laut.de-Kritik
Der Beweis für gute Musik liegt meist im Pudding.
Review von David Hutzel"The proof is in the pudding", singen Warpaint kurz vor Ende ihres neuen Albums, "Radiate Like This", im Song "Proof". Probieren geht über studieren, so lässt sich das wohl auf Deutsch übersetzen – eine althergebrachte Weisheit, die sich, glaubt man dem Internet, bereits bei Don Quijote finden lässt. Doch mit zweifelhaftem Heldenbewusstsein haben Warpaint natürlich nichts zu tun.
Das vierte Album der Musikerinnen deutet vielmehr eine zärtliche Heldinnenreise an, die mit dem Mythos des Retters bricht. Es geht, so lässt sich Emily Kokal, eine der beiden Sängerinnen der Band, zitieren, vielmehr um die Wertschätzung des eigenen Ich. Diese Haltung möchte die Band den gesellschaftlichen Grabenkämpfen um Wahrheit und Lüge, um Rechthaben und Falschliegen entgegensetzen, was im ersten Song der Platte "Champion" artikuliert wird: "I'm a million years old / I'm a champion."
Diese Perspektive einer Selbstermächtigung bietet mehr als das "Ich-bin-wichtig" neuerlicher New-Age-Auswüchse. "Hips" beispielsweise spinnt darum geschickt eine Art Erlöserinnengeschichte. Genau das legt die Grundstimmung von "Radiate Like This" fest – und die ist nahbarer als jene des Vorgängers. "Heads Up" begeisterte zwar durchaus, ist aber zugegebener Maßen etwas schlechter gealtert als zunächst angenommen. Irgendetwas hatte sich da langsam zwischen Band und Fans geschoben. Im Jahr 2022 finden Warpaint nun mehr Nähe und Intimität wieder, und das nicht nur textlich: "Take off your raincoat, baby, I want to touch the skin." ("Melting")
Jenny Lee Lindbergs Bass sowie die Drums sorgen für stetige Intensität, harmonieren so gut wie immer (also: perfekt); Stella Mozgawa trägt mit ihrem sanften Groove die Band auf ihren Schultern: immer zweckdienlich und nie stumpf. Wenn dann die Stimmen von Kokal und Theresa Wayman zusammenfinden, klingen Warpaint so ergreifend wie nie. Auch, weil die vier Musikerinnen hier einen extrem elaborierten Sound anbieten, der das Spiel mit Nuancen ausreizt, sich darin aber nicht erschöpft.
Dieses Mal, so wieder Kokal, sei es darum gegangen, sich ganz bewusst den Problemen, die sich in einer 17-jährigen Bandgeschichte schon einmal einschleichen können, entgegenzustellen. Gezwungenermaßen haben sich Warpaint dann neu erfunden: Die Songs sind Schicht für Schicht durch das Zusenden von Demos entstanden, an denen jede Musikerin für sich im Home-Studio dann ihren Teil beisteuerte. Gerade durch diesen vermeintlich klinischen Prozess wieder mehr Nahbarkeit zu entwickeln klingt paradox, doch "Radiate Like This" strahlt genau das aus: "The proof is in the pudding."
5 Kommentare mit 9 Antworten
Endlich wieder mal gute Musik und dann auch noch gleich zum Wocheneinstieg. Die kommende Zeit werd ich wohl nicht mehr so häufig ohne Kriegsbemalung nach draußen gehen.
Warpaint ist immer Zucker. Bin auch sehr gespannt!
Ja gut, nahbarer, gerne, aber ... wie klingt es denn jetzt eigentlich ...?
Ach so, sorry, hab's jetzt: Ergreifend wie nie. OK. Immerhin nicht wie immer.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Doch, schon wie immer. Die bisherigen Veröffentlichungen von Warpaint zeichnen sich durch Schallwellen aus, die vorrangig aus von Klangkörpern und/oder oszillierenden Klangsynthetisierern erzeugten Sinustönen bestehen. Zeitliche Längen und Abstände, sowie als Tonhöhen wahrnehmbare Frequenzdichte der Wellen sorgten stets für das besondere Etwas. Obertöne, Reflexionen, variierende Geräuschanteile als sekundäre Komponenten sind ebenfalls ein erwähnenswertes Markenzeichen der Band!
Revolutionär! Also nicht nur wie immer, sondern sogar wie alles andere auch! Abgesehen von Stille, vielleicht. Muss man erst mal drauf kommen.
Das finde ich so genial an WARPAINT.
Bei mir hats länger gedauert bis es Klick machte als bei souli. Ich finde das also sogar noch genialer an WARPAINT als er.
Aber mal ernsthaft - ziemlich gute Band.
Habe die nach dem ersten Album aus dem Blick verloren. Das mag ich aber immer noch ziemlich gerne, insofern habe ich bei aktuell Nummer vier ja noch was nachzuholen.
Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.
Album ist natürlich super und am Wochenende endlich einmal live gesehen. Sie hätten ewig spielen können. Danke schön, Mädels.
Meinen ungetrollten Glückwunsch dazu - wäre das zweite mal Warpaint live für mich gewesen und habe mich dann aufgrund meiner momentanen zeitlichen Beschränkungen mit allen Ressourcen auf das dritte mal auf mogwei who? xD gestern Abend verlagert...
Live ist die Band wirklich exzellent. Freut mich für Dich, sie gesehen zu haben!