laut.de-Kritik
Eingängige Art Pop-Dissonanzen aus Kanadas Wäldern.
Review von Philipp KauseCrescendo heißt Anwachsen, "decrescendo" singt Frontmann Dan Boeckner in der prickelnd intensiven Beziehungs- und Drogen-Story "Julia Take Your Man Home". Die Wortwahl zeigt, wo die Wolf Parade sich zuhause fühlt: zwischen nicht so einfach gestrickten Worten, auch zwischen komplexen Tönen und Themen. Dort, wo es anfängt 'sophisticated' zu werden. Was die Worte angeht, handelt der Song "Forest Green" vom "Anthropocene". Dieses Schlüsselwort bezeichnet die Ära, seit der Mensch den Planeten entscheidend beeinflusst – und auch mitunter mal negativ verändert. Greta lässt grüßen, und das auch auf dem sensationell elaborierten, naturseligen Plattencover.
Melodiöser tritt die Band heute auf, griffiger, eingängiger, auch düsterer - und: wieder wave'iger, wie schon einmal in den 2000er Jahren. Das Folk-Getränkte des letzten Albums (2017), auch des Debüts (2005) lässt die Gruppe radikal beiseite. Ebenso versucht sie sich nicht mehr in überlangen Tracks. Die verzweifelt klingende Stimme des Sängers vibriert nun vor Dynamik und Dramatik. Sie steht im Vordergrund. E-Gitarren sind vom Beiwerk zum Multifunktions-Werkzeug gereift. Flexibel, elastisch, wie Synthies, setzt die Band diese mal so, mal anders ein.
Aus der Elektrischen kitzelt Dan Boeckner diverse Sorten von Sound heraus, weitaus mehr als straightes Schrammeln. Auch wenn nur diese eine, einsame Lead Guitar an Bord ist. Seit Kurzem, seit dem Weggang von Dante DeCaro, verfügt die Band weder über einen Rhythmusgitarristen noch einen festen Bassisten, überspielt die Lücke aber meist mühelos. "Thin Mind" beweist die kreativen Möglichkeiten Song für Song vortrefflich. Glam-Rock-Riffs an der Grenze zur Übersteuerung gehören zum Handwerk. Stoische Wiederholungen düsterer Akkorde als Dauer-Grundierung, frei nach Wire, sind eine der leichtesten Übungen Dan Boeckners. Flirrendes, unruhiges Zappeln, wie in "Forest Green" ergänzt die Palette auf der Platte. Genauso verhilft der Frontmann auch glibberigen Waber-Tönen aus den sechs Saiten zu ihrem Recht, in "Out Of Control". Heraus kam ein insgesamt spannendes fünftes Album: schnell, cool, direkt.
Nimmt man mit "Out Of Control" einen unbedingten Anspieltipp als Beispiel, dann kommt schon mal ein Gitarrenriff im Stile Joe Strummers zum Vorschein. Und doch zeigen weder Album noch Band die rohe Gewalt des Punkrock. Schnell breiten sich sphärische Keyboard-Flächen aus, die diesen Song in ein retardierendes Moment steuern, bis er schließlich ganz sachte ausrinnt. Vorhersehbarkeit kann man Wolf Parade als Letztes vorwerfen. Körperlichen Krach ohne intellektuellen Sinn dahinter meiden sie.
Wenn man etwas kritisieren will, lässt sich bloß auf hohem Niveau jammern. Darüber, dass die Band keinen Plan B zeigt, wie sie sich aus dem typischen 80er-Synth-Sound befreien kann, der in den Songs "The Static Age" und "As Kind As You Can" eins zu eins Züge von Simple Minds, U2, A-ha und Duran Duran annimmt. Nicht nur, dass es da an Originalität fehlt oder die Klangfarbe in diesen Tracks abgegriffen wirkt. Nein, auch die Tonlage und Aufgeregtheit hören sich plakativ und dick aufgetragen an. Somit stören diese beiden Songs in der Mitte des schönen Albums auch etwas den dramaturgischen Flow. Man kann sich sonst sehr gut in die Platte vertiefen. Außerdem mag man sich von der fiebrig-verzweifelten Traurigkeit des Lead-Gesangs einwickeln lassen.
So wie ein gut gewobenes Album Spannungen auf- und abbaut, gelingt auch auf "Thin Mind" diese Dynamik. Denn zum lockeren Electropop von "Against The Day" lässt sich sogar tanzen. Für diesen Titel setzt die aufs Trio (plus zwei Hunde) geschrumpfte Wolf Parade ganz auf Drums und Keys und belässt die Gitarre im Hintergrund. Stimmungen wie bei Pere Ubu in deren Phase um 1990 klingen an. Denn auch hier ergeben dunkler Post-Wave und schwungvoller Pop eine interessante Kreuzung.
Über der gesamten Scheibe liegt zudem das Feeling von Echo And The Bunnymen. Deren "Killing Moon"-Harmonien und das Timbre Ian McCullochs legen sich breit über die gesamte CD. Vergleichsweise psychedelische Stimmungen wie bei den Bunnymen finden sich zudem im bunt-überdrehten Zeichentrick-Video zu "Julia Take Your Man Home". Wolf Parade haben etwas zu erzählen, und das macht es wert ihnen aufmerksam zuzuhören.
3 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.
Ich weiß ja nicht, was Philipp Kause so in den 1980ern gemacht hat. Aber tatsächlich hat man damals auf alle Lieder einer solchen Platte vortrefflich tanzen können. Damals hätte ich das auch getan, doch heute wirkt "Thin Mind" irgendwie aus der Zeit gefallen. Der Sound ist irgendwie "schepprig" und die Lieder sind zwar wirklich recht ordentlich. Doch beschleicht mich ständig das Gefühl, alles so oder so ähnlich schon einmal gehört zu haben. Das ist gut, um es im Hintergrund herumdudeln zu lassen. Doch hinterlässt das Gedudel dann schnell den Eindruck, als ob gleich ein Radiomoderator die bevorstehende Tour von George Michael ansagt.
Als "unbedingten Anspieltipp" würde ich übrigens "Town Square" empfehlen. Für mich war das jedenfalls der erste Moment, an dem ich aufgrund der musikalischen Leistung aufhorchen musste. Für mich also insgesamt nicht grandios, aber auch nicht schlecht, sondern einfach ordentlich mit ein paar Highlights.
Wurde hier wirklich eine Rezession verfasst ohne Spencer Krug zu erwähnen, weird bei "Julia Take Your Man Home" ist auch nicht Boeckner sondern Spencer Krug zu hören