7. November 2017

"Donald Trump ist nur das Symptom"

Interview geführt von

Seit fast 25 Jahren halten Anti-Flag nun schon die geballte Faust zum Protest in die Luft. Dass von eingeschlafenen Gliedmaßen dabei keine Spur ist, haben sie jetzt mit ihrem neuen Album "American Fall" bewiesen. Bassist Chris Barker sprach mit uns über den wachsenden Rechtspopulismus, die Verantwortung von Journalisten und den großen Major-Schwindel der Band.

Ich habe mich just an das eingängige Gitarrenlick gewöhnt, das im Wartebereich des Telefonkonferenzraums ertönt, als sich ein hörbar kränkelnder Chris Barker zu Wort meldet. Der Bassist von Anti-Flag steckt gerade im Kreislauf zwischen Tour und Promo-Marathon zur neuen Scheibe "American Fall", wobei es ihn ziemlich erwischt zu haben scheint. Trotz Heiserkeit ist Chris #2 jedoch nicht kurz angebunden und plaudert ausgiebig über die neue Platte, die mit ihrem Cover und den Inhalten brandaktuell daherkommt.

Hallo Chris, wie geht es dir?

Ich bin ein wenig angeschlagen. Wenn du die ganze Zeit tourst, wachst du einfach irgendwann auf und bist krank. (lacht)

In unserem letzten Interview hast du gesagt, dass es lustig wäre, wenn Anti-Flag ein leichtherziges Party-Album machen würden. Ich nehme mal an, dass "American Fall" nicht der Party-Smasher geworden ist, den wir uns insgeheim gewünscht haben.

Leider nicht. Es ist aber sicherlich die optimistischste Anti-Flag-Platte, die wir in den letzten zehn Jahren gemacht haben. Wenn Menschen wie Donald Trump in unser Leben treten, unser Schicksal kontrollieren und den Bezug zu unserer eigentlichen Gesellschaft verloren haben, wird einem die Fähigkeit, die eigene Zukunft bestimmen zu können, erst wirklich bewusst. Ich denke, deswegen fällt "American Fall" so optimistisch aus. Natürlich konzentrieren sich manche Texte auf die Tagespolitik. Aber wenn ich mir die AfD in Deutschland anschaue und die neofaschistischen Rechtspopulisten in Österreich und England, sind das alles Menschen, die nur an ihrer kleinen Macht festhalten wollen. Ich hoffe, dass bald ein Paradigmenwechsel auf der Welt passiert.

Das Cover von "American Fall" zeigt einen Totenschädel im Weißen Haus, der aus Geldbündeln gestapelt wurde. Damit spielt ihr offensichtlich auf Trump an. Wie stark bezieht sich das Album auf ihn und seine Politik?

Wir haben im November letzten Jahres angefangen, das Album zu schreiben und geglaubt, dass Hillary Clinton die nächste US-Präsidentin werden wird. Ich will nicht sagen, dass wir von Donald Trumps Sieg geschockt waren, denn nach der Wiederwahl von George W. Bush habe ich gelernt, der amerikanischen Politik nicht zu trauen. Wir haben aber gedacht, dass wir ein anderes Album schreiben, das sich eher mit dem Neoliberalismus und dem Status Quo der Demokraten beschäftigt. Ein paar Songs wie "Digital Blackout" stammen noch aus dieser Zeit. Darin geht es um PTBS (Posttraumatische Belastungsstörungen, Anm. d. Red.) bei Dronenpiloten. Barack Obama hat George W. Bushs Dronenprogramm auf ein nie da gewesenes Level aufgestockt und wir haben festgestellt, dass viele Veteranen eine spezielle Form von PTBS entwickeln. Die müssen nach einem Dronenangriff für Stunden auf den Bildschirm schauen und beobachten, wie Angehörige zu ihren toten Familien zurückkehren. Das ist eine sehr dramatische Erfahrung. Dann gibt es Songs wie "American Attraction", die sich direkt auf Trumps Wahlkampagne und seinen Sieg beziehen. In den USA glaubt man, dass sich unter Trump nichts ändern wird. Dass er nur ein Kater ist, der im Weißen Haus mit einem Wollknäuel spielt und nichts bewegen kann. Aber die Realität sieht so aus, dass er die Gesetze für den Umweltschutz zurückschraubt und der Waffen- und Ölindustrie die Tore öffnet. Einfach nur richtig böser Scheiß.

Er ist also nicht der Clown, den die Medien gerne zeigen. Dahinter steckt tatsächlich Substanz.

Das ist sozusagen die Aussage, die wir mit dem Album machen. Der Raubüberfall der Industrie auf die amerikanische Politik funktioniert hervorragend. Und die Republikaner sagen selbst, dass sie Donald Trump hassen und ihn nur benutzen, um ihre Steuerpolitik durchzudrücken. Das ist einfach nur ein weiterer Beweis dafür, wie böse die die US-Politik geworden ist und wie der Einfluss von Firmengeldern jeden Anschein von Demokratie zerstört. Da kommt aber auch unser Optimismus her. Diese Leute ficken sich nur selbst und legen sich in das gemachte Bett. Bald wird es einen drastischen Wandel geben.

"Obama hat uns am Ende enttäuscht"

Trump hat auf Twitter gegen Sportler gewettert, die sich während der Nationalhymne hingekniet haben. Ihr habt US-Flaggen verbrannt und aus den Überresten Schallplatten gepresst, nachdem Trump die Entziehung der Staatsbürgerschaft als Strafe für das Verbrennen der Flagge gefordert hatte. Wie waren die Reaktionen darauf?

(Lacht) Das ist echt komisch und ich erkläre dir mal, warum. Es passiert oft, dass wir Aktionen starten und die Lenker unserer Zeit lassen es dann so aussehen, als ob es absichtlich passiert wäre und wir es vorausgeahnt hätten. Im Zusammenhang mit Donald Trump gibt es dafür mehrere Beispiele. Zum einen das Verbrennen der amerikanischen Flagge. Zum anderen der Song "Racists" auf "American Fall", den wir direkt nach Charlottesville (Gewaltsamer Aufmarsch von Rechtsradikalen, Anm. d. Red.) veröffentlicht haben. Die Leute meinten: "Wow, Anti-Flag haben diesen Song direkt danach geschrieben und aufgenommen." Nein, der Song war bereits fertig. Menschen wie Donald Trump benutzen Immigranten, Flüchtlinge, Schwule, Lesben und Transgender als Sündenbock. Das mussten wir in der Geschichte schon vorher beobachten. Die beunruhigenden Vorzeichen waren also schon gegeben, bevor Trump den Faschisten in Charlottesville eine Bühne geboten hat. Wir wussten, dass das passieren wird, weil wir aufgepasst haben. Es dauert lange, eine LP zu machen. Es ist nicht so, dass Donald Trump einen Tweet raushaut und wir sagen: "Okay, lasst uns das heute noch angehen." (lacht) Das mit der Flagge wollten wir machen, weil der Nationalismus in Trumps Kampagne immer größer wurde. Es ging nur noch um die Flagge und wir wollten bekräftigen, dass sie nur ein Stück Stoff ist. Mit den Platten haben wir über 5.000 Dollar für Wohltätigkeitsorganisationen eingenommen, die Donald Trump hassen würde. (lacht) Es war ein kleiner Lichtblick, diese Idioten in ihrem eigenen Spiel zu schlagen.

Mit "The Terror State" habt ihr bereits ein Album gemacht, das heftig gegen die Bush-Regierung protestiert hat. War Trumps Wahl wie ein neuer Kunde, ein sicherer Job für euch in den nächsten vier Jahren?

Ich habe in Pittsburgh einen Freund, der für die große Zeitung dort schreibt. Einmal rief er mich an, um über unsere neue Platte zu sprechen. Und am Ende des Interviews fragte er: "Wo ist eigentlich der Moment, in dem ihr Donald Trump vor den Bus schmeißt?" Für mich und die Band ist Donald Trump aber das Symptom und nicht die Krankheit. Es ist für uns sehr wichtig, den Fokus darauf zu behalten. Wir dachten, dass George W. Bush die Krankheit war, und damit meine ich nicht nur die Band, sondern alle Menschen weltweit, die für Gerechtigkeit kämpfen. Wir dachten, dass wir nur ihn und sein Kabinett loswerden mussten und dass Barack Obama der Heilsbringer gewesen wäre. Obamas Inauguration war die erste, bei der ich nicht in der Protestzone stand und der Zuspruch und die Erleichterung waren überwältigend. Am Ende hat er uns aber enttäuscht. Das lag auch daran, weil wir uns so sehr auf seine Person konzentriert haben, dass seine Rechenschaftspflicht außer Acht gelassen wurde. Und ob Trump jetzt noch drei Tage oder drei Jahre im Amt bleibt: Ich hoffe, dass der oder die nächste sich wieder rechtfertigen müssen wird. Das heißt auch, dass wir alle besser werden müssen. Wir als Aktivisten müssen unsere Wut und unsere Frustration besser bündeln und du als Journalist musst bessere Storys schreiben und versuchen, dazu zu lernen und zu wachsen. Wenn wir das nicht schaffen, was zur Hölle machen wir dann hier?

"Unsere Egos sind viel kleiner geworden"

Das führt mich zu meiner nächsten Frage. Haben antifaschistische Künstler in diesen Zeiten mehr Verantwortung zu tragen, oder sogar den Rechtsruck zu spät erkannt?

Das kann ich nicht wirklich kommentieren. 2018 wird es uns 25 Jahre lang geben. Die Band heißt Anti-Flag und wir haben noch nie unseren Blick vom Weltgeschehen abgewendet. (lacht) Ich kann dir sagen, dass Donald Trump am achten November gewählt wurde, und am neunten war mein Handy komplett voll mit Nachrichten von Künstlern und Musikern, die mich gefragt haben: "Was sollen wir jetzt machen?" Zunächst war ich wütend und wollte fragen: "Wo zur Hölle wart ihr alle vorher?" Nachdem ich meinen Stolz heruntergeschluckt habe, habe ich festgestellt, dass es nicht darum geht, was wir oder andere unternommen haben, sondern wie wir in Zukunft vorgehen wollen. Wir müssen uns selbst treu bleiben und unsere Kunst die Geschehnisse reflektieren lassen. Es gibt da diesen Drang, alles unverzüglich durchziehen zu wollen. Die sozialen Medien haben dafür gesorgt, dass jeder seine Sichtweise unmittelbar und mit hoher Reichweite äußern kann. Das hat man zuletzt auch in dem Fall von Harvey Weinstein gesehen, der zu dem Hashtag #metoo geführt hat. Jetzt fragen manche Leute: "Hey, wo ist Rock gegen Trump? Wo sind all die Dinge, die wir in der Bush-Ära gesehen haben?" Ich versuche, sie daran zu erinnern, dass der Kram fast drei Jahre gebraucht hat, von Bushs Wahl zum Präsidenten bis zum Irak-Krieg 2003. Ich denke auch nicht, dass wir alles, was in diesem Jahr passiert ist, als Niederlage werten dürfen. Donald Trump, der Brexit und die Wahlen in Frankreich und Deutschland sind ein Nebenprodukt des erstarkten Faschismus. Jetzt, wo wir ihnen erlaubt haben, ihre Gesichter zu zeigen, können wir ihre Reihen durchzählen. Und so viele sind es nicht, sie liegen stark in der Unterzahl. Wir müssen uns nur besser organisieren. Ich denke, dass Kunst und Musik gute Wege sind, Menschen und Gemeinschaften zusammenzubringen, sonst hätte ich das nicht 25 Jahre lang gemacht.

Lassen wir die ernsten Themen mal kurz hinter uns und reden über Musik. "American Fall" ist euer zehntes Studioalbum. Wie geht ihr an neues Material heran und wie haltet ihr euch frisch?

Manche Dinge, die eine Anti-Flag-Platte 2017 ausmachen, sind schon wesentlich anders als auf den ersten Alben - manche wiederum nicht. Der größte Unterschied ist wohl, dass unsere Egos viel kleiner geworden sind. Wir vertrauen uns gegenseitig sehr. Wenn jemand einen Part besser spielen oder singen kann, lassen wir ihn das einfach machen. Wir brauchen auch nicht sechs Monate, um ein Album fertigzustellen. "American Fall" haben wir in drei Wochen aufgenommen, denn wenn du 200 Shows im Jahr spielst, weißt du irgendwann, wie diese drei Akkorde funktionieren. (lacht) Was das Schreiben von neuem Material angeht, gibt es da gar keine großen Unterschiede. Wir proben in einer Garage, die genauso beschissen ist wie die erste. So schreiben wir einfach. (lacht) Als wir bei einem Major-Label unter Vertrag waren, konnten wir aber einen Haufen Kohle von denen einsacken und uns davon unser eigenes Studio bauen. Nun haben wir das Werkzeug, um den ganzen Kram auch aufzunehmen. Das war alles Teil unseres großen Rock'n'Roll-Schwindels mit dem Major-Label 2006. (lacht) Jetzt nehmen wir nicht mehr auf Kassettendecks auf, sondern haben unser eigenes Pro-Tool-Setup für die Demos. Das Album haben wir dann in Los Angeles in den Büros unseres Managements in Los Angeles eingespielt. Mittlerweile werden wir von Benji und Joel von Good Charlotte gemanagt. Traditionsgemäß hatten wir bisher Manager, die wir gehasst haben. (lacht) Wenn du 15 Jahre lang eine Do-It-Yourself-Band bist und auf einmal einen Manager brauchst, ist das schon hart. Niemand kümmert sich so sehr um die Band wie man selbst und das führt irgendwann zu Enttäuschungen. Jetzt werden wir von Leuten betreut, die auch in Bands gespielt haben und du denkst dir: "Verdammt, es ist so verrückt, mit Menschen zu arbeiten, die das alles schon gemacht haben und nicht auf der anderen Seite stehen."

Wann dürfen wir also mit dem Party-Album rechnen?

(Lacht) Ich hoffe, dass wir wenigstens eine Party-EP machen können, wenn sie Donald Trump und seinen Anhang wegen Amtsvergehen anklagen. Danach gibt es eine "Zurück-an-die-Arbeit"-LP für denjenigen, der dann an der Macht sitzt.

Danke für das Gespräch und gute Besserung!

Ich danke dir!

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Anti-Flag

Pat Thetic und Justin Sane sind Freunde seit früher Jugend. Der Drummer und der Sänger und Gitarrist von Anti-Flag erlernen bereits ab 1988 in Glenshaw …

Noch keine Kommentare