30. Oktober 2017

"Wir haben viele Tragödien erlebt."

Interview geführt von

In Japan ist Yoshiki ein Superstar – hierzulande völlig unbekannt. Das thematisiert auch die Dokumentation "We Are X", anlässlich deren Europapremiere der X Japan-Leader nach Deutschland reiste. Im Interview gibt er Einblicke in seinen angeschlagenen Gesundheitszustand und Updates zum ersten Bandalbum seit 21 Jahren.

Die japanischen Touristen am Potsdamer Platz würden wohl ausflippen, wenn sie wüssten, wer da sieben Stockwerke über ihnen in einer Luxussuite mit eigenem Flügel residiert. In seiner Heimat ist Yoshiki einer der bekanntesten und erfolgreichsten Rockstars überhaupt – mit Fug und Recht lässt sich behaupten, dass der heute 52-Jährige die japanische Musiklandschaft nachhaltig verändert hat. Mit seiner Band X Japan trat er in den 80ern die Visual-Kei-Bewegung los, bekam satte 18 Mal den Tokyo Dome voll und verkaufte weit über 30 Millionen Platten. Als klassischer Komponist schuf Yoshiki unter anderem ein Klavierkonzert zum Herrschaftsjubiläum seines Kaisers und das Golden Globe-Theme. Marvel-Mastermind Stan Lee transformierte ihn zum Comic-Superhelden.

Außerhalb Japans jedoch hält sich die Bekanntheit X Japans und Yoshikis trotz Auftritten in prestigeträchtigen Venues wie Madison Square Garden oder Carnegie Hall in Grenzen. Ein erster Vorstoß Anfang der 90er-Jahre, im Zuge dessen sich der Drummer und Pianist die One On One Recording Studios (Metallica arbeiteten dort an "...And Justice For All" und ihrem Black Album) unter den Nagel riss und zu seiner Homebase umfunktionierte, schlug fehl. Wie Kiss-Boss Gene Simmons in der neu erschienenen Dokumentation "We Are X" erklärt, stand vor allem die Sprachbarriere im Weg.

Gerade dieser Film soll nun aber neue Aufmerksamkeit in der westlichen Welt schüren. Regisseur Stephen Kijak arbeitet darin die Geschichte X Japans und ihres Bandleaders auf. Hinter der Fassade des Erfolgs verbirgt sich eine von Tod, Selbstmord und Gesundheitsproblemen geprägte Tragödie – worauf sich vieles von Yoshikis Schaffen und Handeln zurückführen lässt. Auch den Grund für die zwischenzeitliche Auflösung X Japans beleuchtet Kijak: Während Yoshiki in der Öffentlichkeit meist nur kryptisch von "Gehirnwäsche" seines Sängers spricht, legte dieser, Toshi, nun dar, wie er in die Fänge eines Kults geriet – und sich schließlich wieder daraus befreien konnte. An Yoshiki selbst ist all das am allerwenigsten spurlos vorbeigegangen. Wegen Dauerschmerzen in den Armen trägt er permanent einen Schoner an der rechten Hand. Schlagzeug spielen kann er seit Jahren nur noch mit Halskrause – aktuell wegen einer kürzlich erfolgten Wirbel-OP überhaupt nicht.

Eine Pause scheint für den Musiker aber nicht infrage zu kommen. Irgendetwas treibt ihn an, das merkt man ihm trotz seines schüchtern wirkenden öffentlichen Auftretens deutlich an. Seine Fans danken es ihm, zum abendlichen Premierenscreening von "We Are X" in Berlin bringen sie scharenweise Geschenke; viele lassen ihn wissen, welch teilweise lebensentscheidenden Einfluss er und seine Musik auf sie hatte. Im Gegenzug stellt Yoshiki ihnen im Q&A einen Termin für das seit Jahren angekündigte neue X Japan-Album in Aussicht: Frühling 2018. Ein paar Stunden zuvor erzählt er uns im Dialog, dass möglicherweise auch eine Kollaboration mit Marilyn Manson bald Früchte tragen könnte ...

Als du vor sechs Jahren mit X Japan hier gespielt hast, sagtest du auf der Bühne: "X Japan werden nach Berlin zurückkommen – für Currywurst!" Hast du dir heute schon eine gegönnt?

Ich bin gestern Nacht hier angekommen und hab' schon eine gegessen, ja. (lacht)

Vor dem Interview habe ich mich ein wenig in meinem Umfeld erkundigt und die Antwort auf die Frage: "Kennst du X Japan?" lautete fast ausschließlich: "Nein." In Japan spielst du vor Hunderttausenden, in Deutschland bist du recht unbekannt. Wie nimmst du denn die Szene und die Fanschar hier wahr im Vergleich zu Japan und anderen Ländern? Eine gewisse Fanbase gibt es natürlich, aber ich nehme an, insgesamt ist es doch sehr anders.

Ich war ehrlich gesagt fast geschockt, als wir vor ein paar Jahren die Columbiahalle ausverkauft haben. Ich dachte, die Anzahl der Fans hier würde gegen Null gehen. Für die Tour damals war ursprünglich nur geplant, nach England zu fahren. Mein Agent wollte London ausprobieren. Das Shepherd's Bush Empire war in 30 Minuten ausverkauft! Mein Agent ist ausgeflippt! Also haben wir Le Zénith in Paris dazu genommen – Kapazität 6.000, 7.000 Leute. Auch das bekamen wir voll und haben im Zuge dessen eben beschlossen, nach Berlin zu kommen. Wir haben vorher nie wirklich versucht, unsere Band außerhalb Japans zu promoten. Aber jetzt sind wir drauf und dran, unser neues Album fertigzustellen – das erste, das weltweit erscheinen wird. Hoffentlich werden in Zukunft mehr Leute auf die Band aufmerksam.

Glaubst du, eine Welttournee zum Album wird möglich sein? Du musstest dich ja kürzlich einer Operation unterziehen ...

Gute Frage ... Die Operation liegt vier Monate zurück und ich bin aktuell noch nicht wieder in der Lage, Schlagzeug zu spielen. Ich befinde mich noch immer im Erholungsprozess. Aber ich plane, mich in den nächsten Wochen langsam wieder an die Drums heranzutasten. Ich weiß nicht, ob ich je wieder so trommeln werde können, wie ich es bisher gewohnt war. Aber ich versuche, einen Weg zu finden, so heavy wie möglich zu spielen.

In Japan habt ihr im Juli deswegen die geplanten Shows statt mit voller Produktion in Akustik-Sets umgewandelt. Könntest du dir so etwas auch als Welttournee vorstellen? Oder vielleicht, einen anderen Drummer anzuheuern, während du nur Klavier spielst?

Ich habe mit den anderen Mitgliedern bereits darüber gesprochen. Aber ich glaube, ich muss Schlagzeug spielen.

Also ist es dir sehr wichtig, mit X Japan als Drummer auf der Bühne zu stehen.

Ich denke schon, ja. Vielleicht ändere ich meine Meinung noch, aber momentan kann ich es mir nicht anders vorstellen.

Der Ankerpunkt der Dokumentation "We Are X" ist eure Show im Madison Square Garden. Gewissermaßen beweist ein Konzert dieser Größenordnung, dass ihr es mittlerweile auch in der westlichen Welt "geschafft" habt. Diente zu wissen, dass ihr dort auftreten würdet, für dich als Indikator, dass jetzt die richtige Zeit war, den Film zu drehen?

Das ist eher einfach passiert. Über das Timing habe ich mir keine Gedanken gemacht. Der Film war schon länger im Gespräch; schon vor etwa zehn Jahren schlugen Leute mir eine Dokumentation über X Japan vor. Aber es war zu schmerzhaft für mich, das durchzuziehen. Unsere Geschichte ist beinahe zu leidvoll und traurig um wahr zu sein. Also lehnte ich stets ab. Vor ein paar Jahren konnte man mich dann doch überzeugen, den Film zu machen. Mit Timing hatte das nichts zu tun. Wenn ich mir um Timing Gedanken machen würde, wäre das neue Album bereits erschienen, haha. Just go with the flow. Was passiert, passiert.

Wie wichtig war es für dich, "We Are X" mit amerikanischen Produzenten zu realisieren?

Sehr wichtig. In Japan kennt so gut wie jeder X Japan, wir haben ein Image. Genau darüber habe ich mit den Produzenten und dem Regisseur gesprochen. Ich möchte, dass Leute den Film sehen, die keine Ahnung davon haben, wer wir sind. Für einen Japaner wäre es quasi unmöglich gewesen, einen solchen Film zu produzieren, da er über X Japan bescheid weiß. Ich wollte, dass jemand den Film macht, der uns nicht kannte.

Was glaubst du wäre anders gewesen, wenn es eine japanische Produktion geworden wäre?

Sie hätten mich wahrscheinlich etwa nicht zum Tod meines Vaters interviewt. Stephen Kijak, der Regisseur, befragte mich dazu, zu Toshis Gehirnwäsche, zum Tod Hides und Taijis. Hätte ich ein japanisches Team angeheuert, hätten sie diese Themen womöglich vermieden oder wären nicht so tief eingestiegen. Stephen entblößte mich – auf großartige Weise. Er enthüllte mehr oder weniger alles von X Japan.

"Ich wollte nicht leben"

Du spricht seit den 80ern in der Öffentlichkeit. Aber Journalisten hauen in der Regel nach einer halben Stunde wieder ab, es besteht immer eine gewisse Distanz. War es für dich anfangs verwirrend, dass Stephen – ja ebenfalls jemand von außerhalb deines privaten Umfelds – eben nicht nach einer halben Stunde verschwand, sondern zurückkam und dich immer eingehender befragte?

Am Anfang war es sehr unangenehm. Ich wollte auch nicht über so viel sprechen. Aber schließlich fühlte ich mich wohler. Es war fast als würde ich zu einem Psychiater sprechen, zur Therapie gehen.

Ich nehme an, damit einher ging auch, zu einem gewissen Maß Kontrolle abzugeben.

Ja, das mochte ich sogar. Hätte ich selbst produziert, wäre die Dokumentation niemals fertiggestellt worden. Wahrscheinlich hätte ich aufgegeben, weil es zu schmerzhaft war.

Naoshi Tsuda, Sony-A&R, sagt im Film, dass es einen Punkt gab, an dem du für ihn am ganzen Leib Tod ausgestrahlt hast. Speziell führt er eure erste Begegnung an, als er sich einbildete, du würdest bluten. Wie fühlt sich das an, wenn jemand so etwas über dich sagt?

Oh ja, das hat er mir erzählt. Er fragte: "Blutest du?" Ich blutete nicht, aber vielleicht meinte er, ich würde innerlich bluten. Ich weiß nicht. Ich war sehr suizidal, ich wollte nicht leben. Aber ich habe es durch so viele Jahre geschafft, das ist unglaublich.

All das ist unmittelbar mit deiner Karriere verknüpft, weshalb du ständig in Interviews darüber sprechen musst. Bestärkt gerade das deinen Glauben an deine 'Mission' als Künstler, anderen Menschen mit deiner Musik – und eben auch mit deinen Worten – zu helfen, Depression und Verlust zu überwinden?

Ja, ich denke unsere Geschichte kann Leuten helfen. Viele Fans schicken mir Botschaften, dass X Japans Musik oder Geschichte sie inspiriert haben und sie sich deswegen entschieden haben, zu leben. Das macht mich sehr glücklich. Denn es bedeutet, dass es einen Grund für uns gibt, hier auf der Welt zu sein. Deswegen ist es auch wichtig, darüber zu reden.

Dieses Jahr erschütterte der Verlust Chris Cornells und Chester Benningtons die Rockwelt. Der Tod deines Bandkollegen Hide schlug in Japan Ende der Neunziger ähnlich große Wellen. Was sind deine Gedanken zu dem Thema?

Es ist so traurig. Es kann natürlich auch Teil eines Unfalls gewesen sein, das weiß ich nicht. Zumindest in Hides Fall bin ich überzeugt, dass es nur ein Unfall war. Ich glaube nicht, dass er Selbstmord begangen hat. Aber mein Vater hat sich umgebracht. Manchmal ist es einfacher, aufzugeben, nicht wahr? Es ist hart, in dieser Welt zu bleiben. Ich weiß nicht genau wie ich es ausdrücken soll, aber ich möchte die Leute nicht aufgeben sehen. Das betrifft natürlich nicht nur Rockstars. Menschen leiden unter vielen Dingen. Aber ich schätze, es gibt einen Grund, warum wir existieren. Deshalb bin ich gegen Selbstmord. Besonders natürlich, weil mein Vater sich das Leben genommen hat. Nachdem Hide gestorben war, versuchten viele Fans, das auch zu tun. Ich musste eine Pressekonferenz abhalten, um sie zu stoppen. Ich hoffe, die Leute folgen so etwas nicht. Das Image des Rockstars ist, dass man an Drogenüberdosis oder sonst etwas stirbt – ich möchte das ändern.

Dazu kommt das Stigma des "leidenden Künstlers", was die Leute gewissermaßen auch sehen wollen ...

Das stimmt. Wenn ein Rockstar gesund und fit ist, ist das nicht sonderlich interessant oder? (lacht) Naja, gewissermaßen bin ich einer dieser leidenden Künstler, immerhin bin ich von Tod umgeben. Manchmal erwächst Kunst eben auch aus Schmerz. Aber ich möchte den Menschen trotzdem irgendwie ein positives Gefühl vermitteln.

Abseits der Musik engagierst du dich in Charity-Projekten und hast mit einem Musiktherapie-Programm zusammengearbeitet, um Leuten zu helfen. Kannst du uns etwas über laufende Aktionen erzählen?

Gewissermaßen mache ich all das aus eigennütziger Motivation heraus. Wenn ich anderen Leuten helfe, hilft das mental auch mir. Mit Charity fing ich vor langer Zeit an, vor einigen Jahren gründete ich dann meine eigene Stiftung, eine Non-Profit-Organisation, die dauernd andere Menschen unterstützt – besonders Kinder, die ihre Eltern verloren haben oder krank sind. Ich spendete für Erdbebenopfer; jetzt gerade an die Opfer des Hurricanes in den USA. Andere zu retten, rettet mich – das gibt meinem Dasein einen Zweck. Denn wie gesagt: Ich bin eine sehr suizidale Person. Ich suche ständig nach dem Sinn im Leben. Warum bin ich hier? Warum existiere ich? Wohltätigkeit ist einer der Gründe. Vielleicht ein egoistischer, aber ich muss das weiterführen, um selbst überleben zu können.

Dein Song "Forever Love" wurde in politischen Kampagnen verwendet. Würdest du dich selbst als politische Person bezeichnen?

Nicht wirklich. Aber ja, der ehemalige Premierminister Japans nutzte den Song mal. Übrigens waren wir erst vor ein paar Monaten zusammen essen – wir hatten ein gemeinsames Interview. Er ist ein guter Freund von mir und mochte den Song. Das ist ja schon eine ganze Weile her. Er setzte "Forever Love" für seine Partei ein und wurde tatsächlich Premierminister. Wenn ich der politischen Philosophie wirklich total widersprechen würde, würde ich wahrscheinlich etwas gegen solchen Gebrauch meiner Musik sagen. Aber an sich habe ich nichts dagegen. Wenn Leuten mein Lied gefällt und sie es benutzen wollen, ist das toll.

"Kollaborationen könnten den Rock zu altem Glanz zurückführen"

Sprechen wir noch ein bisschen über das kommende Album. Du hast angedeutet, dass darauf einige Gäste vertreten sein werden. Kannst du schon Hinweise geben? Ist vielleicht jemand aus dem Film dabei?

Naja, zu hundert Prozent sicher ist das alles noch nicht. Aufgenommen sind die Features schon, aber viel dazu sagen kann ich nicht. Es sind einige wirklich großartige Künstler dabei.

Du erwähntest auch mal, dass du in deinem Studio einen Song mit Marilyn Manson komponiert hast ...

Oh ja, wir arbeiten an einem kleinen Projekt zusammen. Zwei Songs haben wir bereits gemeinsam geschrieben.

Wird das an die Öffentlichkeit kommen?

Ich rechne damit. Wir stehen uns sehr nah und schrauben an ein paar Liedern. Vielleicht wird sogar ein Album daraus, wer weiß ...

Du vertrittst die Meinung, dass Rockmusiker im Allgemeinen mehr kollaborieren sollten.

R'n'B-, Rap- und Pop-Künstler featuren doch ständig jemanden. Ich finde das großartig.

Einige würden sagen, das widerspricht dem Gefüge einer Band.

Eine Band sollte definitiv ihre eigene Richtung haben. Aber Kollaborationen sind sehr stimulierende Prozesse. Eine Band zu formen ist im Endeffekt auch eine Kollaboration zwischen den einzelnen Mitgliedern, in unserem Fall fünf Personen. Kollaborationen könnten ein Weg sein, Rock'n'Roll zu verbreiten und ihn zurück zum Ruhm zu führen. Ich will, dass Rock zurückkommt. Versteh mich nicht falsch: Ich liebe EDM, ich liebe jedes Musikgenre. Aber ich will, dass Rock wieder der Mainstream wird.

Du selbst warst ja auch in elektronischer Musik aktiv. Mit Violet UK zum Beispiel.

Jaja, ich mache klassische Musik, elektronische Musik ... aber Rock liebe ich am allermeisten! (lacht)

Planst du für das neue Album eine weltweite Kampagne?

Wahrscheinlich wird es eine geben, ja. Ich bin gerade buchstäblich dabei, alles zu finalisieren. Ich sollte schon längst fertig sein ...

Fühl dich bitte nicht unter Druck gesetzt.

Haha, nein, nein. Dazu gibts was Interessantes, ich finds toll, dass du gefragt hast. Denn ich hätte das Album eigentlich vor dem Start dieser Promotour hier im Kasten haben sollen (lacht). Doch ein paar Dinge kamen dazwischen. Angedacht war, dass ich heute "Das Album ist fertig" sagen und schon einige Songs spielen kann. Zumindest vor einigen Monaten war das noch der Plan. Immerhin zu 99 Prozent bin ich aber inzwischen durch. Drum-Tracking, Piano-Tracking, Vocal-Tracking dauert Jahre, aber das ist jetzt alles im Kasten. Ich muss nur noch abmischen. Das werden mir die Leute wahrscheinlich nicht glauben, weil ich schon seit Jahren sage, dass das Album bald kommt (lacht). Aber der Tag kommt!

Im Film zweifelt Toshi daran, dass seine Fähigkeiten als Sänger dich befriedigen. Das war natürlich vor vielen Jahren, aber hatte er recht?

Nein, bei diesem Album hat er einen großartigen Job gemacht. Ich finde, ich habe auch einen guten Job gemacht, das zu produzieren, aber Toshi hat toll abgeliefert. Seine Vocal-Qualität ist besser denn je. Ich sage dir: Das sind die besten Vocal-Spuren, die er bislang aufgenommen hat.

Kann man X Japan eigentlich noch als Band bezeichnen oder ist es schon mehr ein Kollektiv? Ihr betreibt Soloprojekte nebenher, steht an der Spitze dieser gesamten Visual-Kei-Pyramide – es ist beinahe wie eine Community.

Gute Frage. Wenn ich mit den anderen spiele oder aufnehme, sind wir einfach nur eine Rockband. Wir sind immer noch Kids, die Musik lieben und sich entschieden haben, zusammen zu spielen. Dieses Gefühl haben wir uns glaube ich bewahrt. Wenn wir proben, reden wir miteinander, wir arbeiten gemeinsam die Konzertkonzeption aus. Und wir haben so viele Tragödien erlebt ... Dann wiederum: Welche Rockband spielt ohne Schlagzeug? Unsere letzte Tour – sechs Arena-Shows – absolvierten wir in Akustik-Setup. Ich musste mich dieser Nacken-Operation unterziehen und wusste, ich würde danach wahrscheinlich nicht mehr drummen können – vielleicht für einige Monate, vielleicht für ein Jahr. Wir unterhielten uns im Vorfeld darüber. Die anderen fragten: "Yoshiki, was willst du tun?" – "Ich will auf Tour gehen." – "Willst du Klavier spielen?" – "Ja, das geht wahrscheinlich." Wir zogen zum ersten Mal eine komplette Show ohne Schlagzeug auf. Dem gingen viele Proben voran. Wir mussten dieses Problems irgendwie Herr werden und alles klappte hervorragend. Pata (Gitarrist, Anm. d. Red.) schlug vor, gewisse Songs zu spielen, um mir Zeit zum Ausruhen zu geben. Es war ein toller Gemeinschaftsakt. Toshi hatte Probleme, mehrere Songs hintereinander zu singen, weil alles in sehr hohen Tonlagen stattfindet. Ich war sehr bewegt, als er sich bereiterklärte, fünf Songs am Stück zu singen. Er fragte nie, ob er mal eine Pause von fünf Minuten einlegen dürfe. Ich spreche jetzt natürlich vom Prozess der Konzertentwicklung. Ich kam ihm entgegen, indem ich die Tonarten einiger Songs änderte. Das war auch für mich als Pianist hart, manchmal fühlte es sich fast an, als würden wir ein neues Stück schaffen. Wir arbeiteten hervorragend zusammen. Diese Akustikshows führten X Japan in einen guten Geisteszustand.

Apropos neue Songs schaffen: Du hast zum Krönungsjubiläum des japanischen Kaisers ein Klavierkonzert komponiert. Im Film kommentierst du, dass dieses Stück nicht von dir handelt, sondern eben vom Kaiser. Sonst fließt in deine Musik sehr viel Persönliches mit ein. Wie schwer war es, das in diesem Fall zu trennen? Das gleiche gilt auch, als du das Golden Globe-Theme komponiert hast, schätze ich.

Erst einmal war es natürlich eine große Ehre, für den Kaiser komponieren zu dürfen. Aber in jedem meiner Songs stecke natürlich auch ich selbst drin. In diesen Fällen gilt allerdings die Devise: Das Persönliche steht nicht an erster Stelle. An erster Stelle stehen dann eben Kaiser oder Golden Globes. Ich hatte eine Mission zu erfüllen und die beinhaltete, andere zu befriedigen. Trotzdem wollte ich keine Kompromisse angehen, was meine persönlichen Gedanken und die Musik angeht. Die Stücke sind Teil meiner Kunst.

Letzte Frage: Wenn du dich selbst interviewen würdest, was würdest du dich fragen?

Hm, interessant. Ich weiß, dass ich das Album fertig kriegen werde, also werde ich das nicht fragen (lacht). Wie und wann willst du als Drummer zurückkommen? Will ich so spielen wie gewohnt oder lieber etwas konservativer? Das frage ich mich gerade wirklich. Nach der Nacken-OP musste ich mich zunächst einmal fragen: "Will ich wieder Schlagzeug spielen?" Man musste eine künstliche Bandscheibe zwischen dem fünften und sechsten Wirbel anbringen. Die Bandscheiben zwischen 3 und 4 sowie 4 und 5 sind außerdem ziemlich angeschlagen. Ich stehe kurz vor einer weiteren Operation. Der Arzt sagte: "Wenn du wieder Schlagzeug spielst, musst du dich bald der nächsten OP unterziehen." Im Grunde meinte er: Kein Schlagzeug mehr. Aber komm schon: Das ist Teil meines Lebens, was soll ich dagegen tun? Ich denke also, ich werde wieder Schlagzeug spielen – so heavy wie möglich, aber wohl nicht in dem Maße wie ich es gewohnt bin. Ich werde einen Weg finden müssen. Und womöglich muss ich deswegen eine weitere Operation machen lassen. Das macht mir Angst. Aber ich schätze, das ist Rock'n'Roll.

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