laut.de-Kritik

LoFi-Indie-Punk mit Nostlagie-Backflash.

Review von

Eine Lektion, um die man beim Älterwerden nicht herum kommt, ist die Erkenntnis, dass man sich irgendwann von der Vergangenheit lösen muss. Denn sowohl das ewige Bereuen von Fehlern, wie auch der wehmütige und nostalgische Blick auf die Vergangenheit sind oftmals nur schmerzlich oder beschränkend. Es gibt aber immer wieder Momente, in denen man um das Zurückdenken nicht herum kommt – und so einen Flashback habe ich erlebt, als hier die neue Scheibe von We Are Scientists eintrudelte. Die Zeitreise startete sofort: Wir schreiben das Jahr 2006. Die deutsche Fußballnationalmannschaft scheitert im WM-Halbfinale. Wolfmother spielen ein unvergessliches Konzert in der Zelt-Gluthölle des Southside-Festival. Und We Are Scientists veröffentlichen ihr grandioses Album "With Love And Squalor". Ihr wisst schon: "The day you move, you probably going to explode ...". Diese Zeilen haben sich mir eingebrannt wie Narbengeflechte und obwohl ich die Platte immer noch mag, schwingt da eine melancholische Note unweigerlich mit. Denn in den folgenden zehn Jahren gelang es dem New Yorker Trio zu keinem Zeitpunkt auch nur ansatzweise an das Debüt anzuknüpfen. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Oder stirbt sie jetzt? Ich schalte in den 2006er Modus und lege "Helter Seltzer" ein.

Und zack: Der Opener und Vorab-Single "Buckle" greift ab der ersten Sekunde und markiert eine waschechte und doch verwaschene Indiehymne. Die dümpelt zunächst ein wenig verträumt und planlose durch die Straßen New Yorks: "How could this take so long/ It’s been ages, dear/ through these wasted months/ waiting patiently/ ‘til you made me see ...", nimmt dann aber vor dem Hintergrund eines rotzigen Riffs inklusive Synthie-Klangwand gewaltig Fahrt auf: "What I think this is interesting/ I want you to buckle when you think of me". BÄMM! Dieser Sound macht Spaß und reißt dich mit seiner seltsamen Mittelstands-Punk-Energie unweigerlich mit. Und schon ploppen die Assoziationen auf wie Seifenblasen: Weezer. The Thermals. Art Brut. Kennt noch jemand Art Brut? Nur die extrem unmotivierte Soundbridge zum Ausklang hin trübt die gute Stimmung, weil sie nur dafür da ist, dem gelungenen Refrain noch einmal den Weg zu weisen. Solche Songwriting-Kniffe aus dem abgegriffenen Handbuch nerven ein wenig und ziehen sich leider durch das gesamte Album. Trotzdem macht "Buckle" definitiv von Bock auf mehr.

"In My Head" folgt im Prinzip dem selben Rezept wie der Einstiegs-Track, vermischt aber die Zutaten weniger passend. Die anfangs aufgezeigte Soundbreite ist zwar merkwürdig und interessant – alles tönt noch ein wenig elektronischer und experimenteller und Ex-Razorlight-Schlagzeuger Andy Burrows weiß sich massiv in den Vordergrund zu spielen. Dann aber kippt der Song in einen aalglatten Refrain, der zwar zum Ende hin massiv abstrahiert wird, aber doch einen faden Beigeschmack behält. Nichtsdestotrotz entwirft die Band hier und auch auf den nachfolgenden Stücken "Too Late" und "Hold On" ein markantes und eigenständiges Klangbild. Hier tut der massive Wiedererkennungswert von Keith Murrays glockenklarer Stimme selbstredend ihr übriges und drückt den Kompositionen einen Stempel auf.

Diese Eigenheit ist Segen und Fluch zugleich: We Are Scientists klingen zwar nie generisch und zeichnen zarte Verweise auf andere Indiebands, das Album an sich wird aber mit zunehmender Dauer doch ein wenig breiig. Die verschiedenen Puzzlestücke, die sich zunächst noch wunderbar ineinander fügen, werden später fast gewaltsam zusammengeschoben, stoßen sich ab, überlagern sich. Weniger Effekte, Verzerrer und Loops hätten hier eventuell für ein runderes und schärferes Gesamtwerk gesorgt. So aber ist "Helter Selzer" über weite Strecken einfach nur eine solide und ein wenig anstrengende Platte, auf der die punktuellen Ausreißer nach oben nur phasenweise durchscheinen. Aber es gibt sie: "Classic Love" beginnt mit einem rhythmischen Einstieg, der sich dann zurück nimmt und Platz für Murrays Stimme lässt. Diese entfaltet sich dann in angenehmen Kreisbewegungen, die dann tatsächlich an das hochgelobte "With Love And Squalor" erinnern. Das ist schnörkelloser, geradliniger Indie, der zwar in der Mitte für einen trippigen Zwischenausflug kurz zur Seite geschoben wird, aber eben auch direkt ins Ohr geht. So will ich We Are Scientists hören. "Headlights" stößt in ein ähnliches Horn, auch wenn Murray hier noch abgespacter klingt. Doch speziell die Kombination mit dem kratzigen Gitarren-Teppich entsteht auch hier ein schöner Indie-LoFi-Punk-Brecher (ist das ein Genre?).

Insgesamt macht man mit "Helter Seltzer" nichts falsch. Die Platte ist kurzweilig und angenehm knapp gehalten und sprudelt in einem sauberen Rutsch aus den Boxen. Speziell Burrwos raues Schlagzeugspiel sei hier noch einmal lobend erwähnt. Und auch wenn es eigentlich schwachsinnig ist, einer Band stetig ein zehn Jahre altes Album vorzuhalten und ihnen damit de facto einen Entwicklungsprozess zu verbieten, klingen We Are Scientists doch immer dann am besten, wenn sie sich auf ihren eigenen Ursprung beziehen. Speziell der Mittelteil der Platte ist ein Stück weit zu verschwurbelt und unnötig kompliziert, sodass sich die Band gefühlt ein Stück weit selbst im Weg steht. Das mag aber eine subjektive Empfindung unter dem Einfluss einer massiven Nostalagie-Injektion sein – und so bewahrheitet sich die eingangs aufgeführte Erkenntnis einmal mehr. Macht euch frei von der Vergangenheit und hört dieses Album losgelöst von längst verflossenen Erinnerungen.

Trackliste

  1. 1. Buckle
  2. 2. In My Head
  3. 3. Too Late
  4. 4. Hold On
  5. 5. We Need A Word
  6. 6. Hold For Nothing
  7. 7. Classic Love
  8. 8. Waiting For YOu
  9. 9. Headlights
  10. 10. Forgiveness

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