laut.de-Kritik

Zu sehr im Beamtenmodus verhaftet.

Review von

Der gute alte Heavy Metal suhlt sich in den 2020ern wie in den 80ern in der Rolle des Rebellen einer analogen Gegenbewegung, um trotz musikalischer Stagnation relevant zu bleiben. Der Fuckfinger gegen den 3. Weltkrieg und die nuklerare Katastrophe wurden abgelöst von der Angst vor künstlicher Intelligenz im Terminator-Style oder vor den Versuchen von weiterführenden Chip-Implementationen, wie sie Elon Musik und Mark Zuckerberg vorantreiben. Zumindest bei Accept und ihrem siebzehnten Album "Humanoid".

"Defile the system, shatter every link, this programm has pushed you to the brink", bereits im Opener erheben sich die Maschinen und der Zusammenbruch der Zivilisation kündigt sich an. Im folgenden Titeltrack stellt sich die Hauptfigur vor: "My name is hybrid, I stand alone, Bionic implants engineered for flesh and bone. Computer circuits under command of my intelligence, I am a Metal Man." Die Menschheit wird ersetzt von einem performanteren Wesen, das irgendwann die technischen Fesseln abschüttelt. Bewertet man nur diese ersten beiden Tracks von den Mannen um das letzte Gründungsmitglied Wolf Hoffmann und Ausnahmesänger Tornillo wäre diese Eroberung zumindest musikalisch kein Verlust. Blutarm im Beamtenmodus spulen Accept die Riffs und Refrains ab, als hätte es den noch recht frischen und zündenden Vorgänger "Too Mean To Die" nie gegeben.

Im dritten Lied "Frankenstein" baut die Band die Figur des Humanoiden weiter aus und die Musik erwacht endlich zum Leben. Der Pre-Chorus legt den Refrain mustergültig vor. Gang Shouts und Tornillos Stimme spielen sich die Pässe perfekt zu. "Man Up" diggt dann tief in AC/DC-igen "Balls To The Wall"-Vibes. Der Bass drückt aufs Gaspedal und die Strophen schmiegen sich verdammt eng an die Australier zu "Heatseeker"-Zeiten. Die Message des Tracks unterstreicht noch einmal das etwas hängengebliebene Mindset von Accept: Eier, wir brauchen Eier. Olli Kahn lässt grüßen. Dieses vermutlich motivierende Anschreien passt schon im Kampf gegen die künstlichen Supermenschen, doch 2024 sollte klar sein, wie es eigentlich heißen müsste: "Woman Up". Das wäre auf Grund der stärkeren Leidensfähigkeit und dem härteren Gegenwind durch patriarchalische Systeme viel passender. Message und Song funzen jedoch grundsätzlich.

Ähnlich Highway- und Kneipen-tauglich schwingen sich "Nobody Gets Out Alive" und "Straight Up Jack" zu potentiellen Live-Tracks empor. Die Powerballade "Ravages Of Time", der Midtempo-Tune "Mind Games" und der Weltuntergang auf "The Reckoning" bleiben dagegen im Mittelmaß stecken. Zum Glück mobilisiert Wolfmann zum Schluss noch mal sämtliche Kreativität und Kraft.

Die Riffs auf "Unbreakable" hämmern zwischen die Hörner. Die ansonsten kehlig-aggressive Stimme Tornillos entfaltet im dynamischen Zusammenspiel zwischen rockigeren, melodiösen Part endlich eine Tiefe, die auch die Alben von U.D.O. immer wieder hörbar machen. Klassische Metal-Message inklusive: "Together we are unbreakable". Der Schlusstrack "Southside Of Hell" jubiliert mit doppelzüngigen Gitarren und sendet zum Finale ein Fünkchen Hoffnung: "Just a spark in the night, a star in the distance". Einen fortgeschrittenen Metal-Sound, der keine Ausflucht im Gestern sucht und die Gegenwart stattdessen bei besagten Hörnern packt, darf man bei Accept nachüber 40 Jahren nicht erwarten. Ein bisschen mehr jedoch schon.

Trackliste

  1. 1. Diving Into Sin
  2. 2. Humanoid
  3. 3. Frankenstein
  4. 4. Man Up
  5. 5. The Reckoning
  6. 6. Nobody Gets Out Alive
  7. 7. Ravages Of Time
  8. 8. Unbreakable
  9. 9. Mind Games
  10. 10. Straight Up Jack
  11. 11. Southside Of Hell

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3 Kommentare mit 4 Antworten

  • Vor 6 Monaten

    Handwerklich kann man gegen "Humanoid" erstmal wenig sagen. Vor allem im Hinblick auf die sechs Saiten bekommt man das, was man erwarten darf, wenn Accept draufsteht. In Sachen Songwriting fällt das neue Album im Vergleich zum Vorgänger aber schon ein bisschen ab. Ich würde bei einigen Songs nicht direkt von Fillern sprechen, aber manches kommt schon ein bisschen 08/15-mäßig daher (z. B. Diving into Sin & Titeltrack). Richtig cool kommt "Ravages of Time" rüber, wo Sänger Tornillo zeigt, dass er mehr ist als bloß eine begnadete stimmliche Kreissäge.
    Der Grundtenor der Platte lautet: Mensch vs. KI. Ob man da wirklich Horrorszenarien heraufbeschwören muss, sei dahin gestellt. Für kreative Dystopien bietet das Thema allerdings einen idealen Nährboden.
    Wer auf handwerklich gut gespielten Metal steht, wird mit "Humanoid" nichts falsch machen. Und nach 40 Jahren können Accept den Sound und das Genre eh nicht nochmal neu erfinden. Das Album wird in der History der post-Dirkschneider-Ära sicher nicht ganz so weit oben stehen, aber es ist eine grundsolide Platte mit einigen sehr starken Songs von einer sympathischen, authentischen Band.

    • Vor 6 Monaten

      Das mit der sympathischen Band ist lange vorbei, Wolf erhält die Band künstlich am Leben. Als einziges Ur-Mitglied hat er alle vergrault, selbst der treue Peter Baltes hat das Weite gesucht und mischt jetzt fest bei Udo mit.

  • Vor 6 Monaten

    "von der Angst vor künstlicher Intelligenz im Terminator-Style oder vor den Versuchen von weiterführenden Chip-Implementationen, wie sie Elon Musik und Mark Zuckerberg vorantreiben. "

    lost af

  • Vor 6 Monaten

    ''...einmal das etwas hängengebliebene Mindset von Accept...'' // ''Das wäre auf Grund der stärkeren Leidensfähigkeit und dem härteren Gegenwind durch patriarchalische Systeme viel passender. ''
    Das hier federführende Individuum identifiziert sich vermutlich als Toaster und absoluter Lieblingssong ist https://www.youtube.com/watch?v=XC7eRmnfZ_A