laut.de-Kritik
Nepper, Schlepper, Schwiegermütterfänger - und 155 Minuten Dauerlächeln.
Review von Hannes WesselkämperDa sitzen sie zu Tausenden: mittelalte und alte Menschen, teilweise mit Kind oder Enkel im Schlepptau, mal wieder die schicke Bluse und die Tuchhose aus dem Schrank geholt, bereit für einen schönen Abend in der Frankfurter Festhalle. Sie wollen Frühstücksradiomusik im pompösen Samstagabendgewand erleben, interpretiert von einem noch besser angezogenen Quintett namens Adoro. Das ist ihnen gern 40 bis 75 Euro wert, wobei jedoch selten Preise auf Muttis selbst gestalteten Geschenkgutscheinen stehen.
Pop-Klassik heißt dieses wohlkalkulierte Geschäft mit den smarten Musikanten auf der einen und den meist älteren Alltagsflüchtlingen auf der anderen Seite. "adoro singt nicht nur, sie leben ihre musik mit ganzem herzen", bemerkt ein Jünger unter einem YouTube-Video. Solch zweifelhafter Glaube – eine Mischung aus Eskapismus und Götzenbildung – spült Jahr für Jahr Geld in die Kassen der Il Divos, David Garretts, Adoros und vor allem in die der Majorlabels.
Während auf dem Parkplatz hitzige Revierkämpfe zwischen Sonnenblenden-Sharan und Schlandflaggen-Zafira toben, laben sich die Besitzer im Inneren an den "Superhits der 80er, 90er und dem Besten von heute". Gepresst in ein orchestrales Passepartout, tragen die gut ausgebildeten, mehrstimmigen Sänger über zwei Stunden lang die Hits von Nena, Ich+Ich, Peter Maffay und Unheilig vor. Dabei ist bereits 155 Minuten Dauerlächeln allein ein beeindruckender Kraftakt.
Man spricht Deutsch in der Glamourwelt Adoros. Nein, nicht aus Wohlgefallen oder Sangestauglichkeit dieser gemeinhin als scharfkantig wahrgenommenen Sprache. Es ist ein ökonomisches Diktum, ein gieriges Schielen auf die Zielgruppe, die bitteschön jedes dahingeschmalzte Wort verstehen soll. Mitklatschen erlaubt: Zuschauerperkussion à la "Wetten, dass..?" ergießt sich über besonders pathetische Stücke. Den Rhythmus kennt jeder, ist er doch tief im deutschen Fernseh-Gen verwurzelt und somit vor Sarrazin'scher Überfremdung biologisch bewahrt.
Hier ein Lächeln, dort ein Händeschütteln und stets ein freundliches Wort für die Stadt. Adoro stürmen die Herzen der Zuschauer in der Halle und an den DVD-Playern wie gewiefte Staubsaugervertreter deren Häuser. Lediglich an zwei Stellen hauchen die Forest Gump Suite [sic!] sowie Fanny Kammerlanders Interpretation des himmlischen Préludes zu Bachs Cello Suite No. 1 dem orchestralen Einheitsbrei ein wenig Stil ein.
Zum Schluss ein drittes Mal Nena, und es ist vollbracht. Die Besucher sind entlassen, während zu Hause am Fernseher die Nepper, Schlepper, Schwiegermütterfänger mit 25 Bildern pro Sekunde weitermachen. Am Stück, Lied für Lied oder bei einem Blick hinter die Kulissen der Show. Das Geschäft mit der Pop-Klassik funktioniert nämlich gerade auf der heimischen Velourscouch am besten.
30 Kommentare
witziger Text.
Jaja dieses Classic meets Pop ... das ist ne Crossoversache die ich mir auch nicht geben kann, und ich mag sonst gern ab und zu was klassisches. Aber im Popgewand wirkt mir zu vieles zu billig. Kennt ihr die Werbung von Aida? Mit dem Dirigent mit dem Hut? Schauderlich...
Vor allem der Uli Hoeness Verschnitt mit der Gitarre...
du meinst Adya. aber ja, ich geb dir recht. man möchte sich lieber die stiefel vollkotzen als dieses zeug zu hören.
Bekommt man eigentlich einen Gefahrenzuschlag für das Schreiben solcher Reviews? Adoro fallen ja schon beinahe in die Kategorie Kriegsverbrechen und 2 1/2 Stunden diesen Dreck zu ertragen ist wahrlich eine Leistung.
Tony Scott ist tot
ehhm ... stimmt.
Und Scott McKenzie auch... Die Woche fängt ja wieder gut an...