Kaputt, begabt und immer drauf: Nach Sänger Kiedis legt Bassist Flea ein Buch vor. Darin beschreibt er seine harte Jugendzeit vor dem großen Erfolg.
Los Angeles (mis) - Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. So verhält es sich auch mit dem Cover von Fleas Autobiografie "Acid For The Children - A Memoir" (Headline Publishing, Paperback, 379 Seiten, englisch, 13,99 Euro). Man sieht den Bassisten der Red Hot Chili Peppers als 12-jährigen Jungen an einem Joint ziehen. Kaputt sein und immer drauf: Dafür musste Flea nicht bis zu den 90er Jahren warten, als der eigene Kontostand dank weltweiter Charterfolge wie "Give It Away" und "Under The Bridge" explodierte. Im Gegenteil: Parallel zum Hitalbum "Blood Sugar Sex Magik" fasste Flea den Entschluss, keine Drogen mehr anzufassen. Welche enormen Hürden er bis zu diesem für sein heutiges Wohlbefinden elementaren Schritt nehmen musste und warum das 30 Jahre lang dauerte, davon erzählt "Acid For The Children" auf 379 Seiten.
Eine für Fans der Chili Peppers vielleicht nicht ganz unerhebliche Besonderheit: Das Buch endet im Jahr 1983 mit der Gründung der Band. Jahrelang sei er bekniet worden, ein Buch über seine Karriere zu schreiben, wie er in Interviews erklärte, was ihn immer abgeschreckt habe. Nun legt Flea ein Buch über seine Kindheit und Teenagerzeit als "street rat" in Hollywood vor und liefert somit das exakte Gegenstück zur 2005er Autobiographie "Scar Tissue" von Sänger Anthony Kiedis und dessen akkurater Abhandlung der eigenen sexuellen Erfahrungen.
Das passt insofern ganz gut, als dass Fleas früher Buddy und Partner in Crime natürlich auch im Buch auftaucht (zumindest ab Seite 161) und von dem in Australien geborenen Michael Balzary als genau das beschrieben wird: Als kompletter Antipode. Liebevoll und selbst nach all den gemeinsamen Jahren mit kindlich-ratlosem Erstaunen taucht er in seine Beziehung zu diesem Typen mit der Flat-Top-Frisur ein, der sein Leben ab dem ersten Aufeinandertreffen in der Fairfax High School auf den Kopf stellen sollte ("Nobody, except an old man with his belt up above his belly button, had a fucking flattop in 1976 Los Angeles").
Trotz gemeinsamer Interessen (Kiffen, Mädchen, Basketball, Partys) sei man sich von der Persönlichkeitsstruktur zu fremd gewesen, als dass eine Freundschaft hätte entstehen können. Dieses scheinbare Rätsel durchdringt Flea mit spannender Beobachtungsgabe und in einem überraschend überzeugenden Erzählfluss. Dass der 57-jährige Musiker seit langem ein spirituelles Leben führt, durchdringt zwar sämtliche Erinnerungen, allerdings in einem von Pathos freien Stil: "It'd be easy to say that he is an alpha and I'm not, but it's much more nuanced than that. Anthony lived with the same fear and separateness that kept me totally disengaged from the social process. But he was able to turn it inside out. It drove him to do shit I would never dare. Nothing was gonna keep him from going for what he thought he deserved. His disdain for the popular kids only motivated his actions. I went hard the other way, slipping deeper into an interior world. Two sides of the same coin (...) Never in my life have I seen fate play such a strong and clear hand."
Dass auch die zahlreichen Seiten ohne den bekannten Bandkollegen kurzweilig geraten, ist vielleicht das schönste Kompliment an den Autor. Ein Verdienst seines Sprachtalents, das in eine realistische, distanzlose Darstellung seiner Umgebungen mündet. "Acid For The Children" umrundet schließlich ein universelles Thema: Eine von Hoffnungen getriebene Jugend. Als Fünfjähriger zieht Flea mit seinen Eltern und seiner Schwester nach New York, der Vater ergattert einen Job beim australischen Konsulat. Nach vier Jahren endet nicht nur der Vertrag, sondern auch die Ehe der Eltern. Der Vater zieht alleine zurück nach Melbourne. Der neue Partner seiner Mutter ist Jazzmusiker und aufgrund ausbleibenden Erfolgs später auch Alkoholiker, was auf den jungen Flea horrende Auswirkungen in beide Richtungen haben wird. Zeit seines Lebens sucht er die Vaterfigur, die ihm früh genommen wurde und die er auf seine Weise kompensiert.
Als härtere Drogen das Marihuana ablösen, nimmt sein Leben eine Route, die viele Gleichaltrige nicht überlebt hätten. Flea meistert diese Anekdoten, indem er altersweise, aber nie belehrend formuliert. An einer Stelle schreibt er einen Dialog in Drehbuchform nieder, wie er sich mit 16 in Apotheken Spritzen besorgte ("Movie of my life: I'm played by Tony Curtis"). Dass ihn seine Mutter praktisch ab 13 alleine auf den Straßen von L.A. herumtoben ließ, nimmt er ihr erst nach einer schauderhaften Episode mit einem Pädophilen übel: "In retrospect it is absolutely fucking insane that my mother had no objections to me going and sleeping at this unknown man's house."
Interessant gerät der Abschnitt, der die Hinwendung des begabten, Trompete spielenden Jazz-Fans Flea an das wilde Sujet Rock- und Punkmusik schildert. Als der Drang, selbst Musiker zu werden, bei Flea immer größer wird, schwindet der Einfluss des Partykumpels Anthony, da der kein Instrument spielt. Stattdessen im Mittelpunkt: WG-Kollege Hillel Slovak, später erster RHCP-Gitarrist, mit dem Flea die ersten gemeinsamen Gehversuche in der Band What Is This fabriziert. Entsprechend emotional geraten seine Erinnerungen an dessen Tod 1988, die er in die Erzählung einflicht. Am Ende rückt das Happy End immer näher. Zu Slovaks Entsetzen verlässt Flea die Band, um bei einer Audition vorzuspielen, wo er sofort genommen wird. Doch Fear sollte nicht seine letzte Station bleiben.
"The heroin, cocaine, and meth, they hurt me bad, it took a long time to really recover from 'em. Even the weed. Man, I was too damn young for that shit, it made growing up a more difficult challenge than it needed to be. For years and years I made the mistake of trying to run away, before I learned to surrender, accept my pain as a blessing, trust in the love, and let it change me. "
"Flea: Acid For The Children - A Memoir*"
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1 Kommentar mit 2 Antworten
Was mich an so ziemlich jeder Darstellung von Drogenproblematiken in Musikerbios nervt, dass diese gefühlt zwangsweise in das übliche narrativ gezwängt werden muss. Ezxess wird immer aufgrund seines Unterhaltungswert dargestellt und betont, muss aber zum Ende hin überwunden werden und wird rückblickend als etwas einseitig destruktives Dargestellt werden. Am Ende steht immer ein geläuterter Mensch, der zwar die Exzess-Erfahrung als notwendige Qualifikation zur Erfüllung des Rockstarklischees vorweisen kann, aber durch die Verteufelung seines früheren Verhaltens nun spießig genug geworden ist, damit seine Persona noch markttauglich genug für seine nun in die Jahre gekommene und zwangsweise noch spießiger gewordene Stammabnehmerschaft ist. Das der Exzess dabei auch durchaus zu einem Anteil kreative Triebfeder sein kein, nein undenkbar!
Ich habe das Buch von Flea nicht gelesen, aber es kommt bei der Rezension so durch. Ganz schlimm ist es aber z.B. auch bei dem Elton John Film.
Deshalb heißt es ja auch "Drogenkarriere". Der Neoliberalismus hat sich auch hier unerbittlich eingeschlichen. Erst wenn es im Nachgang einen Nutzen erzielt hat, bei gleichzeitiger Überwindung, wird es als "Cool" oder "Business" auserkoren, dass man Drogen genommen hat.
Ich finde das Prinzip des rückwirkend "Geläuterten" an der Stelle auch total hirnrissig. Oder um es positiv mit Kiedis` Worten zu sagen:
"Gott segne Drogen und Alkohol, denn ohne sie wäre ich nicht der, der ich heute bin."
Wer nicht irgendwann von sowas wegkommt, endet nunmal meist als Leiche, und als eine solche kann man keine Bücher schreiben.
Alternativen: Man brennt aus.
Wirkung: Die selbe.