26. November 2009

"Die Musikindustrie wird überleben"

Interview geführt von

Ein Interview-Angebot mit Yello flattert in die Mailbox: Das Schweizer Elektronik-Duo steht für Telefoninterviews zur Verfügung, gerne aber auch in Berlin. Moment mal, der Dieter Meier wohnt doch in Zürich. Und wir in Konstanz. Da fahren wir doch nicht nach Berlin.

Der Promoter sieht in unserem Wunsch wenig Probleme und schon am nächsten Tag übermittelt er grünes Licht: Dieter Meier möchte uns gerne in seinem Anwesen auf dem Züriberg empfangen. Wie schön.

Zunächst fahren wir aber an seiner Villa vorbei, denn in bester Beverly Hills-Manier hat Meier vorne an der Straße keine Hausnummer. Verwirrt genug, erspähen wir in einer nahegelegenen, komplett leeren Seitenstraße Deutsche Bank-Chef Josef Ackermann an einer Bushaltestelle. Artig mit Aktenkoffer, in die Leere der Szenerie starrend und vermutlich im Beisein eines Leibwächters.

Wir tragen zwar nur einen Rucksack mit uns herum, in den will der vermeintliche Leibwächter nach erfolgreicher Parkplatzsuche aber ebenfalls hinein schauen. Im wahren Leben ist er nämlich Security-Mann. Oder wie sein Berufstitel offiziell heißt: Nachbarschaftshilfe.

"Ja, die Leute kenn' ich, hier wohnen wohl ein paar wichtige Personen, auf die man aufpassen muss", wischt Meier unsere Anekdote wenige Minuten später mit einer Handbewegung weg. Nach freundlicher Begrüßung führt uns der Yello-Sänger durch den Flur seines 80 Jahre alten Hauses und einen geräumigen Wohnbereich mit Rundbogenfenstern auf die Veranda. Dort hat man einen schönen Blick auf den Dolderwald.

Meier bittet Platz zu nehmen, verschwindet kurz und kommt mit einer Obstschale zurück: "Heute ist der Tag der Feige. Bitte schön." Was für ein Empfang.

Gut, wir haben hier einen Zettel mit sehr vielen Fragen. Aber fangen wir mal beim naheliegendsten an, eurem neuen Album. Welche Dame singt denn da so apart?

Dieter Meier: Das ist Heidi Happy, eine wunderbare Künstlerin, die mit ihrer Band sehr eigenständige Musik macht, zum Teil mit klassischen Instrumenten. Jenseits aller Stilrichtungen hat sie ihre eigene Identität entwickelt.

Das Telefon klingelt.

Jetzt muss ich noch ein Telefonat annehmen, aber dann stell ichs ab. Hallo? Hallo? Ja. Hörma, i bin in em Interview, i lüüt di in e stund a. Isch guet? Ciao!

Ja, also wir waren sehr glücklich, dass Heidi Happy mit uns und für uns gesungen hat. Sie hat die Worte und Gesangsmelodien in die Klangbilder von Boris Blank hinein erfunden. Wir haben das nicht geschrieben. Sie macht das ähnlich wie ich auch. Boris erstellt diese Bilder, in denen ich dann Gast bin. So war es auch für Till Brönner, der von Boris nicht irgendwelche Kompositionen vorgegeben bekommen hat.

Wie ging das vonstatten? Hatte das den Charakter einer Jam-Session oder habt ihr euch Files übers Netz hin- und hergeschickt?

Nein, die waren beide bei uns im Studio, aber das Vorgehen war sehr ähnlich wie bei mir. Boris und ich, wir sind wie Fernschachspieler. Er erfindet seine Klangbilder, das sind sehr langwierige Vorgänge, weil er nicht systematisch kompositorisch vorgeht, sondern sich von Klängen treiben lässt. Oft gleichen seine Bilder am Anfang einer Rose und zum Schluss dann doch eher einem Elefanten. Das ist kein analytisch kompositorisches Vorgehen. Wenn er mir die fast fertigen Bilder zuschickt oder mich ins Studio einlädt, dann erfinde ich meine kleinen Geschichten und Figuren.

Du besitzt eine Farm in Argentinien und ein Restaurant in Zürich - hast du mal darüber nachgedacht, das mit der Musik ganz sein zu lassen?

Nein! Diese anderen Aktivitäten werden ja maßlos überschätzt. Das ist alles so organisiert, dass ich damit fast nichts zu tun habe. Beim Restaurant war ich in der Planung mit dabei und habe offensichtlich die richtigen Partner gefunden, aber da bin ich ganz weit weg. Ich bin für den Stil des Restaurants und gewisse Produkte verantwortlich, aber ich habe damit keine tägliche Arbeit.

Das gleiche gilt für die Landwirtschaft und den Wein in Argentinien. Ich bestimme die Richtung, den biologischen Anbau und die Produkte. Ich rede zweimal im Jahr, wenn ich in Argentinien bin, mit meiner Verwaltung und besuche die Farmen, aber das ist ein reines Vergnügen und hält mich niemals von der Musik und vom Film ab.

Und vom Schreiben?

Vom Schreiben halten mich viele Dinge ab. Am meisten meine Unfähigkeit, mich zu konzentrieren. Ich kann eigentlich nur schreiben, wenn ich an einem Ort bin, an dem mir nichts anderes bleibt. Ich bringe diese Disziplin sozusagen aus einer existenziellen Langeweile heraus auf, genau wie die Überwindung der unendlichen Zweifel, die mit der Schreiberei verbunden sind. Dann schwinge ich mich ein in diesen verrückten und doch sehr eigenartigen Prozess.

Ich hätte ja jeden Tag drei, vier Stunden Zeit, aber ich kann so nicht schreiben. Es gibt ja Schriftsteller, die das können. Aber ich muss einen klaren Auftrag haben, sozusagen unter der Guillotine des Abgabetermins liegen. Ansonsten ist das eine Betätigung aus absoluter Leere heraus.

Wie sieht denn der typische Tag im Leben des Dieter Meier aus?

Nachher kommt mein Sohn nach Hause. Mit ihm werde ich ein kleines Essen zubereiten. Heute wird es auch wieder Kartoffeln geben in irgendeiner Art und Weise. Dann bringe ich ihn zu einem Sportplatz zum Training. Danach habe ich in der Stadt ein Meeting mit einem Freund, der mir in der Verwaltung der Firma Euphonix hilft. Das ist eine Firma, die digitale Mischpulte herstellt. Die haben eine neue Generation von Midi-Controllern entwickelt.

Da ich von der Sache nicht so viel verstehe, habe ich da einen Freund, mit dem ich die Firma ein bisschen fernsteuere. Dann führe ich ein längeres Telefonat mit dem neuen Chef der Firma. Um sechs habe ich eine Besprechung mit der Dame, die an der Fertigstellung des Spielfilms arbeitet, den ich gerade abschließe, ein Märchenfilm in schwarz-weiß, der hie und da farbig wird und dann läuft die Farbe wieder heraus. Das wird alles digital gemacht. Und dann werde ich mit der Familie essen gehen.

Stichwort Film und Video: In der Yello-Geschichte spielten Videos oder allgemein das Visuelle eine große Rolle. Heute liegt das Musikfernsehen am Boden. Ist das aus deiner Sicht nicht schade?

Ja. Man kann schon sagen, dass die das zu Tode geritten haben. Das Musikfernsehen ist zu reinen Promotion- und Geldmaschinen verkommen. Auf banalste Weise. Musikvideos waren in den Anfängen ästhetisch interessante kleine Kunstwerke oder kleine Spielfilme. Das wurden dann sehr schnell Waschpulveranzeigen, die dann eben nur kein Waschpulver, sondern Musik verkauft haben. Das glich sich alles sehr.

Die Angst, dass es nicht funktionieren könnte, regierte die Welt dieser Sender. Im Radio passiert das ja auch. Die Vielfalt der Radiostationen führte zu einer Einfalt der Programme. Unser erfolgreichster Sender hier, Radio Energy, lässt Computer seine Programme bestimmen. Das machen ja heutzutage alle. Aus einem Pool von Musik wird unter den Aspekten der Tageszeit, Kaufkraft, Tag des Monats oder Alter herausgefischt.

Da wird nur versucht, einem Ziel zu genügen, nämlich eine möglichst homogene Masse an Konsumenten an ein Produkt heranzuführen. So funktionieren die erfolgreichsten Radiostationen. Einerseits verständlich, denn wir leben in einer kapitalistischen Welt und die Sache muss sich rentieren. Aber wie die Sache jetzt auf den Nullpunkt heruntergeritten wurde, wird sich für diese Stationen als Bumerang erweisen.

Damit einher gehen die schwindenden Musik-Verkaufszahlen. Wie nimmt man das als Künstler wahr?

Das hat verschiedene Aspekte.

Plötzlich großes Hallo. Boris Blank stößt hinzu. Die beiden parlieren ein wenig über die Planungen zum bevorstehenden, virtuellen Konzert. Aufmerksam, wie Meier ist, knüpft er nach dem Informationsaustausch mit seinem Partner nahtlos an die gestellte Frage an.

Als Musiker - wenn man uns so bezeichnen mag, weil wir ja beide Dilettanten sind - sind wir im ökonomischen Sinne nicht darauf angewiesen, Platten zu verkaufen, um zu überleben. Wir haben einfach Freude daran, was zu machen. Das betrifft vor allem Boris Blank - ich bin ja nicht so fleißig und so gefragt wie er. Boris verbringt sein Leben tagsüber im Studio. Für ihn ist das jedes mal aufs Neue eine Reise in seine Welt hinein. Natürlich ist es schön, kommerziellen Erfolg zu haben, aber momentan interessiert uns eher der qualitative Erfolg. Es ist zwar lustig, wenn man einen Hit landet, aber das steht nicht mehr so im Vordergrund.

Woran bemisst sich dieser qualitative Erfolg?

Indem andere Musiker das lustig und inspirierend finden, indem andere Leute die Musik für Filme verwenden. Und natürlich auch, indem wir uns sowohl beim Schaffen als auch beim Anhören amüsieren. Wir haben eine gute Distanz zu dem, was wir machen. Aber vielleicht noch ein paar Worte zur Musikindustrie: Die wird glorreich überleben. Momentan ist das Transportieren des Inhalts ein ganz großes Thema, weil sich das alles rasend schnell verändert hat.

Aber wenn sich das alles konsolidiert, wird die Musikindustrie genauso wichtig sein wie früher. Sie wird einfach ihren Content nicht mehr physisch als CD verschieben, sondern du wirst das im Abonnement streamen, du wirst das gar nicht mehr herunterladen. Jeder, der glaubt, das sei das Ende der Musikindustrie, liegt natürlich völlig falsch. Die Musikindustrie bleibt trotz dieses scheinbaren Demokratisierungsprozesses extrem wichtig, wenn das neue Revenue-Modell für sie definiert ist. Die A&R-Abteilungen, die Künstler entdecken, begleiten und das Marketing machen, das wird alles sehr ähnlich sein wie früher, nur wird eben der Content anders transportiert.

Die Tatsache, dass die sich so in den Boden geritten haben, hängt damit zusammen, dass die Musikindustrie von den Chefs her immer eine sehr dumme und reaktionäre Industrie war, die möglichst nie etwas ändern wollte. Wenn man sich mal vorstellt, dass diese Jungs fast 30 Jahre lang für viel Geld einen technisch überholten Tonträger verkauft haben, mit einem miserablen Kompressionsverfahren, ist das ein großer Rückschritt hinter den Klang einer Vinyl-Platte. Und das zu einer Zeit, in der auf anderen Gebieten der Technologie jedes halbe Jahr eine neue Entwicklung aufkam. Vor allem im digitalen Bereich, wo sich die Entwicklungen sehr stark dem analogen Ideal annähern.

Die hätten sich mit einem viel besseren Tonträger profilieren können, mit einem Format, das wieder Spaß an der Musik entfacht. Aber letztendlich wird die Industrie überleben, auch wenn kürzlich jemand auf einem Panel das Gegenteil behauptet hat. Dort hieß es, man müsste den Musikern heute nicht mehr sagen, welche Klamotten sie anziehen und welche Frisuren sie tragen sollen. Als sei das die Aufgabe von A&Rs.

A&R hat doch eine ganz andere Aufgabe. Meist sind Musiker ziemlich jung, wenn sie entdeckt werden. Da brauchen die eine Begleitung, die richtige Umgebung, den richtigen Produzenten. Auch bei ganz gestandenen Figuren wie Johnny Cash war das so. Das grenzte ja an ein Wunder, dass der den richtigen Produzenten gefunden hat, der ihn an die eigenen Wurzeln zurückgeführt hat. Auch Mozart hat seinen Impressario gehabt, den Librettisten Lorenzo da Ponte. Als der nicht mehr da war, konnte er auch keine Opern mehr schreiben. Musik ist also ein komplexes Gebilde, da braucht es viele Faktoren. Auch die Musikindustrie.

Das Thema wühlt dich anscheinend auf.

Ja! Das betrifft uns als Musiker ja direkt, aber es wird auch viel Blödsinn geredet. Die Industrie ist sicher reaktionär und hat auch ein gewisses Bashing benötigt, aber es wird eine völlig neue Art der Musikindustrie entstehen. Das sind dann nicht mehr Plattenfirmen, sondern Content-Hersteller, die in der neuen Welt so wichtig sein werden wie früher. Früher dachten die Leute ja auch, die Schallplatte sei das Ende der Musik. Und dass dann niemand mehr auf Konzerte geht. Aber letztendlich hat die Musik überlebt.

"Yello hätte heute überhaupt keine Chance"

Ihr gebt ja demnächst ein virtuelles Konzert. Wie darf man sich das vorstellen?

Die Konzertsäle werden digital hergestellt und wir dann in diese Bühnen hinein projiziert. Das ganze hat etwas Bombastisches, es sieht aus wie eine riesige Show, entlarvt sich aber am Schluss als Fantasie. Zwei Kinder finden in einem Keller eine Aluminiumkiste. Beim Öffnen schießt ihnen ein gewaltiges Licht entgegen. Darin befindet sich en miniature diese Bühne, auf der wir auftreten. Die Kinder nehmen uns wie kleine Käfer aus dieser Bühne heraus, betrachten uns und setzen uns auf ein Büchergestell.

Wir turnen da als kleine Hampelmänner rum und ich schreie dann "Give me a break!", weil ich überhaupt nicht mehr weiß, was mit mir los ist. Am Ende stellt sich heraus, dass alles nur Fantasie war. Heidi Happy und Till Brönner spielen vor diesen virtuellen Bühnen, wir selbst treten gar nicht auf. Ich erzähle vorher ein paar Geschichten, aber es ist keine richtige Live-Show.

In wieweit interessiert dich die aktuelle Musikszene? Gibt es da Berührungspunkte?

Schon, ich bin aber sehr auf das angewiesen, was meine Kinder hören. Dadurch werde ich auf verschiedene Sachen aufmerksam. Was Film, Musik oder Bücher anbelangt, bin ich ein unglaublich fauler Konsument. Ich finde das nicht unbedingt gut, aber wenn ich vor die Wahl gestellt werde, ins Kino zu gehen oder mich zwei Stunden alleine in eine Bar zu setzen, ziehe ich letzteres vor. Nur um zu beobachten.

Ich konstruiere mir da meinen eigenen Spielfilm. Ich stelle mir Dialoge und Handlungen vor, das ist für mich glänzende Unterhaltung. Die Handlungen und Filme, die ich da sehe, ziehe ich dem Konsum in Konzertsälen oder Museen vor. Ich bin ein sehr fleißiger Radiohörer, weil ich dort immer wieder überrascht werde.

Radio Energy?

Nein, nicht Radio Energy. Wir haben in der Schweiz einen tollen Klassik- und Kultur-Sender. Da habe ich das große aristokratische Privileg, mir die Musik nicht aussuchen zu müssen. Da höre ich Dinge, von denen ich vorher nichts wusste. Es wäre ja toll, wenn es ein Radio gäbe, das neue oder interessante Popmusik spielt, aber das gibt es ja nicht. Die spielen ja alle nur die kommerziell flachgewalzten Geschichten. Yello hätte heute überhaupt keine Chance, irgendwo in den Medien stattzufinden, weil das den Computer-Programmen nicht passt.

Es gibt ein paar tolle Kollegen aus Deutschland, Inga Humpe macht ein paar nette Songs. Tolle moderne Schlagermusik. So etwas höre ich. Aber die Leerlaufschwingungen des Raps gehen mir tierisch auf die Nerven, diese pseudoengagierten Fluchereien, die mittlerweile die Schlagermusik des amerikanischen Mittelstands geworden ist. Es gibt sicher auch Ausnahmen.

Ich spüre aber etwas Neues kommen, das sich noch nicht ganz manifestiert hat. Man darf ja nicht vergessen, wie unglaublich langweilig die Unterhaltungsmusik der 50er bis etwa Anfang der 60er Jahre gewesen ist. Die einzige Musik, die man sich als junger Mensch anhören konnte und die ein aufklärerisches Moment hatte, war Jazz. John Coltrane, Sonny Rollins, Eric Dolphy, Miles Davis, die ganzen Heroen des sich in Bewegung befindenden Cool Jazz, das war abenteuerlich und neu, aber die normale U-Musik war total heruntergefahren.

Heute finden wir das nostalgisch lustig, aber im Grunde genommen waren das Null-Programme. Es gab in der ganzen Kultur immer kurze Phasen des Aufbruchs mit langen Phasen der epigonalen Agonie, in denen nichts passiert ist. Aber jetzt spüre ich etwas kommen, denn auch der Konsument ist allmählich nicht mehr zufrieden mit dem, was heute Mainstream ist. Ich halte das nicht einmal aus, wenn ich rudere. Ich rudere morgens 40 Minuten und brauche zumindest irgendeine Musik, die die Monotonie des Ruderns unterbricht, aber die einschlägigen Sender spielen Sachen, die sind so lethargisch, dass ich dazu nicht einmal rudern kann.

Diese Kriechschleimspur der Langeweile geht den Leuten langsam auf die Nerven. Diese Sender werden ja auch gar nicht richtig gehört. Man stellt das an wie den Fernseher, damit irgendwas läuft. Beim Essen läuft die Scheiße dann im Hintergrund. Wir wollen nicht moralisieren. Wir glauben an die glorreiche Zukunft innovativer Musik und ich glaube, wir sind kurz davor, dass eine große Welle losbrechen wird.

Schöne optimistische Sichtweise. Es gibt ja Leute, die behaupten, es kann nichts mehr Neues kommen, weil schon alles gesagt wurde.

Nein, nein. Wartet es ab. Es kann so viel Neues kommen. Was glaubst du, wie oft das schon behauptet wurde, dass schon alles gesagt wurde. Ich bin da optimistisch. Es kann ja nicht mehr weiter runter gehen.

Yello agiert sehr kosmopolitisch. Ärgert es da, dass das Ausland hauptsächlich DJ Bobo mit der Schweiz assoziiert?

Nein, überhaupt nicht. DJ Bobo ist ein perfekter Entertainer. Das hat mit dem, was wir machen, überhaupt nichts zu tun. Das ist eine völlig andere Welt. DJ Bobo ist ein Zirkusunternehmer, der ganz lustige Shows macht, die die Leute mögen. Das ist wie Holiday On Ice oder eben Zirkus mit Elefanten und Giraffen. Dass das jetzt ein Synonym für Schweizer Musik ist, ist uns völlig egal.

Wir hatten das Glück, ein paar Millionen CDs weltweit zu verkaufen. Es gibt immer noch viele lustige Menschen, die uns kennen. Insofern ist es ja nicht so, dass DJ Bobo uns stört oder uns etwas wegnimmt oder dass es heißt, aus der Schweiz kommt nur Zirkusmusik. DJ Bobo ist ein wunderbarer Musikunternehmer, der seinen Job hervorragend macht, aber mit uns hat das nix zu tun.

"Ich werde ja 123 Jahre alt, dann ist Blank 116"

Du hast den Marketingaspekt der Musik angesprochen. Seid ihr beide denn nicht sackfroh, dass ihr damit nichts zu tun habt und stattdessen tun und lassen könnt, was ihr wollt?

Ja, schon. Es gibt ja zwei Arten von Musikproduktionen. Die einen sind von Anfang an designte Marketingprodukte. Dagegen habe ich auch nichts. Damit erfolgreich zu sein, ist auf eine gewisse Art auch Kunst. Uns würde das nicht liegen. Blank hat schon immer nach innen gearbeitet. Wie ein Maler. Irgendwann gibt er die dann einer Ausstellung, weil er davon leben will.

Aber die Malerei ist nicht auf die Verwertung hin ausgerichtet, das ist ja ein ganz anderer Prozess. Deshalb kann man ja auch sagen, dass wir unglaublich Glück gehabt haben, dass unser Dilettantismus stilbildend war. Wenn sich dann noch der Zeitgeist mit dem schneidet, was man macht und kommerzieller Erfolg einstellt, ist das Glück.

Wenn wir keinen Erfolg gehabt hätten, würde Blank irgendeinen Job machen, den er in möglichst wenig Stunden erledigt hätte, um danach Musik zu machen. Aber Blank würde ohnehin bis zum letzten Atemzug Musik machen. Ihm das zu verbieten, wäre, wie wenn man einem Schachspieler das Schachbrett wegnehmen würde. Ich werde ja 123 Jahre alt, das hat mir ein Wahrsager vorausgesagt. Blank ist dann 116, und ich hoffe, dass ich bis dahin Gast in seinen Klangbildern sein kann.

Erinnert ihr euch noch an den Moment, als euch verkündet wurde, dass "The Race" die Titelmelodie der Clipsendung "Formel Eins" wird?

Dieter: Ja, schon.

Boris: Das war eine Auftragsarbeit.

Dieter: Nein, nein, nein, nein, nein! Das ist eine der typischen Yello-Geschichten. Wenn Boris etwas machen muss, ist er wie ein störrisches Kind. Er will nur machen, was er will. Zwei junge Berufszauberer ...

Boris: Genau so wars!

Dieter: ... haben mich in einer Bar in Zürich getroffen - wir hatten uns schon ein paar Biere reingezwitschert. Die sagten mir dann, dass die in New York im Waldorf Astoria bei der Weltmeisterschaft der Zauberer auftreten und fragten, ob wir für sie Musik machen wollten. Ich habe natürlich zugesagt, denn ich muss die Musik ja nicht machen. Super, Zauberkünstler, dachte ich und bin damit zu Blank gegangen.

Der hat mir den Vogel gezeigt und gemeint, er wäre ja kein Zirkusmusiker, ich solle das mal vergessen und Zeit habe er ohnehin keine. Irgendwann hat er dann aber nach mehrmaligem Nachbohren gemeint, er hätte da ein Stück, das er eh nie brauchen wird. Der hat eh immer 50 Stücke, die er nach eigenen Worten nie brauchen wird. Ich habe das den Zauberern gegeben und die waren ganz begeistert und wurden dann auch tatsächlich Weltmeister. Dadurch kamen dann die Fragen nach der lustigen Musik zustande und das war "The Race".

Boris: Ich muss korrigieren: Das waren nur Versatzstücke, nur ein Teil davon. Dann kamen die von "Formel Eins" und dafür habe ich ein paar Rennautos und dieses Saxophon hinzu gefügt.

Dieter: Das war schon drin.

Boris: Nein.

Dieter: Doch, die waren da.

Boris: Nur die Gitarre war da. Das stimmt, ich weiß das noch!

Dieter: Das Saxophon mit diesem Darattarattatata?

Boris: Ja, das war noch nicht da.

Dieter: Das war da. Ich bin ganz sicher. Auf jeden Fall wars ein Wegwerf-Stück, das zu den Zauberern ging. "Formel Eins" hatte die Evaluation eigentlich schon abgeschlossen und war nicht so zufrieden mit dem, was sie hatten. Dann schmückte Boris das Stück noch ein zwei Tage aus und das wurde dann dieses Signet. Sowas ist eigentlich selten erfolgreich. Dass daraus ein Welthit würde, damit konnte niemand rechnen.

Da stand also wieder Kommissar Zufall Pate. Wie überhaupt öfter in der Yello-Geschichte. Zum Beispiel beim Entstehen der Band.

Dieter: Total.

Ist die Karriere von Yello eine Aneinanderreihung von Zufällen?

Dieter: Schon, wobei wir immer schon wussten, dass wir anders, eigenständig und irgendwie originell sind. Blank kann kein Instrument spielen und ich nicht singen, also mussten wir etwas anderes finden. Unser erster Erfolg war ja "Bostich". (rappt den Anfangspart des Songs) Das habe ich ja so gemacht, weil ich rhythmisch begabt bin. Das wurde dann ja als Frühform von Rap bezeichnet.

Der kommerzielle Erfolg war aber wirklich eine Aneinanderreihung von Zufällen. Ich weiß zum Beispiel bis heute nicht, wie dieses "Bostich" auf den Plattenteller von WBLS und Frankie Crocker kam. Das war ja das Ding überhaupt für schwarze Musik damals. Befreundete Künstler in New York haben mich dann angerufen: "Du, da läuft die ganze Zeit deine Musik!", und ich dachte nur, der spinnt doch! Aber es war so. Das wurde ein Riesen-Dance-Hit. Kritiker in der Schweiz haben dann geschrieben, der schlaue Meier hätte das ganz genau geplant und wusste, dass so komische Musik nur auf Schwarzen- und Latino-Sendern gespielt würde. Totaler Schwachsinn. Ich weiß bis heute nicht, warum Crocker das gespielt hat.

Das Lustigste daran: Im Refrain heißt es ja "Everybody needs somebody sometimes sometimes". Die Amerikaner haben aber verstanden: "Everybody Pizzaparty, Pizzaparty sometimes".

(allgemeines Gelächter in der Runde)

Das fanden die unglaublich genial. Das hatte etwas Chaplineskes, dieses Verrücktwerden an der Maschine. Und dann dieses "Everybody Pizzaparty"! Die dachten, jetzt erholen die sich bei einer Pizzaparty.

Boris: Lustig war auch die Geschichte mit Men At Work. Die machten einen Remix und verwendeten nur diese Phrase. Die meldeten das als Werk an, schrieben "Everybody Pizzaparty" drauf und kassierten einen Award. Wir dann aber auch, weils offensichtlich abgekupfert und eins zu eins "Bostich" war.

Dieter: In New York hatten wir unseren ersten Auftritt in einem Mafia-Schuppen im Mid-Destrict. 7.000 Schwarze und Latinos! Der Support-Act war Afrika Bambaataa mit seinem Scratch Orchester. Super Musik! Die Leute haben getanzt, die Wände waren nass, totaler Wahnsinn. Wir waren dann morgens um halb vier dran und die Leute dachten "Was ist das denn?", diese Käseköpfe aus der Schweiz, was wollen die denn da? Alle dachten, dieses "Bostich" sei von zwei schwarzen Avantgarde-Musikern von der Westküste.

Blank war ja vorher in L.A. und hat als Fan der Residents deren Label Ralph Records gesucht, wo die unter Vertrag waren. Es wusste ja niemand, wer sich hinter deren Masken verbirgt. Beim Label haben sie Blank dann gefragt, was er denn für Musik mache. Er gab denen dann eine Kassette von den tausend Stück, die er im Koffer mit sich rumgetragen hat.

Die fanden das irrsinnig lustig. Blank hatte alles mit Kassettenrekordern aufgenommen, das war ein Rauschen wie am Rheinfall. Die meinten dann, wenn er mal etwas hätte, wo die Musik lauter ist als das Rauschen, soll er wieder vorbei schauen. Dann kam die erste Maxi und der erste Auftritt. Das war ja die öffentliche Geburt des Boris Blank.

Boris: Wobei man noch erwähnen muss, dass die uns schon unter Vertrag nahmen, als sie nur das Rauschen gehört haben. Der Vertrag lag schon als Special Delivery in der Schweiz, als wir zurück kamen. Das war die Zeit mit Carlos Peron. Franky Crocker hatte damals ein Auge auf crazy Westcoast-Labels. Dort waren auch Tuxedomoon unter Vertrag. Das fanden die damals total funky.

Den ersten Auftritt spielten wir schon zwei Wochen nachdem wir uns kennenlernten. Wir installierten uns in einer Küche. Auf dem Herd standen zwei Tape-Decks und in der Mitte ein Mischpult mit vier Fadern. Kennen gelernt haben wir uns über den Inhaber eines Plattenladens, der verrückte Import-Platten führte. Der kannte uns beide und hat uns zusammen gebracht. Er war der Meinung, dass die Musik, die wir machten, zwar okay sei, aber ein Gesang fehle.

Über ihn kam der Kontakt zu Dieter Meier zustande. Wir richteten uns dann in einem kleinen Appartement ein und Dieter hat in dieser Küche so laut gesungen (fängt an zu schreien:) "GETATAT TAGETTADAGET TADEGETTA". Das war so laut, dass wir am nächsten Tag die Kündigung im Briefkasten hatten. Die andere Story musst du erzählen, Dieter, wie das mit dem ersten Auftritt war. Er drängte darauf. Das fand in einem Zürcher Kultkino statt, dem Forum.

Dieter: Ich habe damals sehr anarchische Solo-Auftritte gemacht. Manchmal sogar mit einer Gitarre, die nur eine Saite hatte. Dort trug ich dann irgendwelche Suaheli-Texte und nicht existente afrikanische Dialekte vor. Das war sehr verrückt und oft auch sehr schlecht. Mehr so ein Gebrüll. Und so ein Auftritt war geplant. Bei Blank hatte ich das Gefühl, dass der jetzt einfach diesen Push braucht. Er hatte viele Ideen in seinem Köfferchen, aber alles nicht zu Ende gemacht.

Es gab dann endlose Diskussionen. Er wollte nicht. Er war von mir als Sänger auch nicht so begeistert. Ich war für ihn eher einer, der von hinten links in seine Klangbilder hinein schreit. Er hat die Kröte aber gefressen, weil er eine Stimme brauchte. Der Auftritt fand dann letztendlich statt, aber Blank bestand darauf, dass er nicht mit auf die Bühne muss. Da dieser Laden wie alle alten Kinos einen Orchestergraben hatte, stand er dann da unten, für niemanden sichtbar.

Boris: Doch, ein bisschen die Frisur.

Dieter: Da saßen 700 Leute. Die waren von den neuen Klängen begeistert.

Boris: Ich hatte damals nur einen Sequenzer, kein Schlagzeug, nix. Nur Synthesizer. Das war damals einfach sehr unüblich.

Dieter: Es war anders. Blank war da unten, man sah seine Frisur, aber die Leute dachten, da wischt einer den Boden und macht sauber für die nächsten, die auftreten. Als er dann merkte, dass die Leute fasziniert sind und das ganze Ding hinhaut, wurde er immer größer. Erst sah man die Frisur, dann die Stirn ... so ist er da aus diesem Orchestergraben aufgetaucht. Zum Schlussapplaus war er dann auch auf der Bühne.

Wie gesagt: Das war zu Zeiten, als Carlos Peron noch dabei war. Das war eigentlich nur Boris' Freund. Auf den beiden gemeinsamen Platten hört man von ihm nur ein Signal. Einmal wollte er auch singen. In einer Nacht hat er es im sehr fortgeschrittenen Zustand der Trunkenheit versucht. Als Essenz hat er den Laut "Akhtursansing" hervorgebracht und gedacht, das sei es jetzt.

Boris: Ein magischer Moment.

Dieter: Wir haben ihn ja "Korporal Hütli" genannt, weil er sich so wichtig genommen hat. Deshalb musste man ihn etwas verkleinern. An diesem Abend waren wir so glücklich, dass alles geklappt hat, wir haben die Instrumente eingepackt und Hütli war total besoffen. Wie war das dann?

Boris: Der ist dann total besoffen auf der falschen Fahrbahn gefahren und hat gar nicht gemerkt, dass die Polizei schon zehn Minuten hinter ihm war. Letztendlich musste er den Abend auf dem Polizeirevier verbringen. Das Konzert war aber die Initialzündung für den weiteren Weg von Yello.

Dieter: Die eigentliche Geburt von Yello war das Auftauchen von Boris Blank aus dem Orchestergraben. Wie Venus ist er aufgestiegen.

(allgemeines Gelächter)

Zum Schluss: Es gibt dieses Buch über die Schweizer Punkszene, "Hot Love", in dem auch ein Interview mit Dieter drin ist. Da werden drei Konzerte erwähnt, die als Initialzündung für die Schweizer Jugendbewegung gelten. 1976 Patti Smith in der Roten Fabrik, 1977 die Ramones und die Talking Heads im Volkshaus und The Clash im Kaufleuten mit den Nasal Boys. Wart ihr bei einem der Konzerte dabei?

Boris: Ich nicht. Ich war nie mit dem Punk verbunden. Dieter war ein Punk.

(Gelächter)

Dieter: Ich war ein Schreihals. Es gibt da diese Single "Cry For Fame". Ich war überrascht, wie gut ich da singe. Ich hatte das ganz anders in Erinnerung, nämlich dass ich einfach was vor mir herschreie. Aber das war durchaus melodiös. Aber ja, ich habe alle diese Leute live gesehen.

Ich glaube, ich war beim Konzert von The Clash mit den Nasal Boys. Im Volkshaus bin ich mal als Supporting Act von Plastic Bertrand aufgetreten. Bei dem haben die Leute geschrieen, mich wollten die gar nicht sehen. Da habe ich zum ersten mal den qualitativen Unterschied bemerkt, wenn Leute Bierdosen werfen. Ob sie voll sind oder leer. Die vollen Büchsen kommen extrem schnell. Das ist ein ganz anderes Ausweichmanöver, das von einem verlangt wird. Die leeren Büchsen segeln.

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2 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 3 Jahren

    Grossartiges Interview

  • Vor 3 Jahren

    Man kanns natürlich gerne als Altherrenschimpf lesen, aber es gibt eigentlich kaum Musiker, die den "Mainstream" anders sehen. Und ja, Hip-Hop hat auch was Biederes an sich.

    • Vor 3 Jahren

      HipHop in seiner kommerziellen Form ist letztlich reine Affirmation von bestehenden Machtstrukturen.

    • Vor 3 Jahren

      Ja. Ist naürlich ein totgerittenes Beispiel, aber daß sowas wie "Fight The Power" im Mainstream-Hip-Hop groß wird, ist ziemlich abwegig heute. Maximalst kann ein zugegebenerweise starker Track wie "This Is America" sich über Verhältnisse beschweren. Gefährlich für sie soll er aber nicht sein, wie so ziemlich jede andere Mainstream-Populärmusik auch. Wäre natürlich schön, wenn ein ein paar Banger als Soundtrack der Bewegungen dienen könnten, aber letztere benötigen sie auch vermutlich gar nicht.