13. März 2019

"Olaf Scholz ist eine Gefahr für die Demokratie"

Interview geführt von

Milli Dance und Dub Dylan sprechen über Sexismus, Rassismus, das "N-Wort", Prezident, die SPD und ins Wanken geratene Gewissheiten.

"Das Muss Eine Demokratie Aushalten Können", verlangen Waving The Guns und provozieren damit geradezu die Frage: Ja, was denn? Bei der Begegnung mit Milli Dance und Dub Dylan stellt sich heraus, dass unsere Demokratie tatsächlich weit Schlimmeres auszuhalten hat als ein neues Waving The Guns-Album. Rassismus, Sexismus und eine SPD in desolatem Zustand, zum Beispiel. Die eigenen Überzeugungen können darüber leicht ins Wanken geraten. Doch dazu später, zunächst geht der Blick auf die eigenen Reihen:

Bei euch hat es personelle Veränderungen gegeben. Admiral Adonis ist nicht mehr Teil von Waving The Guns. Wie wirkt sich das auf eure Arbeit aus? Macht das einen großen Unterschied?

Milli Dance: Nö. Wer die Platten gehört hat, hat, glaub' ich, festgestellt, dass Admiral Adonis viel weniger Anteile hatte als ich. In der kreativen Arbeit macht das keinen Unterschied. Es wirkt sich natürlich auf die Bühnenshow aus. Ein, zwei Parts, die er gemacht hätte, fehlen jetzt halt. Ohne seinen Anteil kleinreden oder in Abrede stellen zu wollen, aber prinzipiell: Tracks zu entwickeln, war immer schon eine Sache von vor allem Doktor Damage und mir - und Dub Dylan. Die grundsätzliche Studioarbeit machen eigentlich aber immer Doktor Damage und ich. Es hat sich also eigentlich nichts verändert. Mit Pöbel hab' ich zum Beispiel auch zusammen geschrieben, so: 'Das hier ist mein Part, so und so machen wir das.' Das war ja bei Admiral Adonis und mir eh immer schon ein bisschen entkoppelt. Eher so: Ich mach' was, und er macht was dazu. Bei früheren Releases hat er auch mal was Eigenes entwickelt, wir sind da aber selten zusammengekommen. Das hat verschiedene Gründe, manchmal ist die Konstellation halt einfach so. Wir haben nie wirklich gleichwertig gearbeitet. Es gab im kreativen Output immer riesige Unterschiede, auch in der Motivation. Ich glaub', das ist auch ein Punkt dabei: Unsere Motivation, das auszubauen, mehr zu machen, zu releasen und auch in die Öffentlichkeit zu gehen, war deutlich höher als die von Admiral Adonis. Der hat dieses Rap-Ding immer so als Hobby verstanden. Ich ja auch, aber schon irgendwie als einen wichtigeren Bestandteil meines Lebens. Glaub', so kann man das sagen. An der grundsätzlichen Arbeit ändert sich jetzt nicht so viel.

Live macht es aber schon einen Unterschied, ob man als Rapper alleine dasteht oder zu zweit.

Milli Dance: Ich steh' nicht alleine. (Grinst.) Wir haben zwei Freunde von uns als Unterstützung auf der Bühne dabei: MDMH, einen jungen Rapper aus Rostock, der auch viel mit unserem Produzenten Doktor Damage macht. Und dann noch eine Person, die auch aus unserem Freundeskreis stammt. Ich hatte beide gefragt, ob sie sich vorstellen können, das live mitzumachen. Weil ich finde, dass es live eine andere Energie hat und ich mich dann auf andere Sachen konzentrieren kann. Ich kann einfach energiereicher arbeiten, wenn ich nicht alles allein rappen muss. Und ich finde auch, dass es geiler klingt, wenn Sachen mit mehreren Stimmen passieren. Deswegen hatte ich beide gefragt, und jetzt für die Tour im Frühling kommen die auch bei allen Konzerten mit. Dann stehen wir zu dritt auf der Bühne, aber dann schon ein bisschen anders aufgeteilt. Ich bin der Hauptprotagonist und hab' zwei Unterstützer dabei. Wir haben das bisher einmal probiert, in Salzwedel, bei so einem kleinen Konzert im November. Das hat auf jeden Fall ziemlich viel Spaß gemacht. Wir haben gemerkt, dass dass 'ne gute Idee ist, und es passt auch menschlich gut.

Du sagst, du hast vorher schon den Großteil der Arbeit alleine gemacht. Ist es trotzdem einfacher, wenn man sich jetzt gar nicht mehr absprechen muss?

Milli Dance: Ja, klar.

Dub Dylan: Es ist effektiver.

Milli Dance: Ja, und ich schreib' auch gern alleine. Ich feature jetzt ja auch nicht viel. Mit Pöbel hab' ich 'ne Kollaboplatte gemacht, das war für mich eine ganz andere Erfahrung. Eine sehr angenehme auch, weil (lacht) man muss halt nicht so viel schreiben, und es war auch ein bisschen weniger verkopft. Aber, ja, wenn ich jetzt so ein Album schreibe, dann ist es natürlich einfacher zu sagen: Ich mach' das so, und das mach' ich so, und hab' ich noch Bock auf einen Featurepart oder nicht? Wenn ja, frag' ich halt wen. Oder ich mach' es eben allein. Es ist in dem Sinne befreiend, dass man weiß: Das, was ich auf dem Zettel habe, setzen wir so dann auch um.

Deine produzierenden Mitstreiter kommentieren deine Texte nicht? Mischen die sich gar nicht ein?

Millli Dance: Doch.

Dub Dylan: Klar, natürlich. Aber meistens finden wir einfach geil, was Milli Dance schreibt, und bestätigen ihn darin. Was ja vielleicht auch ein wichtiger Part ist. Wenns aber mal Kritik gibt, dann wird die natürlich auch geäußert.

Kommt das vor?

Dub Dylan: Mir ist jetzt kein konkreter Fall in Erinnerung geblieben. Nö.

Milli Dance: Aber es passiert, dass man zum Beispiel an bestimmten Stellen sagt: Hm, ich bin damit nicht zufrieden. Und dass man dann zusammen überlegt, wie das cooler sein kann.

Dub Dylan: Genau.

Milli Dance: Oder auch bei der Songstruktur. Wie kann man das machen? Ich frag' schon nach: 'Was denkt ihr denn darüber?'

Gehts da nur um Strukturen oder auch um Inhalte?

Milli Dance: Könnte ich jetzt so gar nicht sagen. Beides! Es ist jetzt ja meistens nicht so, dass meine Texte inhaltlich krass auf dem Prüfstand stehen. Auch wenn ich mal Sachen sage, bei denen andere sagen: 'Warum hast du jetzt das gesagt?', ist den Leuten, glaub' ich, schon klar, in welchem Modus operandi ich da agiere. Und da wir alle sehr doll den Anspruch haben, dass man künstlerisch sehr frei sein sollte, ist jedem klar: Auch wenn ich Scheiße erzähle, ist das nicht alles hundertprozentig so gemeint. Wir machen das inzwischen miteinander lange genug, dass die anderen einschätzen können, was ich sage. Aber ich sag' ja jetzt auch nichts, bei dem wir untereinander sagen: 'Alter, krass, du hast ja jetzt komplett deine Einstellung geändert.' Man diskutiert, wie jetzt beim aktuellen Album, eher darüber: Wie schätzen wir das ein? Ist das 'ne Weiterentwicklung? Ist das textlich besser, komplexer?

Ist ja klar, worauf ich hinaus will. Du fragst es selbst in einem Text: "Vier Weiße diskutieren, ob man 'Neger' sagen darf." Darf man?

Milli Dance: Ne.

Du sagst es selbst zweimal.

Milli Dance: Richtig.

Dub Dylan: Man darf es als Zitat sagen, wenn es darum geht, was Rassistinnen und Rassisten sagen. Würde ich aus meiner Position heraus sagen. Ich sprech' aber vielleicht auch nicht für die ganze Band.

Milli Dance: Also, genau. Ich sag' es zweimal. Das eine ist genau dein Zitat, was aber auch genau eine konkrete Wiedergabe dieser Talkrunde ist, die da stattfinden sollte. Ich weiß nicht, ob du sie vor Augen hast?

Nicht genau.

Milli Dance: Das war 'ne Talkrunde beim MDR, mit Frauke Petry und noch drei anderen Weißen. Es gab einen Riesenshitstorm. Ich glaube, die Überschrift war sogar: "Darf man 'Neger' sagen?" Es ging um Political Correctness, und mein Text ist genau nur eine Wiedergabe davon. Das ist das eine Mal, wo ich das gesagt habe. An der zweiten Stelle sage ich: "... wenn du einen Witz nach dem anderen über Neger kloppst". Da benutze ich dieses Wort. Mir ist tatsächlich erst, als das Master fertig und alles im Druck war, aufgefallen: Okay, wenn ich das jetzt so höre, könnte man es so verstehen, dass ich sage, dass 'Neger' … (unterbricht sich) oder das N-Wort, meinetwegen. Das find' ich halt auch bescheuert, 'N-Wort', kann man drüber reden, ob man das benutzt. Aber das Wort ist ein reales Wort. Ich weiß nicht. Ich kann auch das Wort 'Fotze' nennen, als ein Schimpfwort, das für mich nicht geht, und sag' dann statt dessen auch nicht 'das F-Wort'. Find' ich bekloppt. Aber ich akzeptiere, dass es da verschiedene Ansätze gibt, und ich nehm' mir jetzt nicht raus, jemandem vorzuschreiben, so und so ist das, weil ich mir bewusst bin, dass ich weiß bin und in keiner Position, um jemandem zu sagen: Das und das darf man sagen oder nicht.

Jedenfalls ist es für mich eher eine Verhandlung des Wortes. Als ich das dann gehört hab', hab' ich im Nachhinein auch eher gedacht: Fuck! So, wie ich das jetzt höre ... Ich war die ganze Zeit so in meinem Film, dass für mich ganz klar ist, welche Situation sich da gerade abspielt. Die hab' ich auch so erlebt: Mit Leuten zu tun zu haben, die Negerwitze - genau in dem Sinne! - kloppen, irgendwelche dummen Sprüche bringen, das vielleicht nicht mal unbedingt ernst meinen, aber es halt tun. Dieses Wort existiert in meinem Alltag. Jetzt nicht unbedingt in meinem Umfeld, aber es läuft mir immer wieder über den Weg. Deswegen war für mich in dieser Situation klar: Ich sage das zu einer Person. "Du hast das gerade gesagt, du redest über *in Anführungszeichen* ... (unterbricht sich wieder) Irgendjemand hat bei YouTube geschrieben: "Es hilft auch nichts, wenn man Anführungszeichen drüber setzt." So, wie es im Text rüberkommt, kann ich verstehen, dass man denkt, ich benutze dieses Wort so. Für mich ist es aber: Ich begebe mich genau in deine Denke, ich sage dir: "Das machst du!" - und sage Nein dazu. Zur Diskussion, ob man dieses Wort benutzen darf oder nicht: Ich sage, als Bezeichnung für Leute darf man es nicht.

Manche Leute mögen sagen, man darf dieses Wort überhaupt nicht in den Mund nehmen, Das ist für mich aber auch eine Realitätsverweigerung. Das ist mir auch schon in Rostock vor linken Läden passiert, dass zwei Menschen, Schwarze, People of Colour, miteinander reden, und dann kommt jemand vorbei und sagt: "Was machen die da?" "Ja, wahrscheinlich Drogen verkaufen." Das ist halt eine Realität, und dem erteile ich eine Absage. Und jetzt können wir darüber diskutieren, ob cool ist, das zu sagen oder nicht. Ich würde jetzt sagen: Wäre es mir einfach früher aufgefallen ... ey, das haben auch andere gehört, denen ist das auch nicht aufgefallen! Allen war klar: "Schon klar, was du damit meinst" - aber das sind auch alles Weiße gewesen. Weißte? Ich kann jetzt schon so selbstkritisch sagen: Ich hätte das Wort unter Umständen in einen anderen Kontext gesetzt. Auf dem selben Track sag' ich auch: "Du hast jeden, der anders ist, 'Schwuchtel' genannt." "Schwuchtel" benutz' ich auch nicht. Find' ich auch nicht cool, das zu benutzen. Ich nenne das Wort aber. Jetzt ist die Frage: Nennen wir diese Wörter und reden darüber, dass es scheiße ist, sie zu benutzen - oder nicht?

Mir ist schon auch klar, wie du das gemeint hast. Wenn man sich einen Hauch mit euch beschäftigt hat, muss man ja eure Positionierung kennen. Rassistische Vorstöße aus eurer Richtung hätten mich jetzt wirklich überrascht. Das hindert die Leute aber, gerade in linken Kreisen, nicht daran, sich in Grundsatzdiskussionen zu ergehen.

Dub Dylan: Ich find' Grundsatzdiskussionen total wichtig. Ich hab' tatsächlich auch 'ne Position zu so ... ich nenn' es mal "Sprechverboten". Kannst du gerne in Anführungszeichen setzen. Ich glaube, Sprache hat unter anderem die Funktion, eine soziale Realität abzubilden. In dem N-Wort stecken zum Beispiel jahrhundertelanger Rassismus, Kolonialismus und Diskriminierung. Dem erteilen wir eine Absage. Und ich glaube, diese Absage kann man schon auch erteilen, wenn man das Wort nicht benutzt. Aber alleine durch die Nichtbenutzung dieses Wortes schaffen wir den Rassismus ja nicht ab. Ich glaube, es wär' Augenwischerei, zu sagen: Okay, wir benutzen politisch korrekte Sprache, und dadurch richtet sich unsere soziale Realität politisch korrekt ein. Ich glaub', so herum funktioniert das nicht.

Milli Dance: Ich find' diese Grundsatzdiskussionen prinzipiell auch gut. Ich kann diesen Ansatz auch verstehen, dass man sagt, es ist halt nicht geil, das zu sagen, das löst unangenehme Gefühle aus, beziehungsweise reproduziert sie. Das will ich gar nicht abstreiten. Ich glaube, das ist ein Problem. Ich finde es eigentlich genau richtig, darüber zu reden und auch zu sagen: Ich find' das scheiße, ich find' nicht, dass du das machen kannst. Gleichzeitig, glaub' ich, muss man zu einem gegenseitigen Verständnis kommen. So, wie er sagte: "Sprechverbote" oder "Wir benutzen die Wörter einfach nicht", diesen Punkt kann ich verstehen. Ich halte ihn aber nicht zwingend für das richtige Dogma. Genauso, glaube ich, wäre es in dieser Auseinandersetzung gut, wenn Leute die Position vertreten, dass sie sagen: "Ich find' scheiße, dass du das gemacht hast, aber ich versteh' deine Intention." Das wär' vielleicht die wünschenswerte Herangehensweise. Weil ich auf keinen Fall darauf beharre, dass das jetzt irgendwas besser gemacht hat, dass ich die Textzeile so gemacht hab'.

Würdest du sie jetzt anders machen?

Milli Dance: Ich würde ... (überlegt) ... ich glaube, ich würde in diesem einen Fall vielleicht deutlicher werden. Ich würde "sogenannte" sagen, oder so. Ich hatte das ja früher auch schon. In einem alten Text zum Beispiel, aus dem Track "Nichts Mit Euch Zu Tun Haben": "Wenn du damit nicht mithalten kannst, dann: Gute Heimreise, Kanacke!" Kann man auch sagen: "Ey, du hast das Wort benutzt!" Da kam auch tatsächlich mal jemand mit so einem Critical-Whiteness-Ansatz und sagte: "Bitte benutz' dieses Wort nicht." Ja, okay. Ich kann dir prinzipiell die Position nicht absprechen, dass ich 'n Weißer bin und du nicht und dieses Wort bei dir andere Sachen auslöst. Ich stell' mich da nicht mit einer Absolutheit hin. Aber ich kann nur sagen, dass man hinter jedem Wort, das benutzt wird, irgendwie auch die Intention sehen muss. Und die kann man nicht rausnehmen. Du kannst daraus keine rassistische Aussage von mir machen. Sondern ich habe ein definitiv rassistisches Wort benutzt, aber nicht mit einer rassistischen Intention.

Das ist immer so die Sache, natürlich. Das Wort alleine macht ja noch nicht, was man damit sagen will. Ich denke, es geht ganz stark um den Kontext. Im Fall, den du zuerst genannt hast, "Vier Weiße diskutieren, ob man hmm-hmm sagen darf", ist es für mich absolut in Ordnung, weil da genau das passiert ist. Das sollte so stattfinden, es gab einen Shitstorm. Das ist eine gesellschaftliche Realität. Ich glaube, dass auch in dieser Zeile klar wird: Es ist total bescheuert, was ihr diskutiert! Vier Weiße diskutieren, ob man dieses Wort benutzen darf! Was ist das denn?! Das setzt sich doch über alle hinweg, die dieses Wort überhaupt betrifft, und das zeigt für mich so eine Arroganz. Im anderen Fall, bei "Was Hast Du Denn Erwartet", da hätte ich das, glaub' ich, nochmal in einen anderen, deutlicher machenden Kontext gesetzt. Weil mir das an dieser Stelle wichtig ist.

Natürlich ist ein komplettes Humbug-Szenario, wenn vier Weiße eine solche Frage diskutieren. Aber ist es nicht trotzdem immer noch besser, vier Weiße diskutieren das, als niemand?

Milli Dance: Ja. Klar. Aber trotzdem war es im MDR. Es war öffentlich. Man hatte da ja wohl die Möglichkeit, das Menschen diskutieren zu lassen, die betroffen sind. Das zeigt doch auch eindeutig, wie die Machtverhältnisse sind und wer die Deutungshoheit hat. Wieso soll eine Frauke Petry das diskutieren? Kann sie ja machen. Wird sie bestimmt auch genug tun, wahrscheinlich gibts in ihrem Umfeld aber keine Diskussion, weil alle sagen: "Klar kann man das sagen, ist doch nicht so schlimm." Aber es muss doch darum gehen, dann tatsächlich auch Leute zu hören, die davon betroffen sind, von genau dem Rassismus, der in der Gesellschaft Realität ist. Natürlich ist Diskutieren immer besser als alles andere. Aber was du auf diese Art erreichst, ist Leuten zu sagen: "Was wollt ihr denn da mitreden? Wir bestimmen, was gesagt wird und was nicht."

Dub Dylan: Letzten Endes kritisiert diese Zeile auch 'ne Diskussion, die nicht wirklich ergebnisoffen, nicht zielführend ist. Weil im Prinzip schon klar ist, worauf es hinausläuft. Es wird nämlich so ausgehen, dass Weiße eben das N-Wort benutzen dürfen. Ganz einfach. Das wird Ziel dieser Diskussion sein, darauf läuft es hinaus.

Milli Dance: Hmmm, ja ... kommt drauf an, wer da sitzt.

Dub Dylan: Ja, klar. Aber bei Frauke Petry ...

Milli Dance: Ja, aber das ist halt auch schon eine Zustandsbeschreibung dessen, was so in Deutschland passiert in Sachen Integration, Rücksichtnahme und Erwartungen. Genau dieses "Wie reden wir denn über die anderen? Was darf man sagen?" Natürlich schwingt da mit: "Och, jetzt dürfen wir das nicht mehr sagen." Ja ... ganz viele Leute durften ganz viele Sachen nicht, und ihr regt euch drüber auf, dass ihr dieses Wort nicht benutzen dürft?

Ich find' die Diskussion um einzelne Wörter auch wichtig. Mich stört aber, dass sie oft überlagert, WAS da eigentlich gesagt wird. Hab' ich auch gerade in den Kommentaren zum Video wieder gesehen: Da regen sich so viele Leute über den Gebrauch dieses Wortes auf ...

Milli Dance: Ist auch legitim!

... und keiner redet darüber, mit welcher Intention du das sagst.

Milli Dance: Ich dachte aber, dass da deutlich mehr Kommentare kommen.

Dub Dylan: Dachte ich tatsächlich auch. Und bezeichnenderweise ist zu dem Wort "Schwuchtel" nicht ein einziger Kommentar gekommen. Weiß nicht, woran das liegt.

Milli Dance: Würde schon sagen, dass das N-Wort noch einmal eine viel klarere Verachtung ausdrückt. Das ist aber schwierig, weil: Verschiedene Diskriminierungen kann man nicht gegeneinander abwiegen, auf keinen Fall. Ich glaube, das Wort "Schwuchtel" ist halt irgendwie auch in weiteren Kreisen noch viel akzeptierter. Ich weiß es nicht genau.

Dub Dylan: Ich weiß es halt auch nicht.

Milli Dance: Ich will das auch nicht gleichsetzen. Ich würde schon auch sagen, dass ich mich, persönlich und subjektiv, wahrscheinlich in einem Text weniger darüber aufrege, wenn jemand "Schwuchtel" sagt, weil ich mir eher sagen kann: Ja, ist halt auch 'ne Realität, Leute sprechen so, und es werden auch nicht zwingend Schwule gemeint. Es findet ja auch eine Abstraktion dieses Wortes statt, genau wie mit "Pussy" oder "Fotze". Wenn jemand sagt: "Du bist 'ne Fotze." MC Bogy, hatte das ja definiert. Der hat gesagt: "Ich sag einfach Fotze. 'N Nazi is' 'ne rechte Fotze. Hat doch nichts damit zu tun, dass du jetzt 'ne Frau bist." Da kann ich erstmal sagen: Stimm' ich nicht mit überein, aber ich versteh' schon, was du mir sagen willst. Bei dem N-Wort ist das subjektiv betrachtet einfach nochmal döller. Könnten wir untersuchen, warum. Ich hab' da jetzt nicht die Fähigkeit zu. Ich nehm' es aber auf jeden Fall als störender wahr. Wobei Texte, in denen Leute als "Schwuchteln" bezeichnet werden, mich auch abturnen und das für mich tatsächlich auch nicht angenehm ist, so als Hetero.

"Für mich ist Prezident der beste Texter Deutschlands"

Schon interessant, wie unterschiedlich auf fragwürdige Inhalte reagiert wird. Einer von euch hat mal gesagt, er wundere sich, dass sich mit den teils krassen Aussagen von Absztrakkt niemand wirklich beschäftigt hat. Er wurde einfach nur verdammt, eine richtige Auseinandersetzung fand nicht statt.

Milli Dance: Bei der Kollegah-Farid Bang-Geschichte fand ich das vor allem doll. Das Thema hatte ich mit Pöbel oft, und wir waren uns da recht einig. Worauf sich beim Echo so gestürzt wurde, war die Zeile, die hab' ich jedenfalls am häufigsten zitiert wahrgenommen: "Körper, definierter als bei Auschwitzinsassen". Das ist absolut geschmacklos, wobei man aber sagen muss, ohne irgendwas entschuldigen zu wollen: Battlerap ist oft einfach geschmacklos. Aber die tieferen antisemitischen Motive, die man in der Mucke teilweise wiederfinden kann, wenn man das will, und die auch einfach auftauchen, dann aber eher abstrakter, so als Verschwörungstheoriescheiß, das geht viel tiefer. Es wird sich an dem Wort "Auschwitzinsasse" aufgehangen, wobei es inhaltlich um ganz andere Sachen geht. Das hat für mich etwas sehr Oberflächliches.

Dub Dylan: Das ist eine Phantomdebatte. Wir führen eine Debatte über einen bestimmten Sprachgebrauch, setzen uns mit dem eigentlichen Problem dahinter aber gar nicht auseinander.

So lange die Debatte am Gebrauch oder Nichtgebrauch bestimmter Vokabeln hängenbleibt, wird sie halt gar nichts bringen. Mein Lieblingsbeispiel zum Thema ist natürlich das merkwürdige Album von Prezident.

Milli Dance: Das war für mich textlich das interessanteste im letzten Jahr.

Ich finds mittelgut gelungen, fand aber hochgradig spannend, was es ausgelöst hat. Da konnte man ja auch sehen, dass sich die Leute nur noch über den Sprachgebrauch aufregen und überhaupt nicht mehr darauf achten, was eigentlich gesagt wird.

Milli Dance: Ich fand es, ehrlich gesagt, ziemlich gut. An einigen Punkten kann ich zwar nicht mitgehen, da werden sich Sachen genau so einfach gemacht, wie bei den Leuten, denen er eine Vereinfachung vorwirft. Wobei ich schon glaube, dass das natürlich alles auf Provokation ausgelegt ist. Aber Prezident hat den Anspruch - so hab' ich es zumindest wahrgenommen - Sachen nicht nur oberflächlich zu betrachten. Und dann hat er bei anderen Themen, gerade bei der #metoo-Debatte, Aussagen getroffen, die dann doch sehr oberflächlich waren, und in einem späteren Interview stand: "Ich hab' mich damit gar nicht so richtig auseinandergesetzt." Das kann man ihm dann schon vorwerfen. Wenn man diesen tieferen Anspruch propagiert und sagt, es ist alles oberflächlich, darf man dann halt nicht oberflächlich werden. Ich fand das Album textlich trotzdem extrem gut, ohne mit allem mitzugehen. Fand schon, dass er Sachen auf den Punkt gebracht hat. Hab' das linken Freunden auch gezeigt, die bei dem Track "Zwei Verschiedene Arten Des Gutseins" so lachen mussten und gesagt haben: "Ey, krass! Was'n das für'n Text?" Als das rauskam, dachte ich auch zuerst: Was will er mir jetzt sagen? Im Gesamtkontext des Albums und nach ein paar Interviews, die ich gesehen hab', fand ich das alles irgendwie verständlicher. Ohne zu sagen, ich unterschreibe alles, sind aber trotzdem Ansagen drin, wo ich sagen muss: Yo, Alter, da haste aber was auf den Punkt getroffen, gerade.

Ging mir auch so. Der erste dieser Tracks, der die Riesenwelle ausgelöst hat, "Extrameile", den fand ich richtig gut. Wenn man nämlich mal drauf achtet, was er da eigentlich kritisiert ... aber das haben die meisten ja schon gar nicht mehr gehört.

Milli Dance: Das hab' ich zum Beispiel auch nicht. Erst als ich Degenhardt kennengelernt hab'. Da haben wir uns nämlich genau darüber unterhalten, und er meinte: "Was Prezident eigentlich sagt, ist: Es gibt da so eine Doppelmoral. Viele fragwürdige Sachen sind okay - und manches ist dann ganz plötzlich nicht mehr okay." Und da sind wir dann ja genau bei dem Thema, das wir gerade hatten. Ich muss ehrlich zugeben, dass ich da auch gebraucht habe. Als die ersten beiden Dinger kamen, hatte ich so krasse Bauchschmerzen und dachte: In welche Richtung geht das jetzt? Genau das wollte Prezident ja, sagt er ja auch: "Ich wollte die Leute genau so triggern." Ich sage nicht, dass er mit allem Recht hat. Ich finde auch, dass in manchen Interviews, wo es dann konkret wurde, es auch bei ihm dünne wurde. Auf der anderen Seite hat er mit ganz vielen Sachen aber auch Recht. Natürlich macht er das total ätzend. Aber genau so soll es ja auch sein. Er wollte möglichst vielen Leuten auf den Schlips treten. Das hat er auch gemacht.

Dub Dylan: Vielleicht ist ein Problem, dass er Applaus aus der falschen Ecke dafür gekriegt hat. Aber seine Fans kann man sich ja nicht aussuchen.

Milli Dance: Ich glaub' aber nicht, dass auf einem Prezident-Konzert jetzt plötzlich ganz viele Rechte auftauchen. Es ist halt immer die Frage: Wie intelligent ist das Publikum, kann es das einordnen? Aber auch da würd' ich im Zweifel immer erst sagen: erstmal die künstlerische Freiheit. Prezident hat jetzt ja auch nicht gesagt: Ausländer raus und Frauen sollen gefälligst an den Herd. Sondern er hat teilweise Sachen dialektisch aufgegriffen und auch Kritikpunkte genannt, auf eine Art und Weise. Wo er die ganze Zeit sagt, "Fotzen halten sich für aufgeklärt", dazu meinte er ja auch, dass er da eher das cunt-Ding aus dem englischen Sprachgebrauch meint. Ich weiß, was er meint, und es war halt einfach das Maximum an Provokation, das möglich war. Das kann man gut finden oder nicht. Ich sag' jetzt nicht: Ja, so muss man es machen. Aber ich fand es auf jeden Fall interessant. Und ich fand die Beats hammergeil.

Problem war halt, dass über die hammergeilen Beats kein Mensch gesprochen hat. Weil die Texte komplett abgelenkt haben. Den ersten Track fand ich super, wie gesagt. Den hab' ich wie einen Versuchsaufbau empfunden. Hat er ja selbst hinterher auch so erklärt: Wie triggere ich die Leute. Für mich war das offensichtlich. Beim zweiten Track fand ich interessant, dass der Versuch auch noch funktioniert, wenn die Leute wissen, dass es einer ist. Mussten sie ja nach dem ersten Mal gesehen haben. Beim dritten fand ich es dann einfach ein bisschen ermüdend.

Milli Dance: Das dritte war der Titeltrack, oder? Der erste mit richtigem Video.

Da hatte sich die Provokation schon sehr abgenutzt. Außerdem fand ich schade, dass jeder über diese drei Tracks geredet hat, und keiner mehr über die wirklich guten, die auf dem Album außerdem noch draufwaren.

Milli Dance: Wobei ich die schon ziemlich gut fand.

Dub Dylan: Die eine oder andere Line, zum Beispiel die mit dem Dackelzuchtverein, die hat mich im Herzen getroffen. Das fand ich 'ne verdammt gute Line, einfach. ["Sodass das AZ, in dem er tätig ist, ein Käfig ist / Ein autonomer Schrebergarten / Ein Dackelzuchtverein heilsamer Prinzipien / Mit Vorrang vor Sympathien, Freunden und Familie", aus "Über Zwei Verschiedene Arten Des Gutseins", d. Red.] Wenn man sich den autoritären Gestus mancher radikaler Linker ankuckt, ist es genau das: Dein AZ gleicht einem Dackelzuchtverein.

Das mein' ich ja, wenn ich sage: Die Leute hängen sich an der Provokation auf und kucken dann gar nicht mehr auf die Intention. Ich find' grundsätzlich etwas komisch, wie unterschiedlich Sachen aufgegriffen werden, abhängig davon, wer sie sagt. Ich hab' nicht verstanden, warum die Rap-Journallie um den Sprachgebrauch von Prezident so ein Theater gemacht hat, während viel ätzenderer, verächtlicherer Sprachgebrauch bei irgendwelchen Straßenrappern, bei denen Ironie oder Intention schlechter erkennbar oder vielleicht gar nicht vorhanden sind, einfach so durchgewunken wird.

Dub Dylan: Das spricht Prezident ja tatsächlich auch an.

Milli Dance: Das ist ja aber auch so ein Feld. Dass man nicht einfach sagen kann: So isses. Aber klar, diese Doppelmoral, diese unterschiedliche Betrachtungsweise, das kam ja gerade bei "Extrameile". Dieses Ding, wie sind Leute sozialisiert, welchen Sprachgebrauch haben sie, was ist für sie normal? Man kann nicht alles entschuldigen, aber genauso wenig - das wär' jetzt der Umkehrschluss - alles als absolut dumm und verachtenswert verdammen. Ganz so ist es ja auch nicht. Es ist halt so ein Hin und Her. Einerseits herauszuarbeiten, wer ist wie privilegiert oder benachteiligt? Wo ist die Sprache einfach Ausdruck einer Lebensrealität? Auf der anderen Seite das, was er anspricht: Da wird so ungleich argumentiert, dann landest du irgendwann halt bei so einem "Was wollt ihr eigentlich?"

Das ist mir echt am sauersten aufgestoßen, bei "Du Hast Mich Schon Verstanden": Wo Prezident meint, jeder muss ja irgendwie sein Problem haben, und es liegt daran, dass man etwas nicht bekommt, was andere bekommen, weil man ist, wer man ist. "Weil sie Frauen sind, zum Beispiel, oder Tunten oder Türken." Das ist natürlich maximal provokant, und es steckt auch da ein wahrer Kern drin. Dennoch hör' ich da vor allem von einem Weißen - ohne Critical Whiteness-Anhänger zu sein, bei weitem nicht! Aber natürlich gibt es verschiedene Voraussetzungen, und natürlich find' ich es total schwierig und nicht angemessen, zu sagen: "Ihr beschwert euch alle nur, weil ihr das und das seid." Vielleicht hat er das auch gar nicht so gemeint, aber das kam für mich halt so rüber. Ich kann ja erstmal nur mit dem Text arbeiten. Natürlich geht das dann auch in eine Richtung, bei der ich sage: Okay, Alter, das ist dann aber auch ein sehr un-dialektischer Ansatz.

Dub Dylan: Ich find' an Prezidents Album auch nicht alles gut. Zum Beispiel, um mal dabei zu bleiben, diese Gleichsetzung von Messerstechergeschichten im Straßenrap und Absztrakkt. Weil Absztrakkt äußert sich rassistisch. Das ist ein Unterschied. Gewalt ist nicht zu rechtfertigen. Es ist ein Unterschied, ob jemand auf der Straße Menschen absticht, aus irgendeinem Grund, oder ob er einen Menschen absticht aufgrund seiner Hautfarbe oder seiner Herkunft. Da schießt Prezident für mich übers Ziel hinaus, indem er sagt, man müsse da mit einem Maß messen.

Milli Dance: Auf der anderen Seite is' 'ne Messerstecherei 'ne Messerstecherei. Und genau da hat er dann ja auch Recht, zu sagen, dass Gewalt verschieden angesehen wird. Die Tat ist am Ende immer die Tat. Es geht dann natürlich darum, wie kommt man dahin? Wie passiert sowas? Nichts davon ist zu rechtfertigen, und es ist auch nicht gegeneinander abzuwiegen. Aber das passiert natürlich automatisch, wenn man sagt, "selbst dem asozialsten Messerstecher lieb Kind". Klar, es werden Sachen relativiert, teilweise auch glorifiziert oder akzeptiert, die so nicht hinzunehmen sind. Aber ich find' auch, man kann das nicht so in einen Topf werfen. Aber dann sind wir ganz schnell wieder an einem Punkt, an dem wir sagen: Na, wenn das passiert, ist schon okay, aber wenn es rassistisch motiviert ist, dann nicht. So ist es ja auch nicht.

Dub Dylan: Genau das will ich natürlich nicht.

Von diesem Doppelmoral-Vorwurf fühl' ich mich auf jeden Fall getroffen, weil ich bei mir selbst merke, dass es mir sehr drauf ankommt, WER irgendwas sagt. Es gibt Leute, denen ich manches durchgehen lasse, das ich anderen niemals verzeihen würde. Wie ihr sagt, "Atzen und Dullis". Ich hab' echt Schwierigkeiten, zu erklären, warum ich zum Beispiel 'ne dumme sexistische Line bei Bomber oder Frauenarzt oft aushalten kann, während mich die gleiche bei Majoe oder Rin im Strahl kotzen lässt.

Milli Dance: Ja, kenn' ich auch.

Dub Dylan: Total.

Milli Dance: Wobei ich sagen muss: Es ermüdet mich auch ein bisschen. Fotze hier, Fotze da, es ist auch langsam einfach langweilig. Aber ich versteh', was du meinst. Wenn zum Beispiel bei Cro ein Sexismus-Vorwurf kommt, kommt das, glaub' ich, döller raus, weil da halt auch noch mitschwingt: Der ist ja eigentlich auch für die Teenies da. Gleichzeitig macht der aber auch voll die räudigen Aktionen. Wie dieses Ding, wo die mit einer Maschine irgendwo hingeflogen sind, von Stuttgart aus. Vorher war 'ne Hausparty in seiner Villa, bei der angeheuerte Frauen im Bikini rumlaufen mussten ... Das ist eine sexistische Realität, die ich noch dreimal räudiger finde als irgendeinen komischen Track. Weil das eine reale Umsetzung ist.

Ich hab' zu Beispiel auch deutlich weniger Probleme gehabt mit dem SSIO-Album als mit dem Live-Erleben beim Spektrum, wo dann irgendwelche vielleicht knapp 18-jährigen Mädchen der Aufforderung gefolgt sind, auf die Bühne zu kommen und als Objekte rumzutanzen. So hab' ich das wahrgenommen. Der Text schafft diese Atmosphäre natürlich auch. Aber wenn ich dann beim Konzert bin, und sowas wird abgefeiert, dann ist das nichts, wovon ich ein Teil sein will. Es ist in dem Augenblick eine andere Realtität. Wobei ich auch nicht sagen will, dass es in den Texten in Ordnung war. Aber da hab' ich vielleicht einen falschen, auf jeden Fall aber einen anderen Zugang zu Rap-Mucke. Das ändert sich aber durch so eine reale Situation.

Dub Dylan: Staiger hat mal in einem Interview gesagt, dass seine Royal Bunker-Sachen, die er releast hat, zurecht als sexistisch kritisiert wurden, aber niemand zum Beispiel auf Max Herre losgegangen ist, der im Video von "Mit Dir" Joy Denalane die ganze Zeit Wäsche aufhängen lässt. Das stimmt! Da hat er was Wahres gesagt. Da wird dann tatsächlich mit unterschiedlichem Maß gemessen.

Stimmt absolut, aber wie ich schon sagte: Kann man das jemandem wirklich vorwerfen? Klar, man sollte sich bemühen, mit dem gleichen Maß zu messen - aber wir tun es ja offensichtlich selbst auch nicht.

Milli Dance: Nö, natürlich nicht. Aber man versucht ja trotzdem nicht, seinen eigenen Standard an alles anzumessen, sondern zu kucken: Warum sind die Dinge, wie sie sind? Dann entstehen natürlich solche Betrachtungsunterschiede. Das ist ja eben die Schwierigkeit des komplexen Umgangs mit einer komplexen Welt. Dem gerecht zu werden, ist total schwierig. Das fand ich dann auf dem Prezident-Ding auch ganz geil, diese Kritik: "Dein AZ ist ein Dackelzuchtverein voller heilsamer Prinzipien." (zu Dub Dylan) Das hast du vorhin auch schon zitiert, ne? Wir reden die ganze Zeit über Prezident. (Gelächter) Ich hör' aber nicht die ganze Zeit Rap-Mucke. Ich hör' halt die Sachen, die mich interessieren, und Prezident ist eben ein Künstler, dessen Texte ich extrem interessant finde, und sehr gut gemacht. Für mich ist er der beste Texter Deutschlands. Aber da geht es ja genau darum: Linke machen sich die Welt einfach. Aber du kannst ihm wiederum auch vorwerfen, dass er es sich genauso einfach macht, indem er sagt: "Ihr macht es euch einfach!" Du machst es dir auch einfach! Dass das natürlich alles ein Ergebnis ist, vom Versuch einer Auseinandersetzung mit einer höchst komplexen Welt voller Widersprüche, muss man halt auch anerkennen. Dass es da total viele Irrwege gibt und wir auch alle nicht den richtigen Weg gepachtet haben. Sondern dass es immer nur über Auseinandersetzungen geht, über einen fortlaufenden Diskurs und den Versuch, sich irgendwie anzunähern.

Gibt es denn aber für dich klar definierte Schmerzgrenzen, wo du sagst: DAS geht jetzt für mich überhaupt nicht mehr klar?

Milli Dance: Sicher.

Dub Dylan: Darf ich kurz? Es ist vielleicht ein bisschen abstrakt, als Antwort auf die Frage. Aber ich glaube, auch wenn mir da orthodoxe Marxisten widersprechen würden: Jede Kritik hat eine moralische Basis der Bewertung, sonst kann ich nicht kritisieren. Aber ich glaube halt, dass es nicht großartig zielführend ist, einfach nur die Symptome eines Systems zu kritisieren. Man muss die Ursachen kritisieren, und das kann man nur auf einer moralischen Basis tun. Da liegen für mich dann auch die Schmerzgrenzen.

Milli Dance: Also, für mich ist ganz klar, dass zum Beispiel Vereinnahmung von Rap-Musik durch rechte Positionen für mich nicht geht. Jetzt ist die Frage der Grenze, wo ziehen wir die? Ist Sexismus schon rechts?

Sexismus ist leider kein Privileg der Rechten.

Milli Dance: Nee, auf keinen Fall. Aber wenn ich jetzt sagen würde, ich verorte das im politischen Spektrum, würd' ich es eher rechts verorten, weißt du? Auf jeden Fall ist es menschenverachtend, sagen wir so. Auch Linke können menschenverachtend sein, keine Frage. [Öffnet höchst galant den anwesenden Damen die Bierflaschen - mit dem sarkastischen Kommentar: "Gelebter Sexismus, hier."] [Prost!] Aber solche Anwandlungen, alle Richtungen im Rap, die dahin gehen, auf Grundlage von Nation, Hautfarbe, Herkunft andere auszuschließen und da genau diesen Diskursen zu folgen, das sind für mich Sachen, die nicht gehen.

Genauso ist mir auch klar: Hey, bei uns auf den Konzerten würde es nicht passen, wenn Künstler XY, der wirklich die ganze Zeit als Kunstmittel Sexismus benutzt, mit uns auftreten würde. Das geht dann nicht richtig zusammen. Ich sage nicht, dass ich deswegen auf einem Festival nicht spiele oder so. Aber im Rahmen von unserem Konzert ist klar, dass es Sachen gibt, die passen, und andere passen nicht. Genauso wie wir zu bestimmten Leuten nicht passen. So ist das halt. Das soll ja auch ein Abend sein, wo alles in sich bündig ist. Klar haben wir Leute, die auch mit einer gewissen Erwartungshaltung da hinkommen. Denen will ich auch nicht irgendjemanden vorsetzen, der diametral gegen unsere Art, Musik zu machen Musik macht. Was ja auch legitim ist. Ich bin überhaupt kein Verbotsfreund. Aber wenn MC Bomber nicht im SO36 spielen darf, dann find' ich das nachvollziehbar, ohne zu sagen, MC Bomber ist für mich ein totales No-Go. Ich hab' da meine Kritikpunkte, aber ... na, ja. Aber die Grenzen, die ich ziehe ...

Dub Dylan: .... das ist auf jeden Fall 'ne Fall-Entscheidung.

Milli Dance: Das ist 'ne Entscheidung von Fall zu Fall, ja. Aber wenn ich merke, dass jemand in seinen Texten zum Beispiel die ganze Zeit antisemitische Scheiße erzählt, dann ist für mich halt eine Grenze überschritten. Diese Grenzen sind teilweise natürlich sehr subjektiv gezogen. Kann ich etwas als Kunst noch rechtfertigen oder nicht? Wenn wir das mal rein objektiv betrachten, nicht mit diesem subjektiven Blick, wie empfinde ich etwas, dann sind wir wieder genau an dem Punkt: Wo ist dann denn der Unterschied zwischen der Abwertung, auch wenn es humormäßig gemeint ist, von Frauen - und von irgendwelchen anderen Leuten, die nur aufgrund ihres Daseins, dessen, wie sie geboren wurden, diskriminiert werden? Das ist, glaub' ich, alles eine sehr subjektive Wahrnehmung, dass Sexismus eher als eine Kunstform und als witzig wahrgenommen wird als Rassismus.

Kommt drauf an, auf welcher Seite man steht, wenn einem Sexismus begegnet. Sexismus witzig zu finden, fällt mir naturgemäß in aller Regel ziemlich schwer.

"Wir können nicht in einer Blase leben, es kommt Schlimmes auf uns zu"

Milli Dance: Ja, total! Ich sag' ja auch nicht, dass es allgemein so ist. Ich kann das ja nur für mich entscheiden - und du sagtest ja auch schon, dass du sowas bei manchen eher akzeptieren kannst als bei anderen. Das ist wirklich ganz schwierig. Ich hab' da auch keine endgültige Antwort darauf, weil ich weiß, dass die Gesellschaft komplex ist, dass Menschen komplex sind und sich manche Sachen eben so etablieren, dass sie irgendwann als duldbar dargestellt werden. Man kann ja immer sagen, dass 'ne übertriebene Männlichkeitsdarstellung halt auch eine Ironie auf sich selbst sein soll. Das wird dann auch ein solcher Selbstläufer, dass irgendwie selbstverständlich wird, das zu benutzen. Die Frage ist dann: Was für eine Atmosphäre schafft das eigentlich? Ich war mal auf 'nem Shacke One-Konzert in Rostock und muss sagen: Der droppt ja auch entsprechende Lines, trotzdem war - so hab' ich das zumindest empfunden - im Publikum eine Atmosphäre, die nicht unangenehm war. Auf der anderen Seite sind bei uns auf Konzerten schon Situationen entstanden, dass Leute sagten: "Ey, im Publikum war die Stimmung unangenehm männlich dominant", so. Ist halt die Frage: Wie kommt was rüber?

Gerade den Vorwurf männlich-dominanten "Rummackerns", den hab' ich unter Videos von euch auch schon gesehen.

Milli Dance: Yo. Klar. Weil nur Männer im Video waren. Aber ... (seufzt) ja, ist halt die Frage: Wie viel Diskriminierungspotenzial hat unsere Musik? Das ist natürlich auch wieder subjektiv. Wenn jemand sagt: "Ich fühl' Frauen da nicht repräsentiert" - was soll ich machen, Alter? Mein musikalischer Freundeskreis besteht halt nur aus Männern. Das ist natürlich eine strukturelle Sache, dass weniger Frauen rappen. Gleichzeitig kann ich für mich aber nicht sagen: Ja, gut, dann stell' ich Frau XY mit auf die Bühne, ich find' die aber scheiße. Ich find' ja schon neunzig Prozent aller männlichen Rapper scheiße, oder zumindest sehr viele, und kann damit nichts anfangen. Und Frauen gibt es aus strukturellen Gründen - nicht, weil sie weniger können - ja noch weniger, im Rap. Prozentual sind davon dann auch genauso viele scheiße. (Lacht)

Dub Dylan: Absolut gesehen, sinds halt weniger - und damit auch weniger gute.

Milli Dance: Genau. Prozentual bestimmt genau so viele schlechte. Absolut gesehen, bleiben dann natürlich noch weniger. Weil strukturell Rap männlich dominiert ist.

Über männliche Dominanz im Rap hab' ich in letzter Zeit auch mehr geschrieben, als ich je wollte. Ich glaube inzwischen, dass daran auch die Medienseite nicht unschuldig ist. Wir beschwören ständig genau diese Dominanz. Wenn man aber anfängt, mal wirklich hinzuschauen, gibt es nämlich gar nicht so wenige rappende Frauen, und darunter echt gute. Man kriegt sie einfach nicht oder deutlich seltener gezeigt. Die Sachen von Frauen musst du suchen. Dafür muss man erstmal ein Auge entwickeln, und dann muss man sich Zeit dafür nehmen, während du mit den Ergüssen der Männer von allen Seiten zugekackt wirst.

Dub Dylan: Ich hab' zum Beispiel den Eindruck, dass es zu Anfang der Grime-Szene in UK sehr viele Frauen gab, die gerappt haben. Ich weiß nicht, ob das noch immer so ist, ich beschäftige mich damit nicht mehr so intensiv. Aber NoLay, Lady Sovereign, Lady Leshurr würden mir einfallen, als richtig gute Rapperinnen.

Leshurr ist noch aktiv, Lady Sovereign hat schon ewig nix mehr gemacht.

Milli Dance: "Promi Big Brother" hat sie gemacht.

Noooo! Das find' ich jetzt ganz schön desillusionierend.

Milli Dance: Die hatte auch was mit einer da im Haus, glaub' ich. Ich hab' das auch nur so am Rande mitbekommen.

Oh, bitte, erzähl' mir nichts weiter. Wir reden lieber noch ein bisschen über euer neues Album. "Das Muss eine Demokratie Aushalten Können". Inhaltlich keine große Kehrtwende erkennbar. Du sagst selbst, du hast "nicht viel vor außer MCs zurecht zu stutzen, auf Rechts zu spucken und den Genitiv korrekt zu nutzen". Ist doch gar nicht so wenig.

Milli Dance: Den Imperativ korrekt nutzen, ist auch nicht so einfach. (Gelächter) Nee, keine Kehrtwende. Aber ich glaube schon, dass ein, zwei doppelbödige Selbstkritik-Sachen mehr drin sind als bisher. Wir haben uns ja immer schon auch über linke Gepflogenheiten und Habitus lustig gemacht, auch über Identifikationsfiguren. Wobei es da meist mehr um uns ging, dieses Überhöhen des künstlerischen, des Musik-Acts zu irgendetwas politisch Wichtigem. Dass wir uns ja auch immer dagegen wehren, dass Leute sagen: "Es ist so geil. Ihr müsst in diese Stadt kommen, wir brauchen euch hier!" Ihr braucht uns überhaupt nicht! Ihr wollt gern die Mucke hören, aber was verändern wir denn da? Wir machen Musik für euch, die ihr eh schon alles scheiße findet. Sich ein bisschen über vegane Küche lustig machen (Dub Dylan lacht), so ein bisschen da auch zu sticheln. Vielleicht nehm' ich es aber auch nur selbst so wahr. Auf "Eine Hand Bricht Die Andere" gabs ja auch schon dieses "Charlie / Abwasserkanal", da gings ja auch genau um dieses: Du konzentrierst dich hier auf einzelne Wörter und darum, was wir so auf der Bühne darstellen, und so. Aber jetzt - vielleicht denk' ich das bei dem Album jetzt auch nur, wegen ...

Dub Dylan: ... der fehlenden Distanz?

Milli Dance: Nee! Eher nur wegen dem Track "Remember". Der zweite Teil, ich weiß gar nicht, ob das so rüberkommt, aber das geht auch um diese Auseinandersetzung. Ich hab' noch ein paar andere Texte, die es nicht aufs Album geschafft haben, die ganz stark davon handeln: von linker Selbstverliebtheit und absoluten Gewissheiten, die mir auf den Sack gehen, und davon, es sich einfach zu machen. Da hab' ich noch ein, zwei Parts, die aber noch nicht ausgearbeitet sind. Die kommen irgendwann noch. Im zweiten Teil von "Remember" gehts halt stark darum. "Vergiss' darüber nicht, dass die ganze Welt verbohrt ist und auf allen Seiten des Diskurses sich wer als wichtig verortet und so sendungsbewusst wie Conquistadores die Welt an sich genesen lässt, ja, da kommt sicher Großes." Ey, auf allen Seiten des Diskurses! Die linke Seite hat auch nicht immer Recht. Linke Argumente haben nicht den absoluten Wahrheitsgehalt gepachtet, und vor allem nicht eine Losgelöstheit von der Welt. Ganz viel Gewissheit und Selbstherrlichkeit, dieses "So ist es und so muss es sein", darum geht es mir da ganz stark. "Wie kalt das Eisen auch schon ist, man biegt es sich zurecht. Wenns nicht ist, wie es sein darf, Weltbetrachtung durch Schablonen": Das ist eine Absage an Ideologien, an festgesetzte Dogmen, an schablonenhafte Betrachtung der Welt, und da muss dann irgendwie reinpassen, was passiert, auch wenn es total widersprüchlich ist und einfach nicht in die Erklärungsschablone reinpasst.

Dub Dylan: (Zu Milli) Gleichzeitig zu dieser Doppelbödigkeit hast du, glaub' ich, selten so einen unironischen Track wie das Outro geschrieben. (Zu mir) Das berührt mich total. Einer der berührendsten Texte von Milli überhaupt. Klar, ist subjektives Empfinden.

Ich hab' subjektiv empfunden, dass da eine enorme Unsicherheit mitschwingt. Dass du einfach nicht weißt, wie es jetzt weitergeht.

Milli Dance: Ja. Unsicherheit, wie es weitergeht, und insgesamt - vielleicht steckt das auch nur in meinem Schreibprozess und es kommt gar nicht so deutlich im Text rüber - auch eine Unsicherheit, was eigene Gewissheiten betrifft. Die sind stark ins Wanken gekommen. Nicht dass ich jetzt denke: Oh, die Rechten haben aber gute Argumente. Sondern eher: Meine Betrachtung von bürgerlicher Gesellschaft war vielleicht auch zu einfach. Es ist in den letzten Jahren viel passiert. Durch den Beruf, den ich ausgeübt hab', bin ich mit Menschen in Kontakt gekommen, die meinen Gewissheiten jetzt so gar nicht entsprechen, weil die komplett anders aufgewachsen sind. Dieses Hinterfragen: Wie Erste-Welt denke ich eigentlich manchmal? Wie privilegiert habe ich solche Selbstgewissheiten bekommen? Die muss man auch immer wieder umstoßen und hinterfragen. Diese Unsicherheit steckt in diesem Schreibprozess. Klar ist "Die Da Reden" ein Wutausbruch, genau wie "Ich Werde Mich Verteidigen" eine Trotzreaktion ist. Aber auch bei so einem Text war mir wichtig, wenn ich jetzt was Kämpferisches sage, das aus Trotz, aber auch aus Angst resultiert, dann steckt trotzdem drin: Ich bin nicht mutiger als andere und ich nehm' mich nicht raus. Mir ist wichtig, bei dem ganzen Abgehasse und Geprolle halt auch seine eigene Unsicherheit und die eigene Fehlbarkeit drinzuhaben. Das meine ich mit dem doppelten Boden: das Schießen, auch gegen die eigene Richtung. Ich weiß nicht, wie doll das rüberkommt. Es ist oft ja auch battlelastig und andere Leute angreifend. Aber das war mir bei diesem Album wichtig, oder bei einigen Texten, dass drinsteckt: Ich bin selber auch nur jemand, der halt in der glücklichen Position ist, viel Musik zu machen. Ein bisschen Demut, und auch ein Hinterfragen der eigenen Person.

Weil du den Track gerade erwähnt hast: "Ich Werde Mich Verteidigen" zeichnet wirklich ein sehr düsteres Zukunftsbild. Glaubst du, es kommt soweit?

Milli Dance: Ich hoffe, nicht. Aber wenn man sich ankuckt, wie über die letzten drei, vier Jahre Sachen, die vorher undenkbar waren, salonfähig wurden. Oder auch, wenn ich zehn Jahre zurückgehe: Da hatte ich so ein Gefühl, dass die bürgerliche Gesellschaft unumstößlich ist, eigentlich kann man in alle Richtungen pöbeln. Und jetzt denk' ich: Wenn das wegbricht, wirds noch schlimmer. Weil es gerade keine Kraft gibt, die dem was Positiveres entgegen setzt. Das war auf "Zapfhahn" ja auch schon so: "Der Status Quo ist scheiße, und die Alternative erst recht." Es ist halt meine Dystopie. In einem anderen Interview haben sie mich mal nach meinen Utopien gefragt. Da hab' ich gesagt: Ich könnte euch mehr Dystopien aufzählen. Ich bin zwar ein sehr lebensbejahender, aber auch ein sehr pessimistischer und teilweise ängstlicher Mensch. Wenn eine wirkliche Krise kommt, was passiert denn dann? Wenn du dir jetzt schon ankuckst, wie Leute bei eigentlich doch totaler wirtschaftlicher Stabilität sich bei der Ankunft von ein paar fremden Menschen schon überfordert fühlen: Was passiert denn dann, wenn hier wirklich mal Ausnahmezustand ist und es um ganz andere, existenzielle Sachen geht, und nicht darum, dass andere auch was abkriegen? Natürlich, wo viele Leute hinkommen, gibt es Probleme. Aber diese Probleme resultieren nicht daraus, dass die Leute problematisch sind, sondern daraus, dass Leute zusammenkommen und unterschiedliche Ansichten haben. Beziehungsweise ganz anders geprägt sind. Vor allem ging es mir bei dem Track darum.

Ich hoffe natürlich nicht, dass es so kommt. Ich sehe aber die Möglichkeit. Weil: Es ist passiert. Es kann wieder passieren. Das ist ja so ein Leitspruch. Mir ging es vor allem darum, klar zu machen: Ey, Freiheiten und das, was wir kennen, ist überhaupt nicht selbstverständlich. Darum geht es ja auch im Outro: um bestimmte Gewissheiten, die wir mal hatten - "Ach, was soll sich da schon groß noch verändern?" - dass das einfach nicht stimmt. Dass Grundsätze und Selbstverständlichkeiten ganz schnell wegbrechen können. Wenn ich das weiterdenke und sich das weiter so entwickelt, wird das natürlich nicht besser. Davor hab' ich Angst. Der Track ist dann tatsächlich eine gewisse Art von Pädagogik und Mitteilung, aus einer Emotion heraus. Ich kann sogar konkret benennen, woran es lag: Ich hab' eine Dokumentation gesehen, die darstellt, wie sehr Leute, die sich gegen Rechts engagieren, für sich alleine stehen. Wie sie auch eher der Feind für die Polizei sind, und ich das aus meinen Erfahrungen auch kenne.

Ich will dem Publikum einfach klar machen: Wir können uns nicht in Hedonismus ergehen und in irgendeiner Blase leben, weil: Da kommt was ganz Schlimmes auf uns zu, wenn das so weitergeht. Es ist ja schon schlimm, und es kann durchaus noch schlimmer werden. Wenn du jetzt fragst, ob man das verhindern kann: Ich hoffe es! Aber es wird, denk' ich, so kommen, wenn nicht ein grundsätzliches Umdenken stattfindet, darüber, wie die Gesellschaft sich strukturiert. Wenn es weiter darum geht, eine neoliberale Agenda zu verfolgen und nicht Gemeinwohl-orientiert zu handeln, dann wird es so kommen. Irgendwann - und das sehen wir ja jetzt schon - kommt der Punkt, an dem die Leute das scheiße finden. Vielen gehts noch nicht mal richtig kacke. Und derzeit sind halt die rechten Ideen dazu die dominierenden, das muss man sagen. Die bekommen zumindest am meisten Zuspruch. Wenn da nicht grundsätzlich 'ne Richtungsänderung im Denken stattfindet ... Beispiel: Olaf Scholz. Das ist eine Person, die absolut gefährlich für die Demokratie ist, weil er null von demokratischen Prozessen hält. Er hat in Hamburg Sachen angezettelt, die nichts mit Demokratie und Menschlichkeit zu tun haben. Er hat Zäune bauen lassen, um Brücken herum, damit Obdachlose dort nicht sind. Nur als Beispiel. Da findet eine Stadtpolitik statt, die für niemanden was übrig hat, der sich das nicht leisten kann. Dann gibts natürlich Leute, die nur noch Frust haben und sich verarscht fühlen.

Dub Dylan: Und wohlgemerkt: Olaf Scholz ist SPD-Politiker, das muss man sich mal reinziehen. Das ist die deutsche Sozialdemokratie.

Milli Dance: Genau. Und wenn die sich jetzt überlegen, Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten einzusetzen, und gleichzeitig einen Linksruck der SPD propagieren, das ist wie ... ich weiß gar nicht ... wie George Bush für die pazifistische Bewegung? Was soll das? Das ist doch absolut unglaubwürdig! Aber wenn jetzt selbst die SPD erkennt: Anscheinend brauchen wir ein linkes Profil, weil die ganze Scheiße, dass sich CDU und SPD annähern seit Blair und Schröder ...

Dub Dylan: Seit Helmut Schmidt, kann man ja fast schon sagen.

Milli Dance: Ja, aber Helmut Schmidt hat keine Agenda 2010 umgesetzt. Aber das sind doch Leute, die null von demokratischen Prozessen halten. Die verkaufen nur als Demokratie, dass es demokratische Institutionen gibt, und sonst soll bitte Neoliberalismus herrschen und der Markt alles regeln. Solche Leute sind total gefährlich für die Demokratie. Jemand wie Macron wird als Hoffnung für die Demokratie in Europa gesehen, dabei ist das doch auch nur ein Präsident der Reichen. Das ist halt ein Witz!

Das ist ja auch so bescheuert: Man sieht sich selber, man findet den Gedanken einer Europäischen Union gut, weil es natürlich gut ist, Grenzen abzubauen und transnationale Verbindungen und Verbindlichkeiten zu schaffen. Aber was in der EU dann passiert, ist eben nicht, dass gilt "Wir sind eine Solidargemeinschaft", sondern Deutschland wirtschaftet Griechenland kaputt. Jetzt mal als ganz populistisches Beispiel. Das ist, was die Leute wahrnehmen. Und wo findet man sich da wieder? Das macht es ja gerade für Linke auch so schwierig, dass das etwas Dialektisches ist. Als Rechter kannst du dich hinstellen und sagen: "Ich hab' immer gesagt, das ist scheiße. Deswegen wollen wir ein Europa der Vaterländer." Wir sagen aber: "Die Idee ist schon gut, aber nicht, wie gewirtschaftet wird." Sich auf die Nationen zurückzuziehen und einfache Antworten zu geben wie "Wir sind jetzt halt für uns, fickt euch alle!", das ist deutlich einfacher als zu sagen: "Wir brauchen jetzt Schritte die sich am Gemeinwohl orientieren." Die mögen auch mal widersprüchlich wirken, aber die Idee ist gut. Es ist ein total falscher Grundsatz, aber was wahrgenommen wird, ist: Das ist Demokratie. Klar ist dann jemand wie Olaf Scholz definitiv eine große Gefahr für die Demokratie, in seiner Wirkung deutlich gefährlicher als irgendwelche angeblich extremistischen autonomen Gruppen, die ihr Ding machen. Und bei denen gehts oftmals demokratischer zu. Das muss man ja auch sagen, bei aller Kritik, die es so gibt.

Dub Dylan: Gleichzeitig sind wir mit einer radikalen Linken konfrontiert, die sich in großen Teilen in ihrer Diversität bauchpinselt und materielle, ökonomische Fragen gar nicht mehr stellt. Das ist auch ein Riesenproblem. Aber das würde jetzt wahrscheinlich zu weit führen. Um noch ein Zitat zu droppen: Antonio Gramsci, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Italiens, hat mal gesagt: "Wir brauchen Pessimisten des Verstandes und Optimisten des Willens." Das beschreibt es, denk' ich, ganz gut. Es geht darum, in der Analyse so pessimistisch wie möglich zu sein, in dem, das man hofft und will aber trotzdem optimistisch zu bleiben und sich sein positives Menschenbild zu erhalten.

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