laut.de-Kritik
Mit Penis in der Hand durch phantasmagorische Breakbeatsymphonien.
Review von Martin TenschertMit "Love Over Will" legt der schottische Minimalist Alex Smoke ein atmosphärisches Album vor. Und das auf "R&S" Records, einer der bedeutendsten Institutionen hochwertiger House-Musik. Auch das Cover erregt Aufsehen, wurde bei manchen Portalen gar als zu explizit angesehen. Der Betrachter sieht darauf einen sechsarmigen Frauenkörper, der einen Penis sein Eigen nennt und diesen auch gleich in Form bringt. Der Kopf oder die Köpfe winden sich verzerrt wackelnd dem Himmel entgegen. Nun ja, lassen wir das mal so stehen und wenden uns dem doch recht großen Track-Spektrum des Albums zu: Dreizehnmal knarzender Micro-Music vom Meister aus Glasgow, das kann nur Glück bringen.
"All My Atoms" bildet einen melancholisch dubbigen Startschuss. Tiefer gepitchte Vocals mit einem schleppenden Breakbeat tragen dennoch die unverkennbare Handschrift des ehemaligen Vakant-Künstlers. Winzige Soundschnipsel, Feinheiten, Flatterndes und Flirrendes. Und doch scheint alles am Platz zu sein. Der Sitz im Lied quasi. Darüber hinaus hat Smoke bei diesem Longplayer wohl offensichtlich Lust auf Gesang gehabt, fast jeder Track profitiert davon, auch wenn die Vocals selten ohne Effekte auskommen. Aber nicht nur der Demo-mäßigen Grundstimmung wegen erinnert der Gesang in Tracks wie "Dire Need" an Dave Gahan. Wäre mal interessant zu hören, wie Alex Smoke Depeche Mode remixen würde. Obwohl, stimmt, gab es ja schon mal ("It's No Good").
Alex aber dennoch er selbst und betört uns auf "Fall Out" mit einer klerikal, ja gregorianisch anmutenden Soundorgie, die fast ohne Rhythmik auskommt, aber umso mehr Bombast entfaltet. Auch andere Hochkulturen treten zumindest in Zitaten auf. So darf nun zum Beispiel Shakespeares "Fair Is Foul" auch den Namen eines Tracks des virtuosen Glasgowers zieren.
Beats spielen keine große Rolle, aber müssen sie ja auch nicht zwangsweise in elektronischer Musik. Umso überraschender allerdings für Alex, der bei seinen Produktionen immer auch mit einem Bein auf dem Dancefloor steht. Stücke wie "Whitening", mit ihren kruden Klang-Kollagen kommen aber auch gut ohne aus. Dann gibt es aber noch "Mississippi Yearning", eine phantasmagorische Breakbeatsymphonie, die beklemmend schön jene Momente illustriert, wenn man in fremden Häusern den Lichtschalter nicht finden kann.
"Love Over Will" ist ein großartig und stimmiges Werk. Obwohl es weitgehend elektronisch produziert ist, wirkt es orchestral und erinnert an moderne Klassik oder auch Programmmusik, ohne dabei zu 'monokelig' rüberzukommen. "It's Anything But No Good."
2 Kommentare mit einer Antwort
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Danke für die Rezi, Ihr dürftet hier ruhig wieder etwas mehr seriösen Techno und House rezensieren. (Nein, ich meine nicht EDM und "Deephouse" a la Schulz und co.)
Das war auch schon mal besser hier!
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