laut.de-Kritik
Ohrwürmer, lauernde Tragödien, funkelnde Popsterne.
Review von Manuel BergerWas Alice Merton innerhalb der zwei Jahre seit Release ihrer ersten Solosingle "No Roots" erreicht hat, verdient Respekt. Ohne ein kontrollierendes Label, stattdessen mit eigener Firma und Studienkumpel arbeitete sie sich von Blog-Hype über deutsche Vodafone-Werbung zu europäischen Charterfolgen und schließlich amerikanischen Late Light Shows hoch. Zumindest oberflächlich betrachtet spielte dabei der eine Song die Hauptrolle – Merton als One-Hit-Wonder abzustempeln, wäre, besonders zu diesem frühen Zeitpunkt ihrer Karriere, trotzdem eher ignorant. Zumal sie auf "Mint" fast ein Dutzend Gegenargumente liefert und "No Roots" nicht einmal den Höhepunkt ihres Debütalbums darstellt.
Ginge es nur um Singles, wäre die stilistische Geschichte der multinationalen Sängerin bis dato schnell auserzählt: "No Roots", "Hit The Ground Running", "Lash Out", "Why So Serious" sowie etwas abgeschwächt die frisch veröffentlichten "Funny Business" und "Learn To Live" – sie alle prägen zuvorderst energisch-tanzbare, von starken Basslines vorgegebene Rhythmen und passend knackige Hooks. Das ist Mertons öffentliche Nische – sie schillert zwischen Michael Jackson und Florence And The Machine, mit ein bisschen Killers und Kooks und genau der richtigen Prise aktuellem Chartpop, um oben mitzuspielen, aber nicht an Tiefe einzubüßen. Hier fühlt sie sich wohl, landet mit 100-prozentiger Treffsicherheit Ohrwurmrefrains.
Die Perfektionierung dieses Songansatzes führt allerdings dazu, dass sich gewisses Routinegefühl beim Hören breitmacht – auch wegen der Lehrbuchstrukturierung einiger Songs. So wirken die Funk/Indie-Rock-Riffs zwar zu Beginn jeder Nummer wild und frei, werden aber nach und nach stärker ins Popsongkorsett eingegliedert und dadurch glatt geschliffen, sodass sie mehr wie Beats funktionieren. Das freut EDM-Remixer, verleiht unter anderem "Funny Business" insgesamt betrachtet aber Statik und nimmt Dynamik.
An der initialen Kraft des "Beat It"-Gitarrengrooves von "Learn To Live" und der hymnischen Qualität euphorischer Gesangsmelodien desselben Tracks sowie bei "Lash Out" prallen solche Probleme zum Glück wirkungslos ab. Beide Fälle würden übrigens hervorragend zu "How Big, How Blue, How Beautiful" passen.
Doch wie angedeutet, erzählt Merton auf "Mint" eben noch weit mehr als "nur" ihr Lieblingsschema. Einige der Highlights stehen gar in totalem Stimmungskontrast zu den bereits erwähnten Stücken. Die Breakup-Ballade "Honeymoon Heartbreak" kommt ohne dominante Bass- und Schlagzeug-Patterns aus, verlässt sich anfangs nur auf verschwommene Keyboard-Textur, zartes Klavier und getragene Vocalbögen à la Lana Del Rey. Am Ende reißt die Wolkendecke auf und der Song explodiert in einem Schlussklimax mit Chorunterstützung.
Ihre vielleicht ausdrucksstärkste Facette präsentiert Merton in "Speak Your Mind". Hier verpackt sie ihren Groove nicht in eine pushende Uptempo-Nummer, sondern in eine lauernde Tragödie, die irgendwann in einem beinahe postrockig/shoegazigen Outbreak gipfelt. Die Sängerin selbst überzeugt mit eindringlichem Singsprech. Noch kraftvoller macht die musikalische Reflexion der Lyrics sowohl den instrumentalen als auch den gesanglichen Ansatz.
Als letzte Zutat im Mixed Bag "Mint" bleiben schließlich "2 Kids" und "Homesick". Beide Tracks rückt Merton in die Mitte ihres Spektrums. Mit Basslines bzw. Handclaps sind die Bezüge zu den aufbrausenderen Stücken klar, balladeske Melodiestrukturen bleiben ebenso intakt. Mit dieser Vielfalt und unbedingtem Wille zum eigenen Stil bestätigt Alice Merton ihre aussichtsreiche Position in der heutigen Poplandschaft. "Mint" zeigt trotz kleiner Mäkel klar ihre Fähigkeiten und bildet als Debüt eine gute Grundlage, um darauf – hoffentlich! – eine nachhaltige Karriere aufzubauen.
5 Kommentare
Schöne Rezi, macht Lust auf das Album...
übrigens: der Plural von Makel ist Makel, nicht Mäkel ...
https://www.duden.de/rechtschreibung/Makel
Sehr cooles Album auf jeden Fall! Fand die singles ja schon toll, aber die neuen Facetten auf Albumlänge sind fantastisch gelungen.
Cool, bin schon sehr gespannt Habe sie vor ca. Eineinhalb Jahren live gesehen und hat mich vollstens überzeugt
Ich mag sie eigentlich, aber auf Albumlänge ist ihre Musik und Stimme dann doch sehr anstrengend.
Starkes Debüt, tolle Arrangements, gutes Zusammenspiel von Bass und Drums. Spannend bleibt, was auf dem zweiten Album passieren wird, da das Album zwar stark, aber dann doch musikalisch sehr einseitig ist.