laut.de-Kritik

Klingt nach deutschem Wald, deutschem Stahl und deutschem Tiefsinn.

Review von

Mach die Pathos-Maschine an und die Menschen kommen in Scharen, magisch angezogen, wie von einem Magnet. Trotz aller überaus bedenklicher Vorkommnisse in der jüngeren Geschichte funktioniert diese Masche auch im Jahr 2013 einwandfrei. Und so wundert es nicht, dass der YouTube-Hit "Iron" des französischen Multitalents Yoann Lemoine, alias Woodkid, mittlerweile knapp 20 Millionen Views hat. Zumal dieser vor soldatischen Metaphern triefende Song mitsamt martialischem Video dem Nazi nebenan sicher genauso gut gefällt wie dem in mir.

"Iron" bildet auch auf Woodkids Debüt-Album den wagnerianischen Höhepunkt, bis dahin muss man allerdings zwölf ziemlich ähnliche Schmacht- und Schlachtfetzen erdulden. Das erste Stück und Titelsong "The Golden Age" gibt die Richtung vor: sehnsüchtiges Klavier, wehleidige Streicher, aufrührerische Hörner und Trompeten und ein apokalyptisches Schlagwerk-Trommelfeuer. Dazu Lemoines fragiler Gesang, fertig ist die Tüte große Gefühle. Dabei könnte die Message - "Boys are meant to flee/ And run away one day" - nicht banaler sein.

Wo Mumford & Sons sich die Finger auf dem Banjo wund spielen, lässt Woodkid die Schlägel seiner (live gleich zwei) Schlagwerke bis zur völligen Erschöpfung wirbeln. Das soll dann Intensität vorgaukeln, die ganze Tiefe der Empfindungen, die vermeintliche Erhabenheit des in Kunst überführten Schmerzes.

Und weil der 30-Jährige offensichtlich in jedem Song den, so der Promo-Zettel, "Sturm und Drang der Gefühle" seiner Pubertät und Adoleszenz nach diesem Baukasten-Prinzip in Musik verwandelt hat, verlassen uns die um ihr Leben trommelnden Schlagwerke mitsamt ihrem kitschig-bombastischen Klavier-, Cello-, Trompeten und Blockflöten-Tand das ganze Album über nicht mehr. Wie in seinen Videos für Lana Del Rey und Katy Perry, die in großen sentimentalen Hollywood-Bildern baden, möchte Woodkid uns auch mit seiner Musik regelrecht überwältigen.

Auch das vorab bekannte "Run Boy Run" will mit möglichst viel Getrommel möglichst dramatisch wirken, schließlich gehts auch hier um die schwierige Zeit der Pubertät. Mag ja tatsächlich nicht die leichteste Phase sein, in der man vom "boy" zum "man" wird. In all der Verwirrung identifiziert man sich am Ende sogar mit so platten Zeilen wie "Run boy run! This world is not made for you/ Run boy run! They're trying to catch you". Ein paar Jahre später wird man sich daran aber nur sehr ungern oder peinlich berührt erinnern.

Wo es stürmt und drängt muss es aber auch immer wieder mal ruhige Momente geben, und so hat Woodkid auch ein paar wehleidige Klavier-Balladen ("Boat Song", "The Shore") und versöhnliche Streicher-Instrumentals ("Shadows") unters Album gemischt. Den Balladen könnte man dank der manchmal an Antony Hegarty erinnernden Zerbrechlichkeit von Lemoines Gesang unter Umständen sogar etwas abgewinnen. Aber auch sie ertränkt der Waldpimpf in orchestralem Schmalz.

Würde man all zu viel auf nationale Eigenheiten geben, könnte man sich wundern, dass diese stark nach deutschem Wald, deutschem Stahl und deutschem Tiefsinn riechende Erbauungsmusik und -Lyrik aus dem doch vermeintlich so lockeren französischen Nachbarland kommt. Aber Bombast und Schmalz kennen eben keine Ländergrenzen. Und deswegen wird sich "The Golden Age", ganz gleich wie abwechslungsarm und banal, auch bestens klicken, downloaden, streamen und verkaufen. Woodkid hat seine Pathos-Maschine eben bestens geölt.

Trackliste

  1. 1. The Golden Age
  2. 2. Run Boy Run
  3. 3. The Great Escape
  4. 4. Boat Song
  5. 5. I Love You
  6. 6. The Shore
  7. 7. Ghost Lights
  8. 8. Shadows
  9. 9. Stabat Mater
  10. 10. Conquest Of Spaces
  11. 11. Falling
  12. 12. Where I Live
  13. 13. Iron
  14. 14. The Other Side

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48 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Wozu gibt es eigentlich Kritiker? Einfach selber in ein Album reinhören und entscheiden, ob es einem gefällt oder nicht.

    Ich finde die Musik großartig, war gestern beim Konzert und quelle immer noch über voller Glückshormone.

  • Vor 11 Jahren

    Vielleicht sollte man sich als Rezensent vorher etwas informieren. Dass die Thematik der Adoleszenz in so gut wie jedem Song wieder aufgegriffen wird, liegt daran, dass es sich bei "The Golden Age" um ein Konzeptalbum (!) handelt, das einen Tag vor Lemoines 30. Geburtstag veröffentlicht wurde.

  • Vor 11 Jahren

    Fantastisches Album! Lange nichts mehr gehört, was mein Gefühl isoliert und genau damit paradoxerweise in ein zeitgemäßes Gefühl meiner Generation eingebunden zu sein so treffend beschrieb.
    Zuerst aber: die Musik funktioniert. Das Ewige prachtvoll vor sich hergetragene "das kann ich auch" wenn man mal wieder garnix geblickt hat nervt. Ich bin kein Fan von Mario Barth, aber lasst die Leute lachen! Alles andere ist originär intollerante Scheiße.

    Nationalsozialisitsche Tendenzen? Meine reflexartige Assoziation zum Clip von Run Boy Run war das Motiv von Max beim Toben mit den wilden Kerlen. Also sorry, mein kleiner Nazi ist auch mir wohlbekannt, aber ihm war das alles viel zu gefühlsdusselig.

    Aber Pubertär! Mitnichten. Überschäumend kindisch!
    Und damit tragisch passend zum Zeitgeschehen.
    Ich darf keinen Burger bei Mc´es essen, keine Klamotten bei H&M kaufen, kein blutverschmiertes Smartphone haben und keine Datenschleudern wie Facebook und whatsApp nutzen. Böses Kind!

    Stattdessen muss ich den Lebensstandard der Elterngeneration halten, ein neues, individuelles Lebenskonzept von Familie entwerfen (mit einer Frau die ich noch finden muss), jedem der sich auslebt applaudieren und jedem der daran ein zweifelndes "ähm..." herausstottert, sofort mit Schmackes in die Fresse treten. Das ist aber ok. Ist nämlich, wie alles andere auch - alternativlos.

    In diesem Gefühl lebend ist eine Musik die im Wissen um genau diese Zwänge voller Stolz auf der basalen Gefühlsorgel spielt der wunderbare und aufbauende Ausdruck eines flüchtigen Zeitgeistes.
    Mal gespannt wer sich in ein paar Jahren schämen muss.