laut.de-Kritik

Dagegen wirkt Julia Engelmann wie Goethe, Baby.

Review von

Vor drei Jahren lagen wir uns ein halbes Jahr eng umschlungen in den Armen. Ein halbes Jahr zählte nur Wandas "Amore". Eine Zeit, in der alle anderen Platten einstaubten. Doch bereits Connie Francis wusste, dass die Liebe ein seltsames Spiel ist. Sie kommt und geht von einem zum anderen.

Nach "Bussi" kam die Beziehungspause bis zum nächsten Album. Nun stehen wir plötzlich wieder voreinander, und ihr denkt, ihr hättet nicht an unserer Beziehung arbeiten und nicht in sie investieren müssen. Als wäre alles beim Alten, singt ihr gleich im Opener "Im Regen ziehst dich aus / Stehst du drauf / Das Leben groovt, yeah!", um ein "Heiter, heiter / Immer weiter / Lache ich mehr und mehr" folgen zu lassen.

Wollt ihr mich vergackeiern? Während der Auszeit habe ich euch die Treue gehalten und gegen all die Spötter verteidigt, und nun dies? Wo findet ihr denn neuerdings die Inspiration für eure Songtexte? Bei den Glückwunschkarten am Bahnhofkiosk? Neben "Heiter, Heiter, immer weiter steigst du hoch die Lebensleiter" bieten sich dort sicher auch noch Ideen für den vierten Longplayer. Wie wäre es mit "Endlich 18!" oder "Lebe fröhlich, lebe froh, wie der Mops im Haferstroh"?

Ja, ihr wart nie hochgestochene Poeten mit Nickelbrille, die die Aussagen ihrer Songs vorab in Stuhlkreisen ausdiskutierten. Aber "Amore" verdankte einen Teil seiner Faszination auch zitierfähigen Textzeilen zum Mitgrölen und seinen Bildern. "Jedes Mal stellt du deinen Kragen auf / aber jedesmal hauts ihn wieder zusammen." ("Auseinandergehen Ist Schwer") "Ich sauf' keinen Schnaps / Ich sauf' einen Pistolenlauf" ("Bleib Wo Du Warst"). Ihr sangt von stehengelassen Weinflaschen, goldenen Handtaschen, Tante Ceccarelli, dem Thomas und Inzest in den Zeiten von Cholera und "Game Of Thrones". Findet sich hier etwas Vergleichbares? Niente, sagt die Ente.

Stattdessen Selbstzitate und Ödnis, wohin man sieht. Die Wiederholung wird zum Stilmittel der Wahl. "Lieb sein ist schwer / Lieb sein ist anstrengend / Lieb sein tut weh." ("Lieb Sein") Was genau fällt denn schwerer und tut mehr weh? Lieb sein oder Auseinandergehen? Da es eh schon egal ist, kann man in dem Stück auch munter "wäre" auf "wäre" auf "wäre" reimen. Und, nein, wenn man zwei Wörter aus der ersten Strophe durch zwei andere ersetzt, ist das keine zweite Strophe, sondern lieblos.

Das kann man bei einem Lied bringen, aber bei euch wird der Liebesentzug eurem eigenen Werk gegenüber zur Gewohnheit. Ihr, die ihr "Amore" predigt, solltet eure allumfassende Liebe doch bitte wieder in eure Texte legen. Wenn einem diese jedoch eh egal sind, dann kann man gleich den ganzen Weg gehen und im Coldplay-Modus ein "Lalalala / Lalala" in der Dauerschleife anstimmen.

Bei "Café Kreisky" handelt es sich im Grunde um einen wehmütigen Track mit stimmungsvollem Aufbau und geschickt eingesetztem Gitarrensolo, doch Marco Michael Wanda ist dieser gerade einmal fünf Zeilen wert. Das ist kein Minimalismus, das ist Arbeitsverweigerung. Gegen das hier Gebotene wirkt Mark Forster wie Bob Dylan und Julia Engelmann wie Goethe, Baby.

Selbst den Albumtitel "Niente" würgen die Wiederkäuer von Wanda aus ihrer Vergangenheit hoch. Den gleichnamigen Song, dessen Neubearbeitung sie hier listig hinter dem Titel "Lascia Mi Fare" verstecken, gab es bereits auf der "Auseinandergehen Ist Schwer"-Single zu hören.

Dass sich nach dem Debüt und dem dunklem Zwilling "Bussi" musikalisch etwas ändern muss, um nicht im Stillstand unterzugehen, haben Wanda erkannt. Eine wirkliche Lösung haben sie nicht gefunden, stecken zwischen zwei Polen fest. Dem Festhalten am Bewährten und dem zaghaften Experimentieren. Am offensichtlichsten entfernen sie jedoch ausgerechnet von dem, was sie ausmachte: den Ecken und Kanten, die sie von der Masse abhoben. Aus dem räudigen Straßenkater, der nachts um die Häuser schleicht, wird über weite Strecken der Kuschelweich-Kuschelbär. Dass sie nicht komplett in Belanglosigkeit untergehen, verdanken sie alleine dem weiterhin vorhandenen Händchen für einnehmende Melodien. Denn heimtückisch sind sie. Verführen, das können Wanda noch immer. Nur nicht mehr mit Herzblut, sondern mit einem romantischen Instagramfilter.

Die eine Richtung geben Stücke wie "Weiter, Weiter", "Wenn Du Schläfst" und "Lieb Sein" vor, die einen Großteil von "Niente" einnehmen. Songs aus dem Wanda-Bausatz, mit etwas zu viel Plüsch überzogen. Zu den wenigen halbwegs herausragenden Stücken zählt die Vorabsingle "Columbo": ein melancholisches Hohelied auf das Binge Watching. Der Netflix-Song, wenn es "Columbo" auf Netflix gäbe. Die in Jogginghosen gekleidete und in eine Kolter gewickelte Antwort auf all die hektischen "Carpe Diem"-Schussel dort draußen. "Heute gehen wir gar nicht raus / Wir bleiben im Pyjama zu Hause / Nur wir zwei, wie im Traum / Und 'Columbo' schauen."

In dem mit Percussions unterlegten "Lascia Mi Fare" findet sich doch noch ein halbwegs brauchbares Bild. "Wenn ich die Welt durch deine Augen sehe / Dann ist sie schmutzig wie der Wiener Schnee." Aber schon wieder Wien? Und im auf Italienisch gesungenen Refrain schon wieder "Amore"? Dafür gibt Marco Wanda dort den mitreißenden Westentaschen-Adriano Celentano. Wenn man der Sprache nicht mächtig ist, klingt das Ergebnis sogar ganz hübsch und irgendwie wichtig.

Bei "Einfacher Bua" kippt das Konzept dann jedoch endgültig in Richtung Festzelt-Schlager zum Mitschunkeln. In eine schlechtere Richtung könnten sich Wanda gar nicht entwickeln. Von hier aus ist Andreas Gabalier nicht mehr weit. "Eine Frau sucht einen Mann / Eine Frau wird keinen Bua verstehen." Keine Angst, der "Mountain Man" eilt schon zur Rettung.

In die andere, weitaus interessantere Richtung wagen sich die Österreicher auf gerade einmal zweieinhalb Stücken. Wenn sie über mehr Mut und Talent verfügen, als "Niente" zeigt, könnte dies ein Blick in ihre Zukunft sein. Der Chanson "Ein Letztes Wienerlied" siedelt sich irgendwo zwischen Ingrid Caven und Tom Waits an, ein von Nebel verhangener Film Noir-Soundtrack, in dem bis zum Einsatz der Streicher alleine Christian Hummers beschwipstes Klavier Marco Wanda begleitet. "Lieber, guter Himmelsvater / Einmal möchte ich noch im Prater / Fahren mit der Grottenbahn / Und möchte am Ringelspiel mich drehen / Möchte die Wiener Madeln sehen / Gott, wie deppert seid ihr Wiener / Coney Island ist viel wärmer." Es geht doch! Traut euch.

Die verschrobene Ballade "0043" klingt mit hoher Stimme, dem atmosphärischen Aufbau und dem Streicher-Arrangements so anders als alles, das man von Wanda zuvor kannte, frisst sich aber mit der Zeit zunehmend ins Ohr. Eine verquerer Traum voll wehmütiger Peter Pan-Romantik, basierend auf dem Verlust der Kindheit und der österreichischen Landesvorwahl. Wer sich nur kurz fragt, wie in Deutschland die Reaktion auf die vergleichbare Textzeile "traurig schöne Kindheit in 0049" ausfallen würde, muss nur kurz bei Mia ("Was Es Ist") und Virginia Jetzt! ("Liebeslieder") anklopfen. Beide haben 2003 Erfahrungen diesbezüglich gesammelt.

"Das Ende Der Kindheit" verbindet die künstlerische mit der herkömmlichen Seite des Longplayers. Doch da das W in Wanda mittlerweile offenbar für beispielhafte ökologische Wiederverwertung steht, verwursten sie den "0043"-Refrain in "Wenn Du Schläfst" gerade noch einmal. Netterweise liefert genau dieser seichte Song gleich noch das finale "Niente"-Resümee mit sich. "Alles hier erinnert, aber nichts davon bleibt."

Trackliste

  1. 1. Weiter, Weiter
  2. 2. Columbo
  3. 3. 0043
  4. 4. Lieb Sein
  5. 5. Wenn Du Schläfst
  6. 6. Schottenring
  7. 7. Lascia Mi Fare
  8. 8. Das Ende Der Kindheit
  9. 9. Café Kreisky
  10. 10. Einfacher Bua
  11. 11. Ein Letztes Wienerlied
  12. 12. Ich Sterbe

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