15. Oktober 2007

In den Bus gekotzt

Interview geführt von

Zum bereits zweiten Mal treffen Paul J. Greco und Jasmin Lütz ihre Lieblingsband aus London: Art Brut rocken mal wieder Köln, und neben alten Hits gibt es jede Menge neue Smasher zu hören. "It's A Bit Complicated" heißt das zweite Album, doch kompliziert ist die Band um Sänger Eddie Argos ganz und gar nicht.Vielmehr leicht verkatert trafen wir den schrulligen Sänger - diesmal ohne Schnauzbart -, und den blonden Gitarristen Jasper zum Interview. Man kennt sich mittlerweile, drum wird auch schnell aus dem zwischenmenschlichen Nähkästchen geplaudert.

E: Hello again! Ich erinnere mich an euch. Wir haben uns schon mal getroffen.

Ja, das ist schon über zwei Jahre her.

E: Ich bin ziemlich verkatert.

Das macht nichts, wir auch. Ihr tourt gerne durch Deutschland, oder?

E: Ja.
Jasper: Wir haben sehr viel getrunken letzte Nacht. Ich fühle mich ziemlich sonderbar.
E: Ich war kurz davor mich zu übergeben.
J: Was, jetzt gerade?
E: Nein nein, letzte Nacht...
J: Ehrlich?
E: Nein... fast. Wenn du irgendwo Erbrochenes findest, das ist nicht von mir. Definitiv nicht von mir.

Auf der Bühne?

E: Nein, im Bus (lacht)

Aber dafür gibt es doch Toiletten?

J: Auf unserer letzten Tour musste ich mich im Bus übergeben. Das ist nicht angenehm.

Vor allem während der Fahrt...

J: Nein! Oh Gott! Ich glaube ich wurde ohnmächtig. Es war schrecklich.

Also gibt es heute Nacht keine große Aftershow?

E: Im Moment denke ich, dass ich niemals wieder trinken werde, aber die Zeit wird kommen.

J: Ich bin immer ehrlich zu mir. Ich weiß ganz genau, dass ich in zehn Stunden wieder auf dem Boden liegen werde. Und es wird ganz toll. Es gibt ganz bestimmt eine Aftershow Party heute (lacht) [Tatsächlich tauchten die Jungs ca. acht Stunden später in einer lokalen Lieblingskneipe frisch und munter wieder auf. Anm. d. Red. ]

Das Stereo Wonderland wartet schon auf euch. Ihr erinnert euch an die Kneipe?

J: Ich erinnere mich! Ich habe auf der Bar getanzt. Das war sehr lustig. (alle lachen) Alles endete mit einem Streit mit Mike und ich hab ihm ein Glas ins Gesicht geworfen. Ich bin dann rausgegangen und hatte total vergessen, worüber wir uns eigentlich gestritten haben. Dann bin ich wieder rein und alles fing von vorne an. Das war großartig!

Das war letztes Jahr im Januar, richtig?

J: Ich war schon des Öfteren im Stereo Wonderland. Letztes Jahr auch.
E: Wir haben mit den Yeah Yeah Yeahs auf diesem Festival gespielt (Monsters Of Spex, Anm. d. Red.) Danach sind wir dort gelandet.

Also mögt ihr Köln?

E: Es ist hervoragend hier!
J: Ja, es ist schön hier.

Mögt ihr Deutschland? Denn Deutschland mag euch!

J: Zum Glück (lacht)
E: Das ist ganz toll. Es ist schön wieder hier zu sein (lacht) Es ist ganz lustig, weil wir in den Clubs spielen, in denen wir schon auf unserer ersten Tour waren. Überall, wo wir hinkommen, erinnern wir uns: Ah ja, das ist der Ort, wo ich schon mal abgestürzt bin. (alle lachen)

Habt ihr irgendwo auch ein Graffiti hinterlassen?

Beide: Wahrscheinlich hat's Ian getan.

Ihr sprecht ein bisschen Deutsch?

E: Das erste Mal, als ich hier war, konnte ich nur sagen: "Punkrock ist nicht tot!" Das war alles. Und jetzt noch "Danke!", "Alles klar?", "Dankeschön", "klasse", "superklasse"... (alle lachen)

Woher kennst du den Satz: "Punkrock ist nicht tot!"?

E: Das ist ein Song von Billy Childish. Kennst du Thee Headcoats? Die haben einen Song, der so heißt.

Im Stück "St. Pauli" singst du mit dem gleichen Akzent wie Billy Childish. Vor allem das Wort "tot" klingt bei euch sehr ähnlich...

E: (spricht mit einem Kent-Akzent) "Punkrock ist nicht tod!"

Dann war das also die Single, mit der du Deutsch gelernt hast?

E: Yeah! Siehst du, so kommt alles wieder zusammen.

Billy spielt immer noch regelmäßig im Dirty Water Club in London?

E: Zweimal im Monat.
J: Und er bringt immer noch seine eigene PA mit.
E: Seine Original 60's-PA. Das ist großartig!

"Ich mag die Idee von St. Pauli"

Wo es schon den Song gibt: Bist du eigentlich St.Pauli-Fan?

E: Ich mag die Idee von St.Pauli. (lacht) Als ich in Hamburg war, fühlte ich mich ein wenig einsam. Dann sah ich Leute in ihren St. Pauli-T-Shirts und dachte mir: 'Es sieht großartig aus. Ich will zu dieser Gang gehören!'

Die Mannschaft ist jetzt sogar wieder in der 2. Bundesliga. Wenn ihr noch mal in Hamburg seid, müsst ihr euch das ansehen.

E: Die Leute dort haben uns St. Pauli-Equipment geschenkt. Ich besitze jetzt einen Schal. Wir haben auf ihren St. Pauli-Trikots unterschrieben.
J: Ich würde sie gerne sponsern, so wie die Super Furry Animals Cardiff City unterstützen. Sollten wir jemals zu Geld kommen, werde ich es in den Verein St. Pauli investieren.

Okay, kommen wir nun zum Album...

E: "It's A Bit Complicated" heißt es, weil es ein wenig kompliziert war.

Was genau war kompliziert?

E: Wir hatten bis dahin niemals zusammen Songs geschrieben. Sie passierten einfach so. Diesmal mussten wir uns zusammensetzen und Stücke schreiben, das war eben etwas kompliziert. Aber nicht allzu sehr.
J: Wir haben es ja geschafft.
E: Ich denke, die Thematik und die Musik ist etwas komplizierter. Der Titel ist somit sehr ehrlich.

Ich finde es rockiger und kompakter als das Debüt "Bang Bang Rock'n'Roll".

E: Es ist halt mehr geschrieben worden (lacht laut)

Und es gibt viel mehr Gitarren.

J: Ja, das liegt an mir und Ians großartigen Riffs.

"Late Sunday Evening" enthält sogar Bläser.

J: Das ist auf jeden Fall mein Lieblingspart.
E: Das mit den Bläsern war sehr lustig. Als wir sie auf dem Album hatten, waren wir so stolz darauf, als hätten wir selber die Hörner gespielt.
J: Erst dachte ich, das mit den Bläsern wird noch ganz schrecklich enden. Aber als ich dann das Ergebnis hörte, war ich begeistert.

Seid ihr mit der Bezeichnung "Hymnischer Disko-Rock-Crossover" für eure Single "Direct Hit!" einverstanden?

J: Ja, da ist von allem was dabei.

Ihr habt für das Album erneut mit Dan Swift zusammengearbeitet?

E: Er war brilliant. Er hat schon eine Menge Bands produziert, die wir gerne mögen. Etwa Help She Can't Swim und die "Robot"-Version von The Futureheads. Nicht die Hepworth-Version, sondern die, die vor dem Album erschien.
J: Und er ist auch noch sehr nett.
E: Ja, er ist sehr lustig.
J: Und jetzt auch unser Freund.
E: Wir haben das Album in drei Monaten fertig gestellt. Das ist ziemlich schnell.

In welchem Studio?

E: Es heißt "Terminal".
J: Dans Studio. Klein, aber sehr schön.
E: Es war großartig. Ian hat dort gewohnt, und jedesmal gab es mehr Gitarren und mehr Background-Gesang! Er war die ganzen Nächte dort, jeden Tag kam ein bisschen mehr zum Song.

"Gute Mixtapes brauchen jahrelange Übung!"

Eine Menge eurer Lieder sprechen nostalgisch über die Mixtapes.

E: Mixtapes sind einfach besser, oder? Bei iTunes wählst du nur die Songs aus und das war's. Das ist schrecklich!
J: Für mich ist das Zusammenstellen einer Musikkassette Kunst. Du brauchst Jahre dafür. Man merkt hinterher richtig, da bemüht sich jemand. Wenn dir jemand eine iTunes-Compilation schenkt, denkst du dir: "Oh, wow. Da hat er mal gerade zehn Minuten für gebraucht. Vielen Dank!"
E: Wenn du eine Mixkassette geschenkt bekommst, dann weißt du, dass die Zusammenstellung der Songs etwas bedeutet. Das macht es so schön.
J: Man muss sich hinsetzen und alles muss passen, hier kommt der langsame Song, da wird es wieder etwas schneller...

Ja, Mixtapes können sehr romantisch sein. Das bringt mich zu einem Songzitat: "People in Love lie around and get fat. I didn't want us to end up like that." Wie lange war eure längste Beziehung?

J: Die längste? Ohhhhhh (schaut zu Eddie). Zwei Jahre? Zweieinhalb?
E: Sowas in der Richtung, ja.
J: Ich weiß nicht, warum ich dabei dich angucke?
E: (schaut zu uns) Ich habe mit Jasper zusammen gewohnt...
J: Oh nein, meinst du, es ist jetzt vorbei?

Er schickt dir dann die Mixtapes per Post zu (alle lachen).
Eddie, hast du Angst vor Verpflichtungen?

E: Nicht wirklich. Ich habe mir nur gedacht, dass es keine ehrlichen Songs über gescheiterte Beziehungen gibt, in denen es heißt: "Ich besauf mich jetzt ein wenig und dann bin ich wieder okay." Ich mag es, Beziehungen oder auch Freundschaften zu brechen. Ich mag es im Kummer zu schwelgen. Ich möchte mit einer Zigarette und Rotwein am Strand sein und dann einen Freund schlagen. Ich bin in solchen Situationen verrückt und verärgert. Ich genieße das.

Sprichst du von dem Gefühl, was du auch in Hamburg auf St. Pauli hattest?

E: Genau.
J: Er hat ziemlich oft solche Tage. Es würde mehr Sinn machen, die Tage zu zählen, wenn er nicht in dieser Stimmung ist. (alle lachen)
E: Na ja, als ich mich mal von jemanden trennte, wollte ich einen adäquaten Song dazu hören und habe keinen gefunden. Also schrieb ich ihn selbst.

Was deine weiblichen Fans mit Sicherheit nicht hören wollen ist, dass du gerade mit jemanden ausgehst.

E: Ja, aber ich treffe nun mal jemanden.
J: Ich brauche auch eine Anstandsdame!
E: Vielleicht würde Barnaby Fudge den Job übernehmen?!
J: Ein Typ mit einer guten Band, die solltet ihr mal hören.

Kann man sich von denen Songs im Internet anhören?

J: Nee, die machen sich nichts aus Aufnahmen. Sie spielen nur live.
E: Sie tragen große Fragezeichen auf ihren Gesichtern, so weißt du nicht, wer wer ist.

Und sie sind zu dritt? Wie heißt die Band?

E: Kann ich nicht sagen. Was heißt "???" auf deutsch?

Drei Fragezeichen!

E: Das ist es! Das ist Barnaby Fudges Band!
J: Yeah, Barnaby Fudge, Charles Dickhead und Oliver Fist.

Klingt super.

E: Sie spielen immer exakt eine halbe Stunde und machen sehr viel Lärm. Ihr Hit heißt "Heavy As Fuck!"
J: Das ist der einzige Song, den sie haben. Sie haben drei Mikrophone auf der Bühne. Zwei sind sehr sehr leise und das andere extrem laut eingestellt. Also, es beginnt sehr leise und du denkst, oh, da ist was mit der PA nicht in Ordnung und dann plötzlich ein ohrenbetäubender Schrei: "HEAVY AS FUCK!" (schreit)

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