laut.de-Kritik

So farblos war's noch nie.

Review von

Ein McRib ist kein Schweinsbraten. Und ein Tross von Professionellen – Textdichtern, Komponisten, Produzenten – ersetzt keine Annette Humpe. Unter dem Ruhestand von Deutschlands wichtigster Popbaroness leidet die Qualität von Adel Tawils Veröffentlichungen hörbar. Zugegeben ist dies nicht am kommerziellen Erfolg abzulesen, denn der 44-jährige Sänger aus Berlin landet bisher mit jedem Sololabum zuverlässig in den Top-10 der deutschen Albumcharts. Vergleicht man allerdings die großen Hits seiner mittlerweile 27-jährigen Karriere mit dem Material auf der neuen Platte namens "Spiegelbild", drängt sich der Begriff 'Fast Food' geradezu auf.

2007 erscheint der Megahit "Vom Selben Stern" unter dem Bandnamen Ich + Ich. Inhaltlich bietet sich dieselbe schlagerartige Ödnis, die Tawils Werk konsequent durchzieht: Weisheitsfloskeln, Liebesphrasen, stumpfe Reime. Nur weiß eine Annette Humpe eben mit Schwachsinn durchaus musikalisch umzugehen. So dämlich "Vom Selben Stern" bis heute auf jeder Mainstream-Radiostation durch den Äther donnert, so glücklich macht den aufmerksamen, unvoreingenommen Hörer das Arrangement. Vom kratzigen Vinyl-Sample im Intro bis zur Jingle-Jangle-Westerngitarre, von cleveren Bassvariationen und chromatischen Übergängen bis hin zu schwurbelnden Syntheziser-Ornamenten, von Tawils luftig aufgenommenem Popgesang bis hin zu Humpes eingetragener Handelsmarke, ihren Barbershop-Backing-Vocals, in die sie zum Ende noch gewohnt bescheiden ein Selbstzitat einflicht, nämlich die Bridge aus ihrem Hit "Codo (Düse im Sauseschritt)" von 1983.

Humpe spricht Gefühle an, über die jung und alt, schlau und dumm nicht nachdenken müssen. Ein Fuß wippt mit, wo ein Viervierteltakt ist, alle Füße wippen mit, wo Musiker eine Idee dazu hatten. 2023 also singt Adel Tawil furztrocken und viel zu nah in ein Studiomikrofon – hörbar die unzähligen zusammengebastelten Takes. Couleur in die fahle Angelegenheit bringt das Produzententeam mit digitalem Echo und Hall und einer penetranten Dosis Auto-Tune. Wieso Tawil das nötig hat, ist unklar. Der schlechteste Sänger war er nie, hatte seine gefällige Stimme zwischen Weichspüler und Vollwaschmittel immer gut unter Kontrolle.

Muss wohl einfach Mode sein, klassische Aufnahmetechniken und ein Arrangement durch das Effektboard zu ersetzten. Und so geht der Opener "Niemandsland" dahin – man hat ihn bereits vergessen, erklingt der letzte Ton. Thematisch irgendeine Persönlichkeitsentwicklungswegrennphrase: "Ich träum davon, noch einmal ganz neu anzufang' / Und wenn ich wiederkomm' dann als gemachter Mann". Backing-Vocals nicht auf Annette-Humpe-Niveau, sondern dämlichstes "OOOoooOOOOOOh!"

"Autobahn" heißt die erste Single, musikalisch hat man hier einen angestaubten Dance-Track arrangiert. Textlich redundanter Liebesschnulz, der an Frauen oder Gott oder beide gleichzeitig gerichtet sein kann: "Ich war verloren im tiefsten Tal / bis ich mein Licht endlich in dir wiederfand". Synthies dudeln, Echos echoen. Beat weg, Beat rein, Bass raus, Bass rein. Das war's. Auch schon wieder vergessen.

Klassischer arrangiert tönt's bei "Labyrinth", einer mittelschnellen Ballade, etwas mehr nach Mark Forster und wieder viel nach Gott. Endsilben werden zur Beugung schwächster Reime wiederholt verschluckt. Herr Tawil fühlt sich nicht "gefangen", sondern "gefang", nicht in "seinem", sondern in "sein" Leben.

48 Minuten lang geht das so und wird nicht besser, aber auch nicht schlechter. Routinen werden abgearbeitet, der Setzkasten wird umgestülpt und wieder zusammengefügt. "Nirvana", der letzte Song, ist dann eine Widmung an den früh verstorbenen Produzenten und Mentor Andreas Herbig. Man muss Adel Tawil zu seinem Verlust kondolieren: So farblos und uninteressant wie auf "Spiegelbild" war's in der Tat noch nie.

Trackliste

  1. 1. Niemandsland
  2. 2. Venus & Mars
  3. 3. Autobahn
  4. 4. Feuer & Eis
  5. 5. Labyrinth
  6. 6. Menschenkinder
  7. 7. Fallschirm
  8. 8. Silberstreif
  9. 9. Spiegelbild
  10. 10. Tränenpalast
  11. 11. Leuchten
  12. 12. Was wirklich gut war
  13. 13. Stolz
  14. 14. Die Welt steht auf Pause
  15. 15. Labyrinth
  16. 16. Nirvana

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5 Kommentare mit 18 Antworten

    • Vor einem Jahr

      Da man munkelt, dass du inzwischen ausschließlich in Deutschrockgefilden unterwegs bist, solltest du dich vllt mal in Zurückhaltung üben. ;)

    • Vor einem Jahr

      deutschrock als genre ist doch kaputter als deutschrap, auch wenn das schwierig ist. lauti selbst war es, der damals begeistert von einem adel tawil konzert berichtet hat...denke auch dort war er fristmover

    • Vor einem Jahr

      Kann ja sein, daß er seine Kackmucke live gut rüberbringt. Bin ziemlich überzeugt, man kann auch mit dem größten Müll ein geiles Erlebnis bei nem Gig schaffen.

    • Vor einem Jahr

      Also ich find den Tadel stabil.

    • Vor einem Jahr

      Adel verpflichtet: "Diese Redensart besagt, dass eine höhere gesellschaftliche Stellung zu entsprechenden Verhaltensweisen verpflichtet und ist die wörtliche Übersetzung der französischen Maxime noblesse oblige aus Pierre Marc Gaston Duc de Lévis’ 1808 erschienenen Buch Maximes et réflexions sur différents sujets de morale et de politique (Maximen und Reflexionen zu verschiedenen Themen der Moral und Politik). Die Redewendung ‚Noblesse oblige‘ oder ‚Adel verpflichtet‘ ist zwar sehr bekannt, lässt jedoch offen, wozu der Adel eigentlich verpflichtet war. Mittlerweile hat sich diese Frage allerdings erübrigt, da man auch ohne Adel ganz gut leben kann."

      laut wiki

    • Vor einem Jahr

      @sodi: Ja, Jeder kann sich noch dran erinnern, wie er damals abgepersert hat AF. Auch Ich + Ich hat er doch hart gefeiert, damals in den 80ern in den skreetz. :lol:

    • Vor einem Jahr

      Man sollte lauti jetzt auch nicht zuviel andichten. Er war natürlich zu seiner Hochzeit an vielen Trends maßgeblich beteiligt, die dann das Land eroberten. Zu nennen wären hier va die Bi-Sprache, Trash-Metal, Dice-Games, die Hip-Hop Kultur, das Internet an sich, Low-Top Sneaker sowie der Sonntagsbrunch.

      Bei Deutschrock war er meines Wissens eher early adopter, da er seine erste Onkelz Scheibe erst 1990 erwarb.

    • Vor einem Jahr

      "lauti" scheint mietfrei in deinem Kopf zu leben.

    • Vor einem Jahr

      Dies wäre, lieber Forndom, wahrscheinlich die einzige Möglichkeit einen Leerstand zu verhindern. *Tusch*

    • Vor einem Jahr

      Dieser Kommentar wurde vor einem Jahr durch den Autor entfernt.

    • Vor einem Jahr

      Der war gut :D

      Muss zugeben, ich vermisse Wiesli schon was weniger.

    • Vor einem Jahr

      Ja,haha, Ragism, nicht lustig

    • Vor einem Jahr

      Wiesel wird wiederauferstehen. Ich weiß es tief in meinem Herzen.

    • Vor einem Jahr

      Okay, ich vertraue leider deinen kognitivrn Fähigkeiten nicht genug um annehmen zu können, dass das ein Scherz ist, daher: Lost9 ist Wiesel.

    • Vor einem Jahr

      Natürlich ist er das. Ich nehme es mittlerweile einfach als Kompliment, daß meine kleinen Spitzfindigkeiten als Doofheiten verstanden werden.

    • Vor einem Jahr

      Oder binden wir Ihnen hier einen Bären auf?

    • Vor einem Jahr

      Mehr Win-Win geht doch nicht. Ein paar Muppets lachen, wie doof ich bin - ich lache, wie ich von diesen klugen Muppets unterschätzt werde ♥

      Wie auch immer: Lost9 ist auch ganz nice. Diese "sozialverträgliche" Version ist aber nicht so wild, unberechenbar, ungestüm und sexy wie das schäbige Wiesel. Ich vermisse es sehr. :(

  • Vor einem Jahr

    Wie man auf dem Cover unschwer erkennen kann, ist der Spiegel wohl beim Anblick des sog. Künstlers zerbrochen. Oder lag's etwa doch am Gejaule und der peinlichen Allgemeinplatzlyrik? Wer weiß, wer weiß. In Deutschland, dem Land der Dichten und Musikhassenden, wird er mit diesem absonderlichen Schmutz trotzdem Erfolg haben. Musik für NPCs, die ihre Instagram-Seite bedeutungsschwanger als "Lifestyleblog" deklarieren, und deren intellektuell überforderte Followerschaft, die dem zur Schau gestellten Scheindasein auf den Leim geht und auf die Frage hin, was man denn so für Musik höre, selbstbewusst mit einem wohldurchdachten "Ich höre eigentlich alles was gut klingt" antwortet.

  • Vor einem Jahr

    Ganz schlimm. Abgesehen vom Albung-Namen, allein die ganzen Songtitel, als wäre Adel Tawil in Hartmut Englers Finca eingebrochen und hätte den heiligen Grahl der Bullshit-Lyrik eigenhändig ausgegraben: Niemandsland, Menschenkinder, Feuer & Eis (ja, beides eher Peter Maffay) ... Dann das Sahnehäubchen, einen Song "Labyrinth" zu benennen, als wäre das heute noch originell, weil ein Labyrinth natürlich kompliziert ist, was wiederum vom ganzen profanen Bullshit ablenken soll. Und am Ende dann "Nirvana", als wäre das dann ein lyrischer Kreis, der sich schließt in Bezug auf "Niemandsland". Seufz.

  • Vor einem Jahr

    Es tobt der Hamster ... örks!