laut.de-Kritik
Keine Per-, sondern eine echte Hörformance.
Review von Martin MengeleSchlüpfrige Ansagen aus der 0190er-Retorte besitzen eine magische, unfreiwillige Komik. Dem Außenstehenden bieten sie einen beinahe privilegierten Einblick in die Abgründe einer Gesellschaftsposse und zeigen mit dem Finger auf jene, die sich daran ergötzen. Lachen darf man trotzdem. Sogar tote Stimmen wie die Zeitansage haben einen hohen Wiedererkennungswert, auf den ich mich einigen könnte. Aus all diesen Fragmenten der modernen Telekommunikation eine Klangcollage zu basteln ist nicht unbedingt neu, kann aber sehr reizvoll sein. Vor allem, wenn es sich um ein "Ammer & Console-Produkt" handelt.
Ein Hörspiel dagegen verliert seinen Reiz mit der falschen Besetzung der Stimmen bzw. Hörspieler. Die Japanerin Hanayo bringt es fertig, ihre auf Embryo-Tonlage geschrumpfte Vorwahlnummer-Ansage in einen Jump'N'Run-Rhythmus zu steigern, um dann in eine Unterhaltung (oder Slam Poetry-Dialog?) mit ihrem crackinfizierten Liebhaber (-sager) zu münden. Dieses Thema zieht sich für den nicht teilhabenden Hörer in beklemmender Wiederholung durch den Mittelteil der Session. Two is not a couple, it's a cramp. Genial ist es allemal. Und mag es die Handschrift des von den "Kriegsblinden" (ein Traumzustand) hochgehaltenen Hörspielproduzenten Andreas Ammer sein, ich vermag hier kein Hörspiel zu erkennen, doch einen seltenen und virtuellen Kunstgegenstand - mehr eine Hörformance.
Martin Gretschmann gehört zu den Wenigen, die mit solch einer Kunstform einen wertvollen Beitrag leisten können. Es gelingt ihm, im Chaos eines hochfrequenten Handystörgeräusches noch einen schillernden Groove herauszuhören, und daraus einen rauschartigen Kinderzählreim ("Secret Number") zu fummeln. Eine Tanzflächenerzählung, in Songs verwunden und verwoben. Dazu das Stimmengewirr aus dem Nirwana der Vermittlungscomputer - eine Johannesoffenbarung der Neuzeit.
Dazwischen ("Dial Sex") bricht in angenehmer Regelmäßigkeit der tiefe Beat von Christoph Brandner, verknüpft mit den zwei Bassbändern aus den Händen von Michael Schwaiger (E-Bass) und Axel Fischer (Synthetik-Bass), die es zusammen "mit einer vollbusigen Rettungsschwimmerin treiben". Da bleibt mir nur ein "Yeeehaaa Cowboys!" Zusammen erzeugen sie als apokalyptische Reiter eine ansteckende Schwingung über der Tanzfläche, die 1999 im Tingeltangel in Köln wahrscheinlich ein mittleres Veedelbeben hervorgerufen hat. Was gäbe ich, hätte ich bei dieser Veranstaltung teilhaben können. Lieber WDR (zuständig für Produktion), eine DVD muss her, aber pronto!
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