laut.de-Kritik

Die vielen Facetten der Alicia Keys.

Review von

Alicia Keys bietet nicht viel Angriffsfläche. Sie hat eine Underdog-Vergangenheit und sich aus dem problematischen New Yorker Stadtteil Hell's Kitchen in die Charts gekämpft. Sie besitzt eine fantastische Stimme, ist eine begabte Pianistin und vermutlich wird jeder, wenn auch zähneknirschend, mindestens einen ihrer Songs als verdienten Hit anerkennen müssen.

In den letzten Jahren machte sie auf sich aufmerksam, in dem sie häufig auf Make-Up verzichtete und sich damit Schönheitsidealen widersetzte. 15 Grammys sind der verdiente Lohn für eine der beständigsten Pop-Musikerinnen unserer Zeit. Genau deshalb ist es schade, dass ihr siebtes Album "Alicia" vor allem an einem Überangebot an Songs krankt. Die Platte bringt alles mit, das satt und rund macht. Nur eben auch nicht mehr.

Einen Song wie "Love Looks Better" hätte es schlicht nicht gebraucht. Anfangs macht der Track noch Laune, arbeitet sich bis zu einem Keys-typischen Refrain vor, lässt sein Potential dann aber in einer Mitgröl-Melodie versickern. Auch "Show Me Love" und "You Save Me" versanden eher in den langweiligeren Seiten des Alica Keys-Songbooks. Ersterer versucht mit perkussivem Gitarren-Spiel und laszivem Duett-Gebalze vor allem sexy zu wirken, scheitert darin aber an seiner Aufdringlichkeit. Der Text funktioniert wiederum gut: "Go 'head, show me love, like we never done it / Oh, I got you runnin' every time I give you some".

"You Save Me" wiederum klingt wie eine der unaufgeregten Piano-Balladen, die man im Back-Katallog der Sängerin zuhauf findet. Von diesen drei Titeln abgesehen ist "Alicia" ein sehr gutes Album, das mit seinem Mix aus verfunktem R'n'B und smoothem Soul überzeugt, während Keys weiter daran arbeitet, zugänglich zu sein. Ursprünglich sollte das Album bereits im März erscheinen, dann im Mai, nun ist es tatsächlich da. Der Titel suggeriert bereits, dass dieses Werk ein Abbild der Künstlerin sein soll, das Cover zeigt Keys von allen Seiten. Anfang des Jahres hat sich die Sängerin in einer Biographie nahbar gemacht, hier beschreitet sie diesen Pfad nun weiter. Textlich liefert die Amerikanerin eine ganze Bandbreite von Themen.

Im Opener "Truth Without Love" hadert sie mit einem nicht näher definierten Feind, vielleicht ist es sie selbst, vielleicht sind es ihre Kritiker. Der Song scheint keiner klaren Struktur zu folgen und könnte auch das Eröffnungsstück eines R'n'B-Musicals sein, so glamourös wirkt er mit seinen pompösen Streichern. Eine sinnige Einstimmung auf das Album, weil sich hier Mainstream-Sounds mit weniger massentauglichem Songwriting verbinden. Es sind genau die Momente, in denen Keys diese Verknüpfung gelingt, die ihre Stücke besonders machen.

Es folgt der Highlight-Track "Time Machine", der wie der Prototyp des Funks der Zukunft klingt. Mit einem groovenden Beat und einem lässigen Basslauf schlurft das Stück in eine Hook, in der ein grummelnder Synth-Sound begeistert. Im Text plädiert Keys für mehr Sorglosigkeit: "No, we can't rewind, life ain't no time machine / But once you free your mind, there's beauty in everything". Für den Reggae-Track "Wasted Energy" konnte sie den tanzanischen Musiker Diamond Platnumz gewinnen, der den Titel in seiner Landessprache zu einem stimmigen Ende führt.

Ed Sheeran zeichnet als Co-Songwriter für "Underdog" verantwortlich, den Einfluss des Briten hört man schon in den ersten Gitarren-Anschlägen. Der Song gönnt sich zwar einigen Kitsch, kommt aber vor allem textlich wie ein solider Pop-Titel daher: "So I sing a song for the hustlers trading at the bus stop / Single mothers waiting on a check to come / Young teachers, student doctors / Sons on the frontline knowing they don't get to run". Eine sympathische Anerkennung all derer, die selten besungen werden. Politischer wird Keys in "Perfect Way To Die", der zwar musikalisch etwas dick aufträgt, lyrisch aber einen eindringlichen Blick auf Polizeigewalt in den USA wirft.

Mit "Jill Scott" gelingt ihr eine gelungene Huldigung der Jazz-Sängerin, die in dem Track auch selbst vorbeischaut. Über einen jazzigen Beat wechseln sich die beiden ab und lassen lässig mitnicken. Es entsteht tatsächlich der Eindruck, dass man hier Alicia in all ihren Facetten hört, dass die Sängerin all ihre musikalischen Interessen auf diesem Album untergebracht und sich dazu noch spannende Gäste eingeladen hat. Sampha und Tierra Whack seien hier besonders hervorgehoben. Dass gleichzeitig vielleicht nicht allen alles gefällt, ist verkraftbar, es befinden sich noch viele Pop-Perlen darunter.

Trackliste

  1. 1. Truth Without Love
  2. 2. Time Machine
  3. 3. Authors Of Forever
  4. 4. Wasted Energy feat. Diamond Platnumz
  5. 5. Underdog
  6. 6. 3 Hour Drive feat. Sampha
  7. 7. Me x 7 feat. Tierra Whack
  8. 8. Show Me Love feat. Miguel
  9. 9. So Done feat. Khalid
  10. 10. Gramercy Park
  11. 11. Love Looks Better
  12. 12. You Save Me feat. Snoh Aalegra
  13. 13. Jill Scott feat. Jill Scott
  14. 14. Perfect Way To Die
  15. 15. Good Job

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2 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Ha, das Tiny Desk Konzert jetzt erst entdeckt, nice!

  • Vor 3 Jahren

    Wunder mich dass ich hier noch gar nicht kommentiert habe. Grauenhaftes Album, als langjähriger Alicia Fan eine riesen Enttäuschung. Mit "Here" gab es noch mal kurz Hoffnung dass es wieder bergauf geht, aber es war wohl ein letztes Aufbegehren dessen, was da noch im Kern übrig geblieben ist, bevor sie sich wohl nun komplett und unwiderruflich dem künstlerischen Tod hingegeben hat. Einfach beschämend was aus dieser Frau geworden, nicht nur musikalisch, auch lyrisch und darüber hinaus auch politisch. Biedert sich mittlerweile so sehr dem Mainstream an, da ist der kommerzielle Misserfolg nur das was sie verdient hat.
    "Time Machine", "3 Hour Drive" und "So Done" sind immerhin so weit hörbar ohne dass man würgen muss (ersterer sogar immerhin ein vollwertig guter Song), der Rest der Platte ist zum Fremdschämen peinlich.

    • Vor 3 Jahren

      Alter, Bruder Robbe.

      Mir ist das Album komplett durchgegangen, noch null gehört. Da habe ich nach Deinen Aussagen jetzt auch nicht mehr so zwingend Bock. Werde es natürlich dennoch tun, Alicia immernoch eine der obersten Göttinnen.

      "Here" fand ich von vorne bis hinten absolut großartig und auch überhaupt nicht kommerziell anbiedernd, im Gegenteil, meist eher sperrig.

      Ich fand ja eher die 2009er und 2012er Scheibe nicht so pralle, wurde dann aber mit dem grandiosen "VH1-Storytellers" wieder abgeholt und 2016 mit "Here" zurück auf ihrem Thron. Bin also gespannt, ob ich bei Deinem vernichtenden Urteil mitgehen werde..

    • Vor 3 Jahren

      Hör das Album! Aber Kotztüte bereithalten.