laut.de-Kritik
Noch lange keine Best Of-Band.
Review von Christoph DornerMan darf sich schon etwas wundern, dass ausgerechnet jetzt im Januar eine Best Of von Wir Sind Helden erscheint - und nicht bereits im lukrativen Vorweihnachtsgeschäft. Gut, "Best Of" klingt nicht nur für Marketingexperten mittlerweile viel zu sehr nach Frühverrentung, also hat man das üppige Song- und Videopaket leidlich originell "Tausend wirre Worte – Lieblingslieder 2002 – 2010" genannt.
Damit ist die Eingangsfrage noch nicht beantwortet, zumal ja erst im August 2010 das vierte Album "Bring mich nach Hause" erschienen war. Der Grund für solch ein vermeintliches Fan-Geschenk dürfte weniger mit der Etikette linksliberalen Gutmenschentums zu tun haben, mit der Sängerin Judith Holofernes ab und an angefeindet wird, sondern vielmehr mit knallhart durchkalkulierter Labelpolitik.
Denn der EMI-Group, immerhin Heimathafen der ersten drei Alben, geht es wirtschaftlich weiterhin ziemlich beschissen. Nach Radiohead und Rolling Stones hat vor kurzem auch Queen das Londoner Label verlassen, an allen ehemaligen Zugpferden hatte man mit bisweilen lieblosen Neuauflagen und Sammlereditionen gutes Geld verdient. So wird nun also auch die Helden-Kuh ein letztes Mal gemolken, nachdem die Band schon 2008 bei Columbia (Sony) unterschrieben hat.
An Weihnachten solle nämlich bitte schön noch das aktuelle Gold-Album bei den Leuten unter dem Baum liegen, danach könnt ihr mit eurer Best Of-Werbung die Litfaßsäulen zukleistern - so dürfte der Deal zwischen Columbia und EMI gelautet haben. Kein Wunder jedenfalls, dass Holofernes wegen ihrer wiederholt vorgetragenen, im Kern stets kreuzbraven Branchenkritik jüngst von einem Berliner Stadtmagazin mal wieder zu einer der peinlichsten Bewohnerinnen gewählt wurde.
Man kann der Band (und den Plattenfirmen) allerdings zu Gute halten: Handwerklich gibt es an der Auswahl der Lieblingslieder kaum etwas auszusetzen. Auf der ersten CD sind die 19 größten Hits zusammengefasst und "stimmungsmäßig sortiert". Von der kratzigen ersten NDW-Single "Guten Tag" aus dem Jahr 2002, seltsamerweise erst an dritter Stelle hinter dem absoluten Stadion-Popper "Denkmal" platziert, bis zum gänzlich erwachsenen Radio-Pop von "Alles".
"Echolot", "Von hier an blind", "Gekommen um zu bleiben", "Müssen nur wollen" - es würde einen dann doch wundern, wenn auch nur einer dieser Songs fehlen würde. Wir Sind Helden haben damit nicht nur eine feminine Deutschpop-Welle ausgelöst, auf der mit Silbermond und Juli weitaus weniger talentiertere Bands im Anschluss geritten sind. Sie haben durch ihren Langzeiterfolg auch eine Popfigur wie die Grand Prix-Siegerin Lena erst salonfähig gemacht.
Man will besser gar nicht wissen, wen sich Stefan Raab da gezüchtet hätte, wären Wir Sind Helden nicht auch ein paar Mal bei TV Total aufgetreten. Auf der zweiten CD der "Deluxe Edition" setzt unterdessen die übliche Resteverwertung des Backkatalogs ein, Lieblingslieder sind das nicht mehr. Ein paar ordentliche Single B-Seiten, Live- und Akustik-Versionen, Demos, ein Moonbootica-Remix und ein iTunes-exklusiver Song bieten jedoch zumindest eine gewisse Halbwertszeit.
Und über aufrichtig gemeinten Neuinterpretationen von Songs wie "Kaputt" in französischer, japanischer und chinesischer Sprache kann man immerhin schmunzeln. Bleibt die noch beiliegende DVD, die neben sämtlichen Videos nebst spannenden Making Ofs mit der 45-minütigen Dokumentation "Tausend wirre Bilder" den eigentlich größten Anschaffungsgrund für die meisten Fans und Sympathisanten darstellen dürfte.
Darin wird die Band bei frühen Auftritten, bei Proben und im Studio gezeigt, zumeist ziemlich baff darüber, wie rasend die Karriere vorangeht. Zwischendurch geben die vier Bandmitglieder im Gespräch ziemlich ehrlich Auskunft über Befindlichkeiten und Pläne, das Ganze ist kurzweilig zusammengeschnitten. Man erinnere sich: Früher, als es noch kein Internet gab, hätte man allein für ein solches Bandvideo über 30 Mark berappen müssen.
Dennoch bleibt allein wegen des kommerziellen Kalküls dieser doch recht ordentlichen Compilation ein schaler Beigeschmack. Denn Wir Sind Helden sind noch lange keine Best Of-Band, das wissen sie selbst am besten. Auf ihrer Homepage wird deshalb nur kleinlaut auf die Existenz des "Heldenfilms" verwiesen. Prominenter ist dort das Logo gegen Atomkraft platziert.
11 Kommentare
ich habe bisweilen nur das letzte album von juli gehört, und kann mich der 4**** rezi des kollegen anschließen. juli ist alles andere als untalentiert
Also das Album ist total super, aber weil die Plattenfirma nur Geld damit verdienen will gibts nur 3 Punkte. Ist das ungefähr richtig? Und ist das nicht extrem heuchlerisch von eim laut 3.0?
auch wenn ich kein Best-of Fan bin, mal wieder ne typische Laut-Best-of-Rezi...
Eigentlich ziemlich gut, aber die Bösen Labels, die damit nur Kohle machen wollen, eieiei, nee da können wir nicht mehr geben. Von welcher Band nochmal? Ach egal...
3 Punkte sind ja ok, aber dann bitte nicht mit so ner Pseudo-Begründung, wird hier ganz besonders deutlich.
Ohne Aurelie kannste die Platte doch vergessen. Es will doch auch keine 'ne Stone-Best-of ohne, sagen wir, Brown Sugar.
sprachlich teils überdurschnittlich, aber die attitüde und die alte selbst machen mich aggro.
die b-seiten cd interessiert mich schon. ansonsten fehlen natürlich aurelie und 23.55. bin aber positiv überrascht, dass dafür die zeit heilt alle wunder und du erkennst mich nicht wieder auf cd 1 sind. den elefanen track hätten sie aber getrost weglassen können.
bin übrigens immer noch begeistert, dass die helden 2010 ein album herausgebracht haben, auf dem definitiv kein einziger song ist, der kommerzielles hit-potential aufweist. ich bin mir sicher, dass die helden nach wie vor in der lage sind hits zu schreiben, es aber gar nicht erst versucht haben.