laut.de-Kritik

Zumindest für den ESC-Vorentscheid sollte das locker reichen.

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Mit symphonischem Power Metal kann man jede Menge falsch machen, Avantasia bleiben ihrer Linie jedoch treu und machen auf "Ghostlights" zum Glück verdammt viel richtig. Zwar schippert Tobi Sammet mit seinem Opernprojekt gerne mal an den Küsten des Kitsch entlang. Doch Melodienreichtum im Überfluss und durchweg gut strukturierte Songs wiegen das leicht auf.

Die Essenz von "Ghostlights" dokumentiert gleich der Opener "Mystery Of A Blood Red Rose", mit dem die Band ja demnächst auch beim ESC-Vorentscheid an den Start geht. Keyboard und Gitarre ergänzen sich zu Beginn wunderbar, die Leads perlen aus den Saiten. Dann übernimmt Tobi am Mikro und zieht den Spannungsbogen an Schlagzeug und lauerndem Klavier langsam nach oben.

Im Refrain explodiert "Mystery Of A Blood Red Rose" in einer Hook, die sich als Instant-Ohrwurm in die Gehörgänge bohrt. Ja, die Backgroundchöre sind cheesy – runden das Ganze aber erst so richtig ab. Sollte es tatsächlich mit diesem Track nach Stockholm gehen, wäre die deutsche Musik dort jedenfalls gut vertreten.

Quasi der Gegenentwurf zum zugänglichen Opener folgt direkt im Anschluss. "Let The Storm Descend Upon You" walzt über schlappe zwölf Minuten. Und grast dabei so ziemlich alle Facetten ab, die Avantasia zu bieten haben. Vocals liefern hier neben Sammet auch Jorn Lande (später auch großartig in "Lucifer"), Robert Mason (Warrant) und Ronny Atkins (Pretty Maids). Nach episch treibender ersten Hälfte schalten die Beteiligten einen Gang zurück und entfalten ein beeindruckend breites Melodienfeld. Instrumente wie Stimmen greifen wunderbar ineinander, schließlich gipfelt alles in einem atemberaubenden Schlussakt, den Oliver Hartmann an der Klampfe dominiert.

Nicht weniger bombastisch schreitet "The Haunting" voran. Auf der Gästeliste stehen Dee Snider und Sascha Paeth. Die Atmosphäre erinnert teilweise gar an Krux, fällt aber natürlich im Endeffekt lange nicht so düster aus. Gewisse Doom-Tendenzen lassen sich jedoch nicht leugnen.

Ähnlich schwer das anschließende "Seduction Of Decay": Im Low-Tempo, mit stoischen Drums, Geoff Tate und wiederum Sascha Peath demonstrieren Avantasia, dass sie trotz aller gefälligen Melodien auch verdammt heavy können. Und abwechslungsreich. Gegen Ende (nach einem tollen Paeth-Solo) reicht Sammet nämlich verhaltene Streicher, die im dynamischen Kontrast zum vorherigen Kahlschlag eine wunderbare Figur machen.

Der Übergang zum Galopp des Titelstücks "Ghostlights" ist hernach zwar etwas krass, auch dieser Track funktioniert jedoch ziemlich gut. Wobei man sich hier vielleicht ein wenig zu sehr dem Power Metal-Speed hingibt und so leider etwas Eigenständigkeit auf der Strecke bleibt. Die ist dafür bei "Master Of The Pendulum" wieder gegeben. Einerseits verdammt heavy, andererseits ausgestattet mit ein paar der besten Hooks des Albums. Das ist schnell, das ist spannend, das hat Groove. Nightwishs Marco Hietala fällt außerdem angenehm rau zwischen den anderen Sängern auf und harmoniert hervorragend mit Sammet, der im Refrain aufdreht.

Einen weiteren stimmlichen Höhepunkt verstecken Avantasia in "Isle Of Evermore". Diesmal im Duett mit Tobi: Sharon Del Adel. Das Ergebnis: eine sehnsüchtige Ballade mit Wabersynthies und eindringlichen Vocalmelodien. Einziger Makel: Der Song braucht einfach einen Ausbruch. Doch der fehlt. Das nachfolgende "Babylon Vampires" kommt dafür leider zu harmlos und austauschbar um die Ecke.

Wie das besser funktioniert zeigt "Lucifer". Zu Beginn trägt noch das Klavier den an sich zarten Song. Bis Bruce Kulicks Gitarre einschlägt und den metallischen Kurswechsel vollzieht. Hätte man das anschließende "Unchain The Light" aus der Tracklist verbannt, wäre vermutlich der Übergang von "Lucifer" zur finalen Bombastballade "A Restless Heart And Obsidian Skies" wesentlich stimmiger ausgefallen. Doch auch das zweite Kiske-Stück nach "Ghostlights" überzeugt mit seinen eintönigen Drums nicht zu hundert Prozent. Wo anderswo die Abwechslung regiert, gibt es hier vor allem Vorhersehbarkeit. Und der für sich gute Rausschmeißer "A Restless Heart And Obsidian Skies" wirkt im Nachhinein irgendwie angeklebt - obwohl es eher andersherum sein sollte.

Was soll's: Es mögen ein paar Songs abfallen, insgesamt aber ist Avantasias "Ghostlights" ein gutes Album. Chöre, Orchester, Metalinstrumentarium und die Vielzahl an Sängern ergänzen sich gekonnt, ergeben ein stimmiges Gesamtbild. Sammet did it again – and he did it well. Jetzt bitte Daumen drücken beim ESC.

Trackliste

  1. 1. Mystery Of A Blood Red Rose
  2. 2. Let The Storm Descend Upon You
  3. 3. The Haunting
  4. 4. Seduction Of Decay
  5. 5. Ghostlights
  6. 6. Draconian Love
  7. 7. Master Of The Pendulum
  8. 8. Isle Of Evermore
  9. 9. Babylon Vampyres
  10. 10. Lucifer
  11. 11. Unchain The Light
  12. 12. A Restless Heart And Obsidian Skies

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5 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 8 Jahren

    Wenn eine ernsthafte Band, und ich zähle Avantasia trotz Powermetal, Kitsch und Bombast da immer noch zu, aus welchen Gründen auch immer zum ESC fährt/fahren will, um dort um die Krone einer "Musik" zu streiten, die sich kein ernstzunehmender Künstler in der Öffentlichkeit aufsetzen sollte, dann versetzt mich das in Erstaunen. Gleiches galt -ok, da war der letzte große Wurf musikalisch auch schon was her, und ich werte das mal als völlige Verzweiflungstat- unser Heinz Rudolf K. ! Aber warum der Tobi da jetzt....ich bin ratlos....! Gibt es ernsthaft Power-Metal-Hörer die sich diese gequirlte.... da einen Abend reinziehen???

    • Vor 8 Jahren

      Wollte ich gerade auch schreiben. Bands, die dort antreten, sind nicht mehr ernstzunehmen. Lordi und Rage sind schon unten durch.

    • Vor 8 Jahren

      Ich kenne tatsächlich ein paar Power-Metal-Fans, die sich auch den ESC reinziehen. Alles korrekte Jungs. Grundsätzlich also: Wayne? Man muss es sich ja selbst nicht geben. Verstehe das instinktiv eintretende Gebell da nicht, weil die Zeiten, in denen einen sowas schockt/erstaunt/überrascht/wasauchimmer schon seit einigen Jahren vorbei sind. Zumindest sehe ich das so, aber ich bin halt auch schon erwachsen :P

    • Vor 8 Jahren

      Man muss das wohl eher aus der Perspektive der Band sehen. Die fahren ja nicht dahin um Powermetalfans zu überzeugen. Ob sie gewinnen dürfte ihnen dabei herzlich egal sein, aber eine grössere Bühne (zuschauerzahlenmässig) kannst du einfach nicht kriegen. Ok, ausser Du heisst Richie Hawtin und beschallst ein paar Stunden lang die Eröffnungsfeier der olympischen Spiele. Das ist dann aber auch nicht zu vergleichen, da der allergrösste Teil der Zuschauer das gar nicht wusste, weil es da logischerweise um die Athleten und nicht den Sound ging.
      Wenn jetzt aber nur 1% des Millionen-Publikums des ESC Powermetal für sich entdeckt, und gut findet, und dann hingeht und sich ein Konzertticket oder ne CD kauft, Hallelujah!
      Im Übrigen hasse ich diese Powermetal Poserscheisse.

    • Vor 8 Jahren

      Das Sammet vor allem auch verkaufen will, liegt doch auf der Hand.
      Da braucht man sich nur die Singles anschauen "Lost in space" (extra dafür eine EP rausgebracht!), "Carry me over" (absolut nichtssagend und damals auf dem Album deplatziert) und später "Dying for an angel" mit Zugpferd Klaus Meine...
      Repräsentativ für die Alben war keiner Songs!

    • Vor 8 Jahren

      Heißt das jetzt, dass ich als Schwarzmetaller nich mehr ESC gucken darf?!? *heul*

    • Vor 8 Jahren

      Das Album hat _Powermetaltoleranz vorausgesetzt- durchaus echte Qualität....auch wenn mir die Bühnenshow und diese ganzen "Witze"zwischen den Songs auf den Docht gehen,....aber ESC....sorry das geht gar nicht. Stellt euch mal das drumherum vor...mit wem unterhält man sich da....??-Boah, nee

  • Vor 8 Jahren

    Völlig legitim ein paar Dollar verdienen zu wollen und man stelle sich das mit Meat Loaf als Sänger vor. Album des Jahres Powermetal?

    • Vor 8 Jahren

      Jep, genau meine Gedanken. Meat Loaf aus der Steinman-Ära. Vor allem Myster Of... - die Chöre, das Arrangement. Und singt bei Isle Of... nicht auch Bonnie Tyler? Damit schließen wir den Kreis zu Jim Steinman.

  • Vor 8 Jahren

    Bestes Album seit "The Scarecrow".
    Vor allem überrascht Jorn Lande seit gefühlter Ewigkeit mal wieder mit einem Song und liefert nicht nur seinen üblichen Standard.
    Gästeliste passt, ich würde mich trotzdem nochmal über einen musikalischen Ausreißer (eventuell genrefremd) freuen.

    P.S. Die Kiske-Uptempo-Nummern braucht bei diesem Konzept leider wirklich keiner mehr.

  • Vor 8 Jahren

    Nach dem m.Mng. nach etwas dünnen Mystery Of Time (das durchaus auch seine Momente hat) bin ich mal wieder begeistert. Habe bewusst keine Previews gehört, das Album sozusagen blind gekauft. Beim Opener gleich der Gedanke: Hat das Jim Steinman komponiert? Absolut geil!

    Als erklärter Liebhaber von pathetischem Bombastrock kann ich die Scheibe natürlich nur anbeten.

    Lande und Catley mit an Bord - perfekt.

    Ob diese ESC Aktion nun so geil ist, erschließt sich mir auch nicht. Ist natürlich nicht von der Hand zu weisen, dass dort innerhalb weniger Minuten drei Millionen Musikinteressierte erreicht werden können (wie Herr Sammet auf FB wohl postuliert hat) - ob das nun die Zielgruppe ist die mit der Musik was anzufangen weiss, sei dahingestellt.

  • Vor 8 Jahren

    Ich mag die kiske Nummern! Das was der Typ mit seiner Stimme macht ist wirklich die Königsklasse des Gesangs und muss sich nicht im Ansatz hinter lande und hietala verstecken! Die beiden (liebe und sammet) Sind nun mal im Powermetal zuhause, warum Aso nicht die eigene Leidenschaft ausleben! Alles in allem ein sehr gelungenes Album, deutlich besser als der Vorgänger und mit absolutem suchtpotential!