laut.de-Kritik

Jeff Tweedy schafft auch ohne Elektronik Meisterwerke.

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Als Songschreiber konnte man sich auf Jeff Tweedy schon immer verlassen. Weniger absehbar war die Art und Weise der Umsetzung seiner großartigen Songs mit der ständig wechselnden Besetzung seiner Band Wilco. Auf dem 2002er-Album "Yankee Hotel Foxtrot" versuchte Tweedy sich erstmals an elektronischen Lautmalereien als integraler Bestandteil seiner Kompositionen. Auf "A Ghost Is Born" (2004) perfektionierte er diese Herangehensweise, was werkimmanent zu Irritationen und Brüchen führte, der Qualität dieser Alben aber keinen Abbruch getan hat.

Nun sind Wilco mit neuer Besetzung und ihrem sechsten Studioalbum "Sky Blue Sky" zurück. Und, der wesentliche Punkt sei vorweggenommen, die elektronischen Elemente und Klang-Experimente sind komplett aus den Arrangements verschwunden. Das öffnet den Raum für das großartige Spiel der Musiker, ihre Instrumente effektiv in Szene zu setzten. Klavier, Keyboard, Gitarren und Schlagzeug gehen harmonisch Hand in Hand und entwerfen einen lässigen Sound, der an den Westcoast-Pop der 70er-Jahre angelehnt ist und Blues-, Rock- und Jazzessenzen aufgreift.

"Maybe the sun will shine today/ The clouds will blow away/ Maybe I won't feel so afraid" lauten die ersten Zeilen des Openers "Either Way". Ein luftiger Pianolauf, feinfühlige Streicher und ein sonniger E-Gitarren-Part unterstreichen diese positive Haltung. Ein Einstieg, der im weitern Verlauf alle Versprechen einlöst.

"You Are My Face" beginnt verhalten mit einer monotonen, zweistimmig vorgetragenen Strophe, ehe eine Jazzgitarre ein sanftes Solo andeutet, das abrupt unterbrochen und von einer lauteren, vom genialischen Nels Cline gespielten E-Gitarre übernommen wird. Das Schlagzeug und ein hämmerndes Piano tragen dieses Solo, an das sich der bewegende, traurig-weise Gesang Tweedys anschließt, der nun in höheren Tonlagen von großen Emotionen kündet. Und wieder ist es in "Impossible Germany" ein fantastisches Gitarrensolo, das sich zu einem grandiosen Gitarrenduell entwickelt, das meine Begeisterung hervorruft, obwohl ich bis dato Gitarrensoli eher abgeneigt gegenüber stand.

Zum Niederknien schön ist der ungemein sanfte Titeltrack "Sky Blue Sky", den Tweedy zu einer schlicht geschlagenen Gitarre und der Lap Steel intoniert. "Side With The Seeds" spitzt sich mit seinem instrumentalen Arrangement dramaturgisch wirkungsvoll zu und zeugt vom großen Verständnis der Musiker untereinander.

Nach laszivem Beginn spielt sich in "Shake It Off" sachte das Keyboard in den Vordergrund, ehe sich die Band mit Prog Rock-Ausflügen erste Schrägheiten erlaubt. Die Ballade "Please Be Patient With Me" besticht durch filigranes Gitarrenspiel, einer wunderschönen Melodie und natürlich Tweedys brüchigem Gesang.

"Hate It Here" offenbart beispielhaft, dass es sich um ein Band-Album handelt, auf den fantastische Soli und instrumentale Brücken jedem Song einen Mehrwert abringen. Nach dem ruhigen Stück "Leave Me (Like You Found Me)" folgt mit "Walken" eine heitere Piano-Stomp-Nummer, in der zunehmend die Gitarren das Heft in Hand nehmen und es ordentlich krachen lassen. Die Freude am Spiel, das nach einer spaßigen Jam-Session klingt, ist nicht zu überhören.

Die Single "What Light" erinnert bezüglich Struktur und Gesang an Bob Dylan, eine schwebende Slide-Gitarre steht der repetitiven Akustikgitarre zur Seite. Ein schläfriger Klavierlauf dominiert den letzten Song "On And On And On", der sich dann mit Schlagzeug, Gitarre und Streichern ein letztes Mal erhebt, um schließlich zur Ruhe zu kommen. Hoffnungsfroh sind dabei auch die letzten Zeilen: "You and I will stay together yeah/ You and I will try to make it better". Ein Ausklang, der thematisch an den ersten Song anknüpft und das Album stimmig rahmt.

"Sky Blue Sky" ist das bisher sonnigste, verspielteste und kohärenteste Album dieser Band, wenn auch nicht das innovativste. Muss es aber auch nicht sein, weil die versierten Musiker um Jeff Tweedy den großen Songs eine detaillierte und unprätentiöse Qualität anheften, die für absoluten Hörgenuss sorgt. Und wenn Jeff Tweedys sowieso fabelhafte Songs mit einer solch famosen Instrumentierung daherkommen, lässt das kaum Wünsche offen.

Trackliste

  1. 1. Either Way
  2. 2. You Are My Face
  3. 3. Impossible Germany
  4. 4. Sky Blue Sky
  5. 5. Side With The Seeds
  6. 6. Shake It Off
  7. 7. Please Be Patient With Me
  8. 8. Hate It Here
  9. 9. Leave Me (Like You Found Me)
  10. 10. Walken
  11. 11. What Light
  12. 12. On And On And On

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LAUT.DE-PORTRÄT Wilco

Wilco gehören wie Radiohead oder Giant Sand zu jenen beneidenswerten Bands, deren Werke schon vor ihrer Veröffentlichung zu Meisterwerken erkoren werden.

5 Kommentare

  • Vor 17 Jahren

    Habe die CD heute schon 1-2 mal rotieren lassen, allerdings eher nebenläufig. Ich bin einer der Verfechter des letzten A Ghost Is Born Silberlings. Fand dort auch die rehct temporeiche Grundstimmung gut und gepaart mit den melancholischen, lebensbejahenden Stücken, wie "Hummingbird" etc. die aber nie mehr als eine kleine Remineszenz an die 70er waren. Leider tendiert das aktuelle Album wieder mehr in die Richtung, den Stil insgesamt mehr einzubeziehen und nicht sich daran anzulehnen.
    Allein das Synthieklavier (keine Ahnung, wie das Ding genau heißt) in den ersten Stücken, spricht da Bände! Naja er wird wohl noch ein paar mal rotieren, allerdings fehlt mir das richtig prägnant Fröhliche, Treibende, das aber auch andächtige Akzente setzen kann. Die Songs sind zumindest schwerer zu verdauen als beim letzten Album. Eine Referenz zu den früheren Werken, möchte ich erstmal nicht aufstellen, bevor ich das Album öfters gehört habe.

  • Vor 17 Jahren

    oh gott ist das schööööööööööön!

    endlich bekommt beck's sea change mal gesellschaft in meiner kleinen hall of fame.

  • Vor 17 Jahren

    ich frag mich wirklich ein bisschen warum diese Platte hier so untergeht ..

    ganz groß und wunderschön

  • Vor 17 Jahren

    Gute Frage. Besonders, da ich eigentlich dachte, das Wilco mit "A Ghost Is Born" sogar ein bisschen die Allgemeinheit erreicht hätten. Aber anscheinend sind sie hier immernoch weitgehend unbekannt, bzw. ungehört.

    Aber "Sky Blue Sky" ist dennoch in meinen Augen leider schlechter als der Vorgänger. Es fehlt etwas die Abwechslung, das Prägnante, das Überraschungsmoment, das AGIB dominierte. Aber schön ist es dennoch. :)

  • Vor 17 Jahren

    klasse album!
    fands am anfang eher nich so, hat sich aber von mal zu mal aber gesteigert. gehört zu meinen topanwährtern zum album des jahres.
    9/10