laut.de-Kritik
Der alleinige Grund für die Überbevölkerung.
Review von Sven KabelitzWir leben in populistischen Zeiten. Deshalb gibt es auch im Musikjournalismus nichts Wichtigeres, als sich auf die klaren Fakten zu beziehen, statt wirre Geschichten zu erzählen und wilde Theorien aufzustellen. Zieht man all dies in Betracht, lässt sich bei einem nüchternen Blick auf die neusten Untersuchungen wohl zweifelsfrei folgende Behauptung aufstellen: Al Greens Musik allein trägt die Verantwortung für einen nicht unerheblichen Teil der heutigen menschlichen Überbevölkerung. Wenn Sie also weiterhin ein selbstbestimmtes Leben führen möchten, Ihre Wohnung nicht mit irgendeinem dahergelaufenen Drecksbalg teilen möchten, oder wenn Sie einfach keinem weiterem Menschen das Leid, in das wir gerade sehenden Auges schlittern, antun möchten, sollten Sie einen großen Umweg um "Let's Stay Together" machen.
Dabei war dieser Kelch kurz davor, an uns vorbei zu gehen. Al Greens erste Alben, das Debüt noch unter seinem eigentlichen Nachnamen Greene veröffentlicht, ließen den kommenden Erfolg höchstens vage erahnen. Der Vorgänger "Al Green Gets Next To You" wies mit dem von Green selbst geschriebenen Hit "Tired Of Been Alone" erstmals in die Richtung, in die die Reise des Reverends bald gehen sollte. Jedoch durchzogen die Longplayer noch immer seltsame Nummern wie das The Doors-Cover "Light My Fire".
Ohne die Beteiligung des Produzenten, Trompeters, Bandleaders und letztlich auch Pedanten Willie Mitchell hätte sich Green wohl nie zu dem Superstar entwickelt, der er in den frühen 1970ern war. Mitchell hatte 1970 nach dem Tod Joe Cuoghis das von diesem mitbegründete Label Hi Records übernommen und erkannte schon früh das Potenzial des Sängers. Klang dieser auf ihrer ersten Zusammenarbeit "Green Is Blues" noch wie ein Best-of der damals erfolgreichen Soul-Sänger, zauberte Mitchell in unzähligen, nicht immer von Harmonie bestimmten Stunden nach und nach Greens eigene Stimme hervor. "Ich habe versucht, wie Jackie Wilson, Sam Cooke und Wilson Pickett zu singen", sagte Green 2003 der New York Times. "Er sagte: 'Singe wie Al Green'."
Was für einen Leckerbissen Mitchell unter der schützenden Schicht fand, zeigte sich erst auf Greens vierten Album "Let's Stay Together" in seiner vollen Pracht. Mit erstaunlichem Timing wispert der Reverend, schreit, wechselt zwischen den Stimmlagen und beweist dabei leidenschaftliche Dynamik und Anmut. Dabei springt er einem mit seinem Können nicht ins Gesicht, sondern setzt es sparsam und gezielt ein. Vom ersten "I, I'm so in love with you / Whatever you want to do is alright with me" an sorgt Green dafür, dass sich "Let's Stay Together" wie ein Nach-Hause-Kommen anfühlt.
Statt einer sich ständig ändernden Mischung aus Studiomusiker:innen, stand Green während der Aufnahmen eine gewachsene Band zur Seite, mit der er, von wenigen Umbesetzungen abgesehen, über die nächsten Jahre hinweg konstant zusammenarbeitete. Das Herzstück bildeten die drei Hodges-Brüder Leroy (Bass), Charles (Tasten) und Tennie (Gitarre). Hinzu kamen die beiden Schlagzeuger Howard Grimes und der am Songwriting von "Let's Stay Together" beteiligte Al Jackson Jr. (Booker T. & the M.G.'s). Die Memphis Horns (Wayne Jackson, Andrew Love, Ed Logan, James Mitchtell) fungierten als Bindeglied zwischen dem klaren Rhythmusarrangement und Greens Gesang. Die Backgroundvocals übernahmen Charles Chalmers, Donna Rhodes und Sandra Rhodes.
Gemeinsam näherten sie sich der Perfektion, hielten aber gerade weit genug Abstand, um am Leben zu bleiben. Steckte man schließlich all diese Puzzleteile zusammen, fügten sie sich zu einem der besten Soul- und R'n'B-Alben der 1970er, in dem immer wieder der Funk aufblitze.
Auf dem Papier entstand der Titeltrack "Let's Stay Together" in kürzester Zeit. Green kam ins Studio, in dem Mitchell und Jackson Jr. An Melodien herumprobierten. Inspiriert von dem, das er vorfand, schrieb er innerhalb einer Viertelstunde den fertigen Song. Weitaus komplizierter gestalteten sich die Aufnahmen der Schmachtperle. Um die 100 Takes sollen dafür nötig gewesen sein. Green wollte die Vocals maskuliner, Mitchell gefühlvoll. Der Streit darüber führte so weit, dass der Sänger während den Aufnahmen beleidigt in seine Corvette stieg und mit durchdrehenden Reifen davonfuhr. Nur, um kurze Zeit später zurückzukommen und die Aufnahme zu liefern, die wir von "Let's Stay Together" kennen. Seinen einzigen Nummer-eins-Hit und der Song, der mit Hilfe von Martyn Ware (Human League, Heaven 17) Tina Turners Karriere wiederbelebte und der prominent den "Pulp Fiction"-Soundtrack schmückt.
Da dem Produzenten bewusst war, dass Green am besten vor Publikum funktionierte, trommelte er um die fünfzig Leute aus der Nachbarschaft zusammen und ließ Wein ausschenken. Gemeinsam genoss man den mehr oder weniger edlen Tropfen und ließ sich zusätzlich von dem zukünftigen Meilenstein berauschen. "Überall auf dem Boden lagen all die Besoffenen herum und tranken Wein, während wir die Platte aufnahmen", erklärte Mitchell in einem späteren Interview.
"La-La For You" führt den Weg des Openers zunächst weiter. Begleitet von behutsamen Streichern flirten Groove und der zarte Gesang, während die Bläser wie ein Anstandswauwau über die drei wachen und die Ménage-à-trois mit erhobenem Zeigefinger ermahnend unterbrechen. "So You're Leaving Me" beginnt als von Herzschmerz getragener Soul voll Pathos, ändert seine Ausrichtung dann jedoch in Richtung R'n'B und Funk, während Green zu einem bis ins letzte Detail ausgefeiltem Arrangement scattet und verzweifelt fragt: "Who do you love?"
Kurz bevor die Aufnahmen begannen, landeten die Bee Gees mit der traurigen Schunkelnummer "How Can You Mend A Broken Heart" vom Album "Trafalgar" ihren ersten Nummer-eins-Hit in den U.S.A. Acht weitere sollten in dem Jahrzehnt folgen. Green und Mitchell senken für ihre Version das Tempo ab, setzen an dessen Stelle das große Drama. So formt eine gefühlvolle Ballade das eigentliche Zentrum des Longplayers.
In einer außergewöhnlichen Performance füllt der Sänger - im deutlichen Gegensatz zu den Gibb-Brüdern - mit seiner hervorragenden Phrasierung jedes einzelne Wort mit Schmerz, ohne es jedoch zu übertreiben. Tief aus der Seele kommend, hebt er den Song auf ein neues Niveau. Wenn einmal wieder eine Person über Cover-Versionen wettert, liefert "How Can You Mend A Broken Heart" ein glänzendes Beispiel dafür, warum sie jede Berechtigung haben. Es liegt am Ende immer daran, was die Künstler:innen von sich selbst einfließen lassen, und Green gibt sich dem Lied ganz hin.
Mit "Let's Stay Together" legte Al Green einen unheimlichen Run hin, veröffentlichte bis 1975 ganze sechs Alben, die es auf die Pole der amerikanischen R'n'B-Charts schafften. Bis heute heimste er elf Grammy-Awards ein. In Deutschland interessierte sich hingegen niemand für ihn. Nicht ein einziges seiner Werke landete je in der Hitparade. Erst 1988 erreichte er zusammen mit Annie Lennox mit dem aus dem Film "Die Geister, die ich rief …" stammenden "Put A Little Love In Your Heart" die Top 20. Ein Jahr später sollten es zusammen mit Arthur Baker und "The Message Is Love" sogar die Top 10 sein.
Green dürfte es aber verkraftet haben, in Reinhardmeyhausen nie zu den großen Stars gehört zu haben. Sein Hauptaugenmerk lag eh schon lange nicht mehr auf der Musik. Warf ihn sein tiefreligiöser Vater einst aus der Wohnung, weil er Jackie Wilson hörte, fand Green 1973 selbst zu Gott. Seine Entscheidung, die Musikkarriere hinter sich zu lassen, stand bereits fest, als ihm seine Feundin Mary Woodson einen Heiratsantrag machte. Er lehnte ab, woraufhin sie ihn im Bad mit heißer Grütze übergoss. Noch während er im Krankenhaus lag, erschoss sie sich und hinterließ einen Brief mit den Worten: "Ich will nur mit dir sein, Al. Auf Wiedersehen."
Als Green dann einen Sturz von der Bühne nur knapp überstand, reichte es ihm offenbar: Er wurde Prediger, nahm lange Zeit nur noch Gospel und religiöse Musik auf. Sehr zum Unmut Mitchells: "Was wir brauchen, ist nicht Gott. Wir brauchen ein paar gute Songs." Über zwanzig Jahre später fanden die beiden auf "I Can't Stop" wieder zusammen.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
1 Kommentar
Das Lied Let's Stay Together von Al Green ist ein Klassiker der Soul Musik.