25. Mai 2016

"Wir sind die Generation, die sich wehrt"

Interview geführt von

Mit ihrem neuen Album "All Our Gods Have Abandonded Us" lassen die Architects ihrem Frust über den Weltzustand ein weiteres Mal freien Lauf.

Spätestens seit ihrem vor zwei Jahren veröffentlichten Genre-Meilenstein "Lost Forever // Lost Together" zählen die Architects aus Brighton zu den Speerspitzen der Metalcore-Szene. Mit "All Our Gods Have Abandonded Us" geht die Band in die nächste Runde. Wir trafen uns in Berlin mit Sänger Sam Carter und sprachen über düstere Zeiten, mutige Frontmänner und blühende Bäume.

Sam, auf eurem letzten Album habt ihr euch für Whistleblower wie Bradley Manning und Edward Snowden stark gemacht. Des Weiteren habt ihr die Atomkatastrophe von Fukushima thematisiert und die unermüdliche Arbeit von Sea Shepherd geadelt. Der Titel des neuen Albums hat nun fast schon etwas Resignierendes. Kamen eure Weckrufe zu spät?

Sam Carter: Wir sind nur eine Band, die Musik macht und über Dinge schreibt, die offensichtlich verkehrt laufen. Ich würde mich nie auf einen Sockel stellen und erwarten, dass sich aufgrund meiner Texte alles von heute auf morgen zum Besseren wendet. Ich bin nur ein ganz kleines Rädchen innerhalb eines großen Ganzen, das sich mit Händen und Füßen gegen globale Ignoranz wehrt.

Uns ist bewusst, dass wir die großen Entscheidungsträger mit unserem Schaffen nie erreichen werden. Dafür sind wir wahrscheinlich auch viel zu laut. (lacht) Aber wir erreichen unsere Fans. Und die werden immer mehr. Die Hallen werden jedes Jahr größer. Es kommen immer mehr Leute zu unseren Shows. Und um genau diese Leute geht es uns. Mit diesen Menschen wollen wir in Kontakt treten. Und dahingehend bin ich mit der Entwicklung schon sehr zufrieden.

Ihr bekommt demnach viel Feedback?

Sehr viel. Die Leute kommen auf uns zu und reden mit uns wie mit ihren engsten Freunden. Natürlich wird dabei auch viel über die Musik geredet. Aber unsere Texte und unsere Ansichten spielen in den Gesprächen eine mindestens ebenso große Rolle.

Also ist doch noch nicht alles verloren?

Natürlich nicht. Mag sein, dass die Götter uns schon aufgegeben haben. Aber wir, die Generation, die sich wehrt, wir haben uns noch lange nicht aufgegeben.

Ihr nehmt euch das Böse auf dieser Welt ja nun schon seit über zehn Jahren zur Brust. Welche Veränderungen zum Positiven habt ihr seitdem verzeichnen können?

Es hat sich schon viel entwickelt. Ich meine, jedes einzelne Gespräch ist wichtig. Wenn jemand nach einem Konzert zu uns kommt und uns berichtet, dass er uns vorher noch nicht gekannt hat und nun mit einem Sea Shepherd-Shirt nach Hause geht, dann haben wir alles richtig gemacht. Und solche Situation erleben wir sehr oft. Und es werden immer mehr. Die Leute sind unheimlich offen und neugierig. Sie wollen genau wissen, was uns bewegt. Sie wollen wissen, was ich anderthalb Stunden lang ins Mikrofon brülle, warum wir so zornig wirken und was das alles mit ihnen selbst zu tun haben könnte.

Die Veränderungen finden direkt vor Ort statt. Ich will nicht behaupten, dass wir jeden unserer Konzertbesucher erreichen. Ich glaube auch nicht, dass jeder, der eine Platte von uns bei sich daheim im Schrank zu stehen hat, Veganer ist. Darum geht es uns gar nicht. Wir wollen lediglich ein Bewusstsein schaffen. Die Leute sollen sich mit den Dingen auseinandersetzen, und sie nicht einfach verdrängen.

"Wenn ich für etwas einstehe, dann muss ich auch aktiv werden"

Ist Verdrängung der größte Feind der Gesellschaft?

Ich denke schon. Das Chaos ist ja allgegenwärtig. Jeder weiß, dass Millionen Menschen hungern, dass es überall auf der Welt Kriege gibt, dass die Tierwelt mit Füßen getreten wird und dass die Gier nach Macht und Einfluss ins Verderben führt. Die meisten Menschen machen aber einfach einen Deckel drauf. Sie gucken weg, schließen die Türen und tun so, als würde sie das alles nichts angehen. Das ist auch das thematische Fundament auf dem unser neues Album gebettet ist.

Ein Fundament, das geradezu nach einem musikalisch düsteren Mauerwerk schreit.

Auf jeden Fall. Ich denke, dass wir die bis dato härteste und dunkelste Scheibe aufgenommen haben.

Das sehe ich auch so. Man könnte fast von einem musikalischen Urknall sprechen. Hätte aber auch gar nicht anders funktioniert, oder?

Nein, ich glaube nicht. Uns war von Anfang an bewusst, dass das Album in puncto Härte und Aggressivität noch eine Schippe drauflegen wird. Da waren wir auch alle total klar. Man erreicht die Leute auch eher, wenn man alle Regeln über Bord wirft. Glücklicherweise sind wir mittlerweile Experten, wenn es darum geht, Regeln zu brechen. (lacht)

Auch außerhalb der Band seid ihr bekannt dafür gegen den Strom zu schwimmen. Ihr habt schon Botschaften besetzt und Strandsäuberungsaktionen in die Wege geleitet. Ihr engagiert euch auch aktiv für Umweltorganisationen. Ein Leben für die Rettung des Planeten?

Jeder Mensch setzt seine Prioritäten. Ich kann da nur für mich und für die Band sprechen. Ich liebe unseren Planeten. Ich bin auch in der glücklichen Lage, schon unheimlich viel von der Erde gesehen zu haben. Und ich kann dir sagen, dass es unfassbar viele Orte und Gegenden gibt, die so bezaubernd und schön sind, dass man es gar nicht in Worte fassen kann. Ich will aber auch noch in zehn oder zwanzig Jahren die Möglichkeit haben diese Orte zu besuchen. Und dafür kämpfe ich. Dafür kämpfen wir als Band.

Ihr redet nicht nur über Probleme. Ihr seid mittendrin, geht dahin, wo es wehtut und engagiert euch mit Leib und Seele. Woher kommt dieser Aktivismus?

Das steckt in uns drin. Ich weiß nicht, wie ich das erklären soll. Ich könnte nicht in einem Sea Shepherd-Shirt rumlaufen und dann nur zusehen, wenn irgendwo Wale abgeschlachtet werden. Ich muss dann dahin und mich darüber auskotzen. Wenn ich für etwas einstehe, dann muss ich auch aktiv werden. So ticke ich einfach. So ticken wir alle in der Band. Weißt du, es ist so, als würde man als Fan eines Vereins nur daheim vor der Glotze sitzen. Das ist für mich kein richtiger Fan. Die richtigen Fans stehen im Stadion und jubeln ihren Helden zu.

"Da muss man schon einen Arsch in der Hose haben"

Würdest du dir wünschen, dass noch mehr Künstler und Bands diesen Weg einschlagen? Oder bist du zufrieden mit der aktuellen Präsenz von Mut, Ehrlichkeit und Offenheit im Musikbusiness?

Es geht immer mehr, keine Frage. Aber es gibt auch viele Bands und Künstler zu denen ich diesbezüglich aufblicke.

Wer?

Nun, Rou Reynolds von Enter Shikari beispielsweise. Ich meine, der spielt in London vor 10.000 Leuten. Da muss man schon einen Arsch in der Hose haben, wenn man sich vor so vielen Leuten auf die Bühne stellt und seine Meinung über unbequeme Dinge kundtut. Das sind Menschen, die ich zutiefst respektiere, und vor denen ich meinen Hut ziehe. So eine Situation kann ja auch nach hinten losgehen. Die Leute könnten dich auch von der Bühne buhen, dich mit Sachen beschmeißen und auf ihr Recht pochen, durchgehend musikalisch unterhalten zu werden. Rou geht dieses Risiko aber Abend für Abend ein. Und diesen Weg gehe ich auch.

Spaß und Ernst im Doppelpack?

Genau. Natürlich sollen die Kids ihren Spaß haben, die Musik abfeiern und sich austoben. Das machen wir auf der Bühne ja auch. Aber wir wollen auch, dass sie etwas mitnehmen. Wir wollen zum Nachdenken anregen.

Terror, Kriege, Flüchtlingsdramen: Überall brennt es lichterloh. Was macht dir dieser Tage noch Hoffnung?

Der Mensch an sich. Ich denke, dass kein Mensch wirklich will, dass ihm weh getan wird. Jeder erfreut sich lieber an einem Baum, der Blätter und Früchte trägt, als an einem, der kahl und leblos irgendwo im Dunkeln steht. Davon bin ich überzeugt. Man muss sich dessen nur bewusst werden.

Keine leichte Aufgabe.

Absolut nicht. Aber deswegen verstecke ich mich nicht und warte im stillen Kämmerlein auf ein Machtwort von oben. Man muss mit anpacken, will man etwas verändern.

Was würdest du denn am liebsten als Erstes aus der Welt schaffen, wenn du die Möglichkeit dazu hättest?

Die Gier nach Macht, Geld und Einfluss, die sich wie ein Geschwür über das Positive im Menschen legt. Der Mensch neigt leider dazu, immer mehr zu wollen. Das wäre ein Anfang.

Dranbleiben.

Auf jeden Fall.

Hab Dank für das Gespräch.

Sehr gerne.

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3 Kommentare

  • Vor 7 Jahren

    Fukushima? "Colony Collapse" ist ein Song, der von Tschernobyl handelt ;)

  • Vor 7 Jahren

    eieiei...nur weil die jahreszahl 1986 im song vorkommt bedeutet das nicht gleich, dass sich der song nur um tschernobyl dreht. hier geht's um fukushima! o-ton zum songinhalt von tom searle: "“Two reactors have gone down, there’s one remaining, if that goes then it’ll be complete disaster for Japan. It’s a tragedy that doesn’t seem to have made it anywhere near the media.” weitermachen...;-)

  • Vor 7 Jahren

    Bill Tscherno oder auch Tscherno, Bill, ist der ehemalige Frontmann von Fukushima Motel, einer Weeaboo-Punkband aus Bayrilium. Bitte nicht verwechseln.