laut.de-Kritik
Dieser Black Metal gibt der Stadt ihren Horror zurück.
Review von Yannik GölzMetal oder insbesondere Black Metal mit der Gattung des Horrors zu vergleichen, ist nicht hundertprozentig akkurat, aber oft nützlich. Beide Genres wollen mit teils derben Mitteln an die Untiefen der menschlichen Erfahrung reichen. Und dabei halten es gerade die Wald-und-Wiesen-Vertreter von beidem gerne mit den Konventionen: Geister, Hexen, Teufel, oder eben Lovecraft, Kafka, Poe. Vor ein paar Jahren hat der Film "Get Out" aber eine Trendwende gesetzt: Wieso immer nach den Zombies und den Ghoulen greifen, wenn wir den wahren Horror vor der Haustür haben? Ashenspire deuten mit ihrem progressiven Brutalismus-Opus "Hostile Architecture" die selbe Bewegung für den Metal an. Statt aus der Fantasie zehren sie hier aus der sozialen wie menschlichen Kälte der modernen Stadt an sich.
"Hostile Architecture" bezieht seine Inspiration also aus der angsteinflößendsten Buchgattung: Aus der Theorie. In "Capitalist Realism" sprach Kulturwissenschaftler und Urbanist Mark Fisher darüber, wie der Versuch, bezahlbaren Wohnraum in Großstädten zu schaffen, in einem funktionalen Brutalismus gemündet hat, der die Armen zusammenpfercht und die Ärmsten ihrem Schicksal ausgeliefert hat. Man denke nicht nur an marode Plattenbauten, man denke an Städte, die Spikes an öffentlichen Plätzen errichten, um Obdachlose zu vertreiben. Gerade wer in der Großstadt lebt, geht vermutlich tagtäglich an diesen Architektur-gewordenen Zeugnissen der Menschenverachtung vorbei.
Ashenspire gibt der Stadt ihre Schroffheit, ihre Befremdung und ihren Horrer zurück, an den wir uns zu sehr gewohnt haben. Die Farbpalette: Sichtbeton-Grau. Die Protagonisten: Wechselhaft. Die Tracklist zieht vom phänomenal verschickten Opener "The Law Of Asbestos" kaleidoskopisch durch eine Kafkaeske Trichterstadt. Ein manisch sprechender Mann macht die Vocals, man fühlt sich ein bisschen an den besten Weltuntergangs-Prediger-Ton von Gojira erinnert, er steht zwischen den Betonschluchten und Songs wie "Beton Brut" oder "Tragic Heroin" zeigen seinen Gedankengang. Er beobachtet, wie der Asbest in die Gosse gluckert.
Aber er denkt auch über all die systemischen Probleme nach, an denen der normalsterbliche Mensch eh kaum einen Finger am Regler hat. Zum Beispiel darüber, dass er misogyn geboren ist, dass er Werte aufgesogen hat aus dem Morast dieser Stadt, die er zwar ablegen oder hinterfragen kann, aber großflächig doch nicht verändern. "Always keep a straight face", brüllt er sich selbst an, für einen kurzen Moment klebt Bigotterie an ihm wie Erbsünde. Es fühlt sich überraschend wenig belehrend an.
Normalerweise würde man Schreibenden empfehlen, solche Themen nicht so direkt und akademisch zu formulieren, nicht das Wort "Misogynie" direkt in den Mund nehmen, aber hier funktioniert es. In seinem Strudel an hilfloser Desorientierung kommen ihm die akademischen Begriffe wieder und wieder über die Lippen, als wären diese Gedankengebäude selbst feindliche Architektur, die er bevölkern, aber nicht wirklich durchdringen kann. Was heißt es, diese Wörter sagen gelernt zu haben, es gut zu meinen, aber doch schließlich machtlos vor ihnen zu stehen.
"Hostile Architecture" macht nämlich trotz des sehr akademischen Hintergrundes einen spektakulären Job in Sachen Fokalisierung. Wie bei vielen großartigen Black Metal-Alben klingt der Vocalist nicht wie Zeremonienmeister oder Bandleader, sondern wie der arme Protagonist in einem Schauermärchen, der durch den Irrsinn des Albums getrieben wird. Das verstand man in den Eisfestungen von Darkthrone oder in den untiefen Wäldern von Paysage d'Hiver. Auch die Instrumentierung trägt zu dieser kreiselnden Klaustrophobie bei. Auf Songs wie "Apathy As Arsenic Lethargy As Lead" setzen die Klampfen perkussiv und dissonant ein, stattdessen kreischen Saxophone und Streicher ein. Nicht, um zu harmonisieren, sondern um den Klangteppich noch weiter zu destabilisieren.
Schließlich gibt es dazu noch zwei Momente, in denen das Muster sich aufbricht um kleine Leerstellen des Geschichtenerzählens hinzuzufügen: "How The Mighty Have Vision" gibt eine kurze Atempause, denn wir befinden uns in den Penthäusern. Über der Stadt. Ein Chor deutet Kaballa-Ästhetik an, frische Luft gibt es nur im Wärterhaus des Foucault'schen Panoptikums. Eine Stimmung, die "Palimpset" wieder aufgreift, ein melodischerer und musikalisch schönerer Atem-Moment, der auf das kleine bisschen Verewigung von Generationen an Vergessenen armen Menschen verweist, die noch durch die Stadt spukt, die so gern ein Ort ohne Zeit wäre.
Sie erheben sich auf dem aufpeitschenden Closer "Cable Street Again" zu einem Aufstand, der panisch und unkoordiniert durch die Straßen peitscht. Protagonistenlos sehen wir dem Treiben zu. Wie es ausgeht? Womöglich so, wie 1936 der tatsächliche Kampf auf der Cable Street in London ausging, als Antifaschisten, Gewerkschaftler, Sozialisten und Jüdinnen und Juden sich eine blutige Auseinandersetzung mit der Polizei der Stadt lieferten. Die Gebäude wollen statisch aussehen, aber die Zeit bewegt sich doch immer im Kreis. Und was könnte schon gruseliger sein, als nicht ganz einordnen zu können, ob man gerade Horrorfilm oder Dokumentation gesehen hat?
3 Kommentare
Absolutes Brett, lyrisch wie musikalisch.
ziemlicher Hammer, eins der besten Metalalben dieses Jahr, vielleicht sogar das beste.
Seit dem sehr interessanten und witzigen Artikel zu Naidoos Schwurbler-Epos schaue ich mir regelmäßig die Gölz'schen Rezensionen an - Oft allerdings mit voyeuristischem Hintergrund wegen des regelmäßigen Bashings in den Kommentaren.
Diese Rezension ist allerdings die erste von Herrn Gölz, bei der die Band mich tatsächlich musikalisch interessiert. Danke für den Tipp!