laut.de-Kritik
Funky Straßenpoesie im Stile eines Gil Scott-Heron.
Review von Michael SchuhAuch schon wieder sechs Jahre her seit ich angesichts des nicht enden wollenden Outputs von Andre Williams zu der Feststellung gelangte, dass der Ex-Drogenbaron von Ike Turners Gnaden ein Cabriolet als Fortbewegungsgerät einem Gehwagen sicherlich vorzieht. "I Wanna Go Back To Detroit City" ist sein sechstes Studioalbum in neun Jahren. Der Mann ist 79 Jahre alt. Fraglos: Zum Sterben hat Andre keine Zeit. Selbst wenn er sich allmählich mit diesem Thema auseinanderzusetzen scheint, befindet sich unter den neuen Songs doch einer mit dem Titel "Meet Me At The Graveyard".
Und weil er sicher selbst nicht damit gerechnet hat, dieses hohe Alter zu erlangen, beschäftigen ihn auch Institutionen wie die "Hall Of Fame". Zu relaxten Blues-Licks erzählt er seine Story: "After 70 years and some / I've often been asked / Andre, why haven't you been invited to the Hall of fame?" Da muss der Befragte selber erst mal nachdenken: "Could it be my earrings? / or because I've made love to a few white girls?", bevor er dann zu einem wahrscheinlicheren Erklärungsversuch übergeht: "It could be because I never had a hit." Bitte? "But that's a lie / I've had a few." Eben.
Ansonsten möchte man Williams die Worte des verstorbenen, ebenfalls verkannten Genies Lee Hazlewood zurufen: "Ich frage mich immer, wenn ich die ein oder andere Gruppe im TV sehe, wie sie sich für die Auszeichnung bedanken und grinsen, was ihnen das eigentlich bringt. Ruhm? Ehre? Lächerlich. Da hocken alte Menschen in der Jury, die sich toll finden, indem sie irgendwelche berühmten Leute einladen. Rock'n'Roll Hall of Fame, dass ich nicht lache."
Nostalgie ist das Feuer, das ihn dieses Mal antreibt. Andres neue Platte ist eine Liebeserklärung an Detroit, jene Stadt, in der Williams in den 50er Jahren bei Fortune Records mit Hit-Singles wie "Bacon Fat" und "Jail Bait" seine großen Erfolge feierte und nebenbei seinen Sprechgesang erfand, bevor es ihn später als Produzent und Komponist zu Berry Gordys Motown-Label zog.
Einige bekannte Musiker trommelte Willliams hierfür zusammen: Gitarrist Matthew Smith, der auch in Rodriguez' Band mitwirkt und die Platte auch produzierte, Dennis Coffey von den Funk Brothers, Dan Kroha von den Demolition Doll Rods und Cat Power-Drummer Jim White.
Zusammen feiern sie den Funk als Treibstoff des Lebens und fusionieren ihn mit Soul, was ihnen am überzeugendsten in "Detroit (I'm So Glad I Stayed)" gelingt, einer seiner besten Songs der letzten Jahre. Bevor der Motor richtig aufheult in Detroit City, lässt Andre sein Publikum gleich mal an unumstößlichen Wahrheiten teilhaben: "I'm a democrat with a republican attitude / I'm for everybody". The (old) sexy MF is still alive.
Auch "I Wanna Go Back To Detroit City" slappt sich schön in den Vordergrund und zeigt den Dirty Soul-Survivor in Hochform. Insgesamt ist es eine reine Freude, dem Mann zuzuhören, der eine durch Bacardi-Überdosis verursachte Alkoholvergiftung, eine Lungenentzündung und Herzprobleme überlebt hat, und uns nun an seiner Straßenpesie im Stile eines Gil Scott-Heron teilhaben lässt. "I still consider myself a winner", berichtet uns der Mann ohne Krankenversicherung an einer Stelle. Er hat ja so recht.
3 Kommentare mit einer Antwort
Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich noch nie etwas von ihm gehört habe. Das wird gleich geändert! Zumal ich ein großer Heron-Fan bin...
Is keine Schande, den kennt kaum einer, außer denen die ihn in den 90ern/00ern via Jon Spencer oder The Dirtbombs gefunden haben. Tragisch aber, dass den auch bekannte Seniorenförderer wie Jack White und Co. übersehen
Dieser Kommentar wurde wegen eines Verstoßes gegen die Hausordnung durch einen laut.de-Moderator entfernt.
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