laut.de-Kritik
London zwischen Jack The Ripper und Mr. Hyde.
Review von Ulf KubankeNeben rituellen Menschenopfern, zur Schau getragenen Persönlichkeitsstörungen und belanglosen Provokationen habe der Black Metal nicht gerade viel zu bieten - so ein landläufiges Vorurteil. Doch spätestens mit den psychedelischen Vordenkern "In The Woods" ("Heart Of The Ages", 1995) hat sich das Genre peu à peu anderen Konzepten geöffnet.
Neben solch eigenwilligen Kombos wie Dornenreich oder Ulver machen im BM-Freestyle vor allem A Forest Of Stars eine hervorragende musikalische Figur. Ganz besonders mit diesem Album.
Sofern an der of bemühten Legende der 'extrem wichtigen dritten Scheibe' auch nur ein Körnchen Wahrheit steckt, darf die Band sich getrost auf die immerhin 14 vorhandenen Schultern klopfen. Während sogar der Feuilleton langsam begreift, dass es hier etwas zu entdecken gibt, fangen nicht wenige mediale Kreuzritter der Meta-'Trueness' bereits an, die Engländer zu degradieren.
Künstlerisch hat AFOS mithin alles richtig gemacht. Das Denken in Schubladen ist nicht das ihre. "A Shadowplay For Yesterdays" nimmt einmal mehr den Black Metal als Basis. Hinzu treten Doom, Folk, Klassik, versetzt mit Spoken Word Passagen.
Doch was sich in schnöder Aufzählung etwas beliebig, nahezu einkaufslistenmäßig liest, fügt der 'Gentleman's Club' (so die erbetene Eigenbezeichnung) zum atmosphärisch dunklen Albtraum eines morbiden London zwischen Jack The Ripper und Mr. Hyde. Die Story ist gelungen, zum Genuss gleichwohl nicht unabdingbar. Ein konsequent verschrobenes Detail: Getreu der fiktiven Autobiografie gibt das Booklet an, man habe die Schallplatte zwischen August und Dezember 1891 aufgenommen.
Wie die Themse durchfließen Black Metal-Ströme ihren ohnehin sinistren London Corpse wietiefschwarze Adern. Die sind paradoxer Weise nicht mal so was Besonderes. Eine Art perfektes Abziehbild gängiger Söhne nordischer Dunkelheit der zweiten Black Metal-Welle. Garniert mit bewußt stereotyp gedengeltem Betonfaktor und einer gehauchten Prise 'Limbonic Art'-Flow - aber erst so richtig aufpoliert durch teils wiederkehrende Themen und herausragende Solisten. Dabei stechen zwei Faktoren heraus.
Sie haben das unachamliche Geschick, urbritisches Songwriting à la Vaughan Williams in nahezu maideneske Gitarrenläufe zu gießen. Eingebettet in typische englische Psychedelica der Marken Fields bis Floyd. Erstaunlich, wie mühelos die sechs noblen Herren dem exzentrischen Sud einen eigenen Stempel verpassen.
Indes weit beindruckender: 'Katheryne, Queen of the Ghosts' einzig weibliches Clubmitglied nimmt es mit Flöte, Gesang und erst recht der Violine locker mit ihren Gentlemen auf. In tödlicher Präzision sticht die Lady ebenso melancholische wie melodische Themen wie mit dem Skalpell ein.
Wer sich in derlei dunklen Momenten angenehm an For Lies I Sire erinnert fühlt, täuscht sich nicht. Die heutige Geisterkönigin wurde bereits als ehemals sterbende Braut Katie Stone enttarnt. Spielerlisch und machtvoll wie Zuckerfee Loreena McKennit es gern wäre, lenkt Stone alles nach Belieben von Pracht gen Schwermut und zurück. Ein paar osteuropäische Tupfer hie und da runden ab. Mit "Dead Love" erhält sie endlich auch als Chanteuse ihren überfälligen Solomoment (leider nur als Bonustrack).
Die Leichtigkeit, mit der das Septett sich bei Liedern wie "Left Behind As Static" die instrumentalen Bälle gegenseitig zuspielt, bis der Song zum Ende regelrecht aufkocht, beeindruckt. Ähnlich unangestrengt fügen sie Genres zusammen und sprengen Grenzen: Nicht nur ein Track wie "A Prophet For A Pound Of Flesh" kann ebenso interessant für Freunde aktueller Storm Corrosion bis Moonspell sein.
Das ungewöhnlich authentisch gehaltene viktorianische Artwork des Tonträgers macht die Illusion perfekt. Mit diesem Schattenspiel bringen A Forest Of Stars einen heißen Kandidaten um die Platte des Jahres ins Rennen, und das nicht nur für Metaller.
12 Kommentare
Dieser Kommentar wurde vor 9 Jahren durch den Autor entfernt.
ja und nein....die BM parts sind möglichwerweise nicht jedermanns sache. immerhin gibt es auch vocals von katie stone. aber jeder song ist anders...
klingt ein bißchen wie lacrimosa.
http://www.laut.de/Dornenreich/Flammentrie…)
woah, nach den ersten 2 Durchläufen bin ich richtig angetan... Black, Doom, Melancholie, Folk, Klassik, Poesie, Prog, Innovation... alles drin und doch homogen
woah, nach den ersten 2 Durchläufen bin ich richtig angetan... Black, Doom, Melancholie, Folk, Klassik, Poesie, Prog, Innovation... alles drin und doch homogen