laut.de-Kritik
Die fulminante Rückkehr aus dem Dauerurlaub.
Review von Irene Winkler"Urinprobe, bitte!" oder "Machen Sie mal den Arm frei!" Diese und ähnliche Aufforderungen dürften den fünf Mitgliedern von Aerosmith vor den Aufnahmen zu "Permanent Vacation" in regelmäßigen Abständen zu Ohren gekommen sein.
Die Entstehungsgeschichte dieses Albums gleicht weniger einem ausgedehnten Urlaub als einer steinigen Wanderung zum Gipfel des Mount Success. Nach ihrer Reunion im Jahr 1984 floppte das 1985 erschienene Album "Done With Mirrors" auf ganzer Linie. Geffen Records zeigte daher kein gesteigertes Interesse, erneut ein Budget an eine potenzielle Nullnummer zu verschwenden und band die Finanzierung des Albums an strenge, nicht diskutierbare Auflagen. Außer einer vom Label auferlegten Drogen- und Alkoholtherapie, an der alle Bandmitglieder teilnehmen mussten, bestand Geffen darauf, zur Unterstützung externe Songwriter zu beauftragen. Für eine Band, deren acht vorangegangene Alben aus der ureigenen Feder stammten: ein denkbar herbes Zugeständnis.
Allen Widersprüchen zum Trotz engagierte man schließlich Desmond Child und Jim Vallance, die zahlreiche namhafte Referenzen vorzuweisen hatten. Beide schrieben in der Vergangenheit bereits Hits für Kiss. Child belieferte unter anderem Bon Jovi, Cher und Joan Jett, bevor er bis 1990 Aerosmith mit Songs versorgte. Vallance erlangte vor allem mit seiner Zusammenarbeit mit Bryan Adams Bekanntheit.
So herrschten im März '87 die besten Bedingungen, um ein erfolgreiches Album auf den Weg zu bringen. Innerhalb von zwei Monaten waren die Aufnahmen abgeschlossen. Wie sich im Folgenden zeigt, haben alle Beteiligten im Vorfeld tatsächlich alles richtig gemacht.
Das Intro zu "Heart's Done Time" malt das bunte Bild eines paradiesischen Idylls. Ein Bächlein plätschert, Walgesänge erklingen. Doch die vermeintliche Harmonie findet ein jähes Ende: Wie Sirenen lassen Joe Perry und Brad Whitford die Saiten aufjaulen. Die Drums dröhnen wie die Vorboten Odins, und mitten hinein kreischt Steven Tyler mit einem Scat-Stakkato wie ein dritter Gitarrist aus dem Off ins Klangbild. Mit seinem melodischen Chorus geht "Magic Touch" wieder etwas vom Gas, dafür unweigerlich ins Ohr.
Am Songwriting von "Rag Doll" beteiligt sich außer Tyler und Vallance auch Holly Knight. Zusammen erschaffen sie eine schwungvolle Mischung aus der tanzbaren, beschwingten Musik der frühen 50er und dem klassischen Rock der 80er Jahre. Der Song stürmt in die Charts und bildet ein schillerndes Highlight auf der ohnehin glänzenden Trackliste. "Simoriah" gibt sich mit klar gespielten, texturierten Riffs sofort als astreiner Rocksong zu erkennen. Tyler lässt die Gelegenheit nicht aus, in den aufsteigenden Vocals eindrucksvoll seine Stimmgewalt zu demonstrieren. Der von zahlreichen Bläsern unterstützte Rock'n'Roll-Song "Dude (Looks Like A Lady)" avanciert zudem kommerziell zum erfolgreichsten Hit der Band nach einer langen Durststrecke.
"St. John" erinnert stark an Aerosmith der 70er. Die Bostoner besinnen sich auf ihre musikalischen Anfänge und verbinden gekonnt Blues mit Rock. Für die nächste Nummer graben sie sich sogar noch tiefer zu den bluesigen Wurzeln vor. Ganze eineinhalb Minuten dauert das perfekt inszenierte Akustik Blues-Intro von "Hangman Jury", bis das Stück in einen rasanten Upbeat-Rocksong mündet. Es klingt stimmig, nach der doppelten Portion Blues mit "Girl Keeps Coming Apart" etwas Funk aufzulegen. Kramers treibendes Schlagzeug, geschrammelte Saiten, ein Haufen Bläser und eine Mundharmonika begleiten Tyler, der souverän seine Stimme zurechtquetscht.
Der Radiohit "Angel" unterbricht unvermittelt die energisch-dynamische Stimmung des Albums. Das Engelchen gerät einfach einen Tick zu kitschig. Aber seis drum, der Erfolg gibt auch dieser Stilrichtung Recht. Es grenzt ja schon an ein kleines Wunder, dass bei der Pop-Lastigkeit der externen Songwriter lediglich eine einzige Ballade auf dem Album landete. Kaum entschwindet der Engel, holen kreischende Affen und schnelle Gitarrenriffs den Zuhörer umgehend zum karibisch beeinflussten Titeltrack "Permanent Vacation" ab. Äußerst unterhaltsam wirkt dabei die eher unübliche Kombination von Steel Drum und Mundharmonika.
Weniger experimentell geht es mit einem Beatles-Song weiter. Aerosmith wagten sich schon Jahre zuvor an Material der legendären Briten. 1978 spielten sie beispielsweise ein großartiges Cover von "Come Together". Auf diesem Album erledigen sie ihren Job mit "I'm Down" in einer klassischen Rock'n'Roll-Version noch einmal ebenso grandios.
Den Ausklang bildet "The Movie", ein gewaltiges, unerwartet überirdisch anmutendes Instrumentalstück, das angetrieben von Tom Hamiltons Bass wunderbar ohne Tylers Stimme auskommt. Einige gut gesetzte synthetische Effekte und stimmungsvolle Monologe in unbekannter Sprache unterstützen die bombastische Atmosphäre.
Mit "Permanent Vacation" gelingt Aerosmith drei Jahre nach ihrer Wiedervereinigung auch das kommerzielle Comeback. Allein in den USA verkauft sich die Scheibe über fünf Millionen Mal. Zwar soll die Band mit "Pump" und "Get A Grip" noch mehr Einheiten absetzen. Die perfekt aneinander gereihte Kombination aus klassischen Rocksongs, angerautem Pop und einer wohl dosierten Portion Blues auf "Permanent Vacation" stellt sich aber als Blaupause heraus, an der sie sich die folgenden Jahre orientieren. Der Bitte um ein Autogramm ist ja auch viel angenehmer nachzukommen als der Forderung nach einer Urinprobe.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
11 Kommentare mit 3 Antworten
Ja es ist wirklich ein herausragendes Album von Aerosmith
Dieser Kommentar wurde vor 6 Jahren durch den Autor entfernt.
Nach "Done with Mirrors" kam für mich nichts mehr relevantes
Macht mal nen Van Halen-Stein (nur mit David Lee Roth am Mikro, iskla!)
Mir als kein besonderer Aerosm. Fan gefällt die Get a Grip am Besten. Da nervt auch die leicht zu hohe Stimme nicht so. Diese 3/5.
Aus meiner Sicht haben Aerosmith, nie die Grenze zu tatsächlicher Legende überschritten, mit keinem Album. War mir immer zuviel "Amiland Blinkblink Kommerzdreck". Steven Tyler sein Organ ist auch überschätzt, der erreicht zwar so einige Höhen, meist aber nicht sauber. Und das nervt dann irgendwann,gerade wegen der Eigenständigkeit der Stimme. Hört, Hört der kreischt dir die Eingeweide weich, ich muß kacken!