laut.de-Kritik
Ich rappe, also bin ich.
Review von Dani Fromm"Jetzt hab' ich zu viel Busdriver gehört." Geht das überhaupt? So lange der Effekt einer solchen Überdosis darin besteht, "auch mal Silben aufeinander stapeln" zu wollen: Nur zu. "Gartennazis müssen weichen. Hier kommt form." Sein Alter Ego prim hat der "Gutmensch mit der Machete" auch gleich mitgebracht. Nun denn: Auf zum fröhlichen Massaker!
Hier kriegt jeder sein Fett weg: Politik und Politiker, Kirche und Kirchenmänner, die Medien und Medienvertreter, und natürlich die rappende Konkurrenz: form gießt Hohn und Spott über Scheck, Lanz und Martenstein aus, brät im Vorübergehen dem raffgieigen Frettchenbischof Tebartz Van Elst eins über und ersäuft alle miteinander in Gülle und Galle.
Mit ätzendem Spott und schmerzhafter Klarsicht blickt "Das Boot Ist Voll" auf die trügerische Schönheit des Mittelmeers. Wie Wellen anbrandende Trommelschläge unterstreichen die tiefschwarze Bitternis der Zeilen mit dem Gefühl drohenden Unheils. "Wer Waffen sät, erntet Flüchlinge." Denen lässt sich dann über von Stacheldraht gekrönte Mauern zurufen: "Keine Angst. Wenn ihr tot seid, dürft ihr rein."
"Und, form? Was nimmst du auf?" Die Frage gestattet nur eine Antwort: "Es Mit Allen". Die Begründung dafür liefert form gleich mit: "Weil ich will, dass ihr es auch tut", denn: "Einer muss mal anfangen." In der Vorreiterrolle pflügt er abseits ausgelutschter Trampelpfade durch jedes beliebige Dickicht. Dass man sich dabei die eine oder andere Schramme holt: geschenkt.
Die Berufung tröstet über Blessuren hinweg: "Ich rappe, also bin ich. Ihr hört mich, also bin ich nicht allein." Für diejenigen unter seinen Kollegen, die Rap aus anderen Beweggründen betreiben, unter der Knute irgendwelcher Oberflächlichkeiten, hält er neben Häme - "Auslachen ist das neue Totschlagen" - aber auch einen brauchbaren Rat parat: "Lass' mal Rückgrat statt Rücken haben." Gute Idee, das.
Andere mögen breitwandigeren Sound mitbringen als die scheppernden, schnarrenden, blechernen Klänge, die "Yo-Yo Area" oder "Retina Regina" durchklappern. Die schürfen dafür aber nur in Ausnahmefällen tiefer. Der verspult groovige Jazzklang von "Dieter Nuhr" konstrastiert garstig die kompromisslosen Zeilen. Dem Prinzip Verstören, wo immer es geht, gehorcht auch der wimmernde Gesang in "Also Bin Ich".
Dabei kann form durchaus auch versöhnlicher zu Werke gehen. Statt großzügig in frisch geschlagene und alte, schon länger schwärende Wunden zu salzen: sich zusammen setzen, "Einfach Mal Cay Trinken" und sehen, was passiert: "Ja. Wir sind alle unterschiedlich. Lass' doch erst mal treffen. Der Rest ergibt sich." Im Grunde haben wir für sinnlose Scharmützel doch alle keine Zeit: "Was würdest du tun, wenn du nur noch 60 Jahre zu leben hättest?"
Ein wenig davon darf man getrost für die zweite Hälfte der Doppel-EP erübrigen: form übergibt an die weniger ärgerliche, leiser leidende Facette seiner Person, an prim. Dem hält der eidgenössische Beatbastler Mattr den Rücken frei. Der Schweizer wirft zu schwermütigen Streichern und Klavier schnarrende Effekte, ein gerüttelt Maß an Industrial und Drum'n'Bass und allerlei singende Synthiesounds in den Ring und steuert zu "Der Brunnen", in dem prim als Zentralgestirn strahlt, zudem noch Mundart-Vocals aus dem finsteren Wasserloch bei.
prim weint einen Fluss, um die traurige Geschichte vom "Klippenspringer" zu erzählen, zeigt die Schwierigkeiten bei der Suche nach der Individualität auf ("Ich will mich auch unterscheiden, Mama!") oder reißt die Qualen an, die zerstörerische Beziehungen bergen. Obwohl jeweils gar nicht so furchtbar kurz, wirken die Tracks merkwürdig skizzenhaft. Es scheint, als habe dieser Kerl, obwohl er schon einiges geboten hat, noch viel, viel mehr zu sagen. Warum eigentlich nur EPs?
3 Kommentare mit 2 Antworten
Wow! Hat es der Mainzer (Nicht)-Rapper, Sexismus-, Feminismus-, Blackfacing-, Critical Whiteness-, Asylpolitik- und Türkei-Experte, der zudem ein Fan der taz ist, tatsächlich in die laut.de Rdaktion geschafft!
Wie ich es hasse, wenn Leute, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch nie ein Buch von ihm in der Hand hatten, meinen, Adorno zitieren zu müssen, um sich cool und alternativ fühlen zu können. Diese scheiß Hipster-Linken gehen mir so auf den Sack!
Oder in dem Fall eher: Auf Adorno anspielen zu müssen. Ist aber keinen Deut besser...
@Santiago.
Bzgl. form irrst du dich. Er hat Adorno gelesen.
Schlimmer find ich eigentlich Menschen die Adorno 2014 immer noch für einen Säulenheiligen halten^^
Okay, dann nehm ich das in Bezug auf ihn zurück - aber es gibt leider genug Leute, auf die meine Beschreibung passt. Zum zweiten Punkt: Mir sind allgemein Leute suspekt, die irgendjemanden für einen Heiligen halten.