laut.de-Kritik

Soundapocalypse now!

Review von

16 Horsepower sind längst Geschichte. In elf Jahren Wovenhand hat David Eugene Edwards seinen ganz eigenen musikalischen Gemischtwarenladen mit spirituellem Überbau etabliert und emanzipiert. Keines der bisherigen Alben klingt auch nur entfernt so wie das andere. Doch "The Laughing Stalk" ist selbst für den vielseitigen Wanderprediger eine stilistische Drehung um 180 Grad. So viel Heavyness und schroffer Rock war nie.

Edwards siamesischer Musikzwilling Pascal Humbert ist nicht mehr an Bord. Mit Gitarrist Chuck French und Bassist Gregory Garcia jr. renoviert der umstrittene Songwriter das Klangbild in Richtung Wucht und Sturm. Soundapocalypse now! Passend hierzu steuert Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten einen finalen Mix bei. Ein echter Glücksfall für den methodistischen 'Klangkörper Christi'.

Atmosphäre ist alles. So könnte man das Motto beschreiben. Entsprechend souverän wandelt die LP auf der roten Linie zwischen brachialer Sinnflut, ekstatischer Messe und virtuosem Mosaik. Die Detailfülle ist erstaunlich. Allein, wie Wovenhand auf "Maize" - dem ruhenden Auge des Sturms - mit ein paar spärlichen Pianotupfern die gesamte Ausstrahlung des Liedes nach Belieben steuert, ist in seiner Filigranität audiophile Weltklasse.

Rein musikalisch betrachtet perfektioniert er die typisch messianische Grundstimmung. Die Vocals dazu: ausweglos konsequent wie Joy Division; unterbrochen von leidenschaftlich schamanischer Eruption der Marke Jim Morrison. Außer Madrugada kenne ich keine Combo, die die Doors-Dramaturgie dermaßen ausschöpfend durchdringt und perfekt für den gänzlich eigenen künstlerischen Ansatz auf den Punkt bringt. Zwischen totaler Kontrolle und völligem 'Aus sich heraus treten' lösen sich alle scheinbaren Widersprüche in Wovenhands Pforte der Wahrnehmung auf. Das Ergebnis ist eine ganz eigene hypnotische Dynamik, wie man sie - in anderer Form - höchstens noch von einem spirituellen Berserker und ungleichen Bruder wie Nick Cave in dessen besten "Tupelo" Tagen kennt. Anspieltipp: Das fette "King O King".

Ebenso erstaunlich ist die Homogenität der neun Lieder für ein Hallelujah. Sensende Gitarren und das Wolfsgeheul Edwards verdichten die Stücke zum pulsierenden Lavastrom. Nach mehrmaligem Hören stellt man indes fest: Jedes Lied hat neben dem Platz im Gesamtgefüge seinen ganz und gar eigenen Schwung. Gleich akustischen Fingerabdrücken, die einander zwar ähneln, doch ausnahmslos einzigartig bleiben. Eine technische Konstruktionsform, wie man sie auch bei Psalmen vorfindet. Keine Überraschung, dass D.E.E. dies in Vollendung beherrscht und durch die Verwendung des hebräischen Begriffs "Selah" (= repetitives Tonzeichen) auch für sich einfordert.

Wer sich schon immer an den chantischen Erweckungstexten des Mannes aus Colorado störte, wird im 'Lachenden Strunk' sicherlich auch dieses Mal eher wenig nährenden Honig vorfinden. Dennoch lohnt sich die Beschäftigung mit seiner Poesie ohne vorauseilende Verteufelung. Sprachlich war er schon immer herausragend talentiert. Nicht nur auf Songs wie dem Titeltrack oder "King O King" zelebriert der geborene Frontman den gleichen obig erläuterten Spagat wie in seinen Noten. Einfache Symbolismen geben komplexer Lyrik und spirituellen Bildern die sprichwörtliche Klinke in die Hand.

"It is Yahveh who hath opened. Jehova who hath made a way. Immanuel ... eternal day." Allein in dieser spirituellen Herleitung steckt mehr Inhalt als in ganzen Diskographien pseudohafter Schwätzer. Tumbes Fernsehpriestertum bleibt ebenso vor der textlichen Haustür. Dazu offenbart der ehemalige 'Feuer und Schwefel-Prediger' eine Entrücktheit, die möglicherweise fundamentalistisch wirkt. Der allenthalben aus Unkenntnis erhobene Vorwurf des Extremismus erweist sich bei näherer Betrachtung gleichwohl als hysterischer Quatsch mit Soße.

Trotz aller Superlative: Die nächste Höchstwertung bekommt der geniale Komponist und Performer von mir erst wieder, wenn er melodisches Ambrosia à la "Poormouth" (von "Secret South") oder "Stories And Pictures" (von "Blush Music") in die tosende Brandung einbaut.

Trackliste

  1. 1. Long Horn
  2. 2. The Laughing Stalk
  3. 3. In the Temple
  4. 4. King O King
  5. 5. Closer
  6. 6. Maize
  7. 7. Coup Stick
  8. 8. As Wool
  9. 9. Glistening Black

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LAUT.DE-PORTRÄT Woven Hand

Woven Hand sind ein 2001 gegründetes US-Projekt von David Eugene Edwards, dem ehemaligen Kopf der aufgelösten Alternative-Country Band 16 Horsepower.

13 Kommentare

  • Vor 11 Jahren

    Dank eines Youtube-Links, den "Fear_of_music" gepostet hat, entdeckt und gestern live gesehen. Hervorragende Gruppe; insbesondere live herrlich.

  • Vor 11 Jahren

    feary und ich sind da seit jahren sehr einig. weiterhören mit 16 horsepowers 'hoarse' und 'secret south'. das wird dir sicherlich gefallen.

  • Vor 11 Jahren

    die katze muss erstmal zum tierarzt, sie hat sich tinnitus eingefangen nach dem konsum dieser scheibe.
    rein tierpsychologisch muss sie auch über den ersten schock hinwegkommen. es fühlt sich so an, als wäre sie in einem käfig eingesperrt stundenlang von einem haufen feindseliger schäferhunde zugebellt und -gejault worden, das verträgt so ein zartes musikkätzchen nicht unbedingt immer so gut, die katze legt jetzt zwischendurch auch erstmal wieder "the threshing floor" oder "folklore" von 16hp ein um wieder ein wenig runterzukommen von dem krach ;)

  • Vor 11 Jahren

    ich glaube er hält auch viel von der naturreligion der 'indianer', aber dass er selbst deren blut in sich hat wusste ich nicht, sehr interessant. es gibt eine doku über ihn aus holland, werde mal den link suchen
    jetzt mal zur musik: also ich hätte bis jetzt nur 3 punkte, denn für mich hört die platte bis jetzt noch beim stärksten song nr. 6 auf: maize (hammerding aber auch!), danach flaut es irgendwie ab oder ich bekomm einfach keinen zugang zu lied 7,8 und 9.
    mich stört auch diese entwicklung zum "indie-schmuddelgitarren-rocker", aber war irgendwie schon abzusehen. habe mir jetz auf youtube mal kurz ausschnitte von der aktuellen tour angesehen, es zeigt sich auch optisch wieder, viele youtube-kommentatoren sind ja auch entsprechend entsetzt: "er steht!!!". bisher war ihm der hocker das ganze konzert über am po angewachsen, er stand NIE auf, schon seit 16hp zeiten nicht!, zudem hat er seine band verjüngt (midlife-crisis?), auch sein zunehmender zuspruch in der metal-szene (er war ja u.a. vorgruppe von Tool!) scheinen vielleicht zu der entwicklung beigetragen zu haben, zuguterletzt hat man schon bei der letzten tour gemerkt, dass er nur noch bock hat gitarre zu spielen statt auch mal zum akkordeon (konzertina) oder zu einem streichinstrument wie beim genialen 'horse head fiddle' zu greifen, schade drum, die varianz fehlt mir einfach.
    hoffe deshalb, das nächste album wird wieder mehr filigran und auch world-musik oder dark-folk-mässig, denn das ist es was seine musikalische arbeit für mich ausmacht.
    da nehm ich auch lieber wieder den sitzenden DEE in kauf, hier z.b. als kontrast ein volles konzert eines 'sitzenden' dee vom januar 2011, ein konzert dass mir viel besser gefällt als was er jetzt so abliefert:

    http://www.youtube.com/watch?NR=1v=vMGhBIh…

  • Vor 11 Jahren

    der link unten funzt nicht, am besten " WOVENHAND - January 25th, 2011 (full set)" ins YT-suchfeld eingeben.
    hab auch die Doku gefunden, "The Preacher": http://www.youtube.com/watch?v=iONYJR7n9QQ

  • Vor 11 Jahren

    geil, ein neues woven hand album. :) haben-will!!

    woven hand - DER schamanen-sound.