauer. Nur Taubheit. Auf "Rose Street" weist er eine Frau ab, weil er nicht will, dass sie um ihn trauern muss. "Trust, what's that?" fragt er sich. "I'm married to the gang, don't be playing games / Only bringing flowers to the homie's grave". Das einzige echte Liebeslied reserviert Staples für seine Knarre. "Don't you break my heart" droht er ihr auf "When Sparks Fly". Als jedoch die Polizei die Fronttür eintritt und ihn in Handschellen legt, ist es er, der sie allein zurücklässt.
Der Titel von Staples fünfter LP bringt es auf den Punkt. Ramona Park, das Epizentrum seiner Sozialisation in Long Beach, hat sein Herz gebrochen. Als Rückkehrer muss er feststellen, dass sich nichts änderte, es herrscht der gleiche Teufelskreis, dem er als Kind zum Opfer viel. Ja, Vince Staples liebt seine Heimat, er lebt nach ihren Prinzipien. Aber er hasst sie auch, denn sie ist der Grund, wieso seine Homies hinter Gittern oder unter der Erde liegen, wieso er als Jugendlicher den Crips beitrat, wieso er auch zehn Jahre später Schwierigkeiten hat, diesen Aspekt seines Lebens hinter sich zu lassen und seinen Frieden zu finden. "Even my daydreams is haunted /I keep gettin' smaller houses but I won't find peace 'til the Lord allows it", rappt er müde auf dem Closer "The Blues". "Pray For Me", bittet er abschließend.
Es macht folgerichtig Sinn, dass das Album sich jeglicher Konklusion oder Katharsis verwehrt. Die einzigen optimistischen Worte stammen aus dem Mund des verurteilten Mörders Sanyika Shakur, der seine Gang-Vergangenheit im Gefängnis reflektierte und fortan gegen das System rebellierte: "Motherfuckers rebellin' against the system, and that's thug shit", spricht er in einem Interlude. Ob diese Rebellion jemals Früchte tragen wird? Vince Staples scheint mit jeder weiteren LP mehr und mehr vom Glauben abzufallen.
2 Kommentare
Super Album, wie eh gewohnt von Vince. Sein bestes Album bleibt aber trotzdem "Big Fish Theory". Hat damit gezeigt wozu Rap fähig ist, in welche Sphären man damit vordringen kann und einen ganz neuen Sound erschaffen. Hatte mir jetzt nach FM und VS mal wieder was kreativeres gewünscht, bin aber trotzdem sehr zufrieden wie eh immer. Bester Hip Hop Artist by far mitlerweile.
sehr, sehr starkes album.