laut.de-Kritik

Der wahrscheinlich spannendste Popwurf aus Großbritannien.

Review von

Obwohl sich schon David Bowie in den 70ern als Ziggy Stardust inszenierte, scheint die Idee des Alter Egos aktuell wieder very en vogue. Beyoncé macht zwischen Party und Soul halbe halbe, Mariah Carey pusht mit "The Emancipation Of Mimi" ihr Off-Celebrity-Ich … und nun muss man auch bei Bat For Lashes die dissoziative Persönlichkeitsstörung attestieren.

Statt müder Marketingfinte ist das Zwei-Wesen-Konzept von "Two Suns" allerdings vor allem Ehrerbietung an die Artschool-Vergangenheit von Mastermind Natasha Khan. Und an die jüngeren Sagen eines David Lynch. Der hier angeführte Dualismus aus blonder Femme Fatale und spirituellem wilden Ich verweist nämlich deutlich auf "Mulholland Drive".

Zwingend rezeptionsrelevant ist das zum Glück nicht – die Zaubertricks, die der zweite Bat For Lashes-Langspieler vollführt, sind ohnehin nicht völlig zu dechiffrieren. Gut möglich sogar, dass die Britin halbpakistanischer Abstammung wie schon 2007 mit "Fur And Gold" nichts weniger als das Popmärchen des Jahres erzählt.

In London, New York und dem kalifornischen Joshua Tree Nationalpark fand sie im vergangenen Jahr Inspiration. Dieser Antagonismus aus Stadt und Wüste äußert sich, im Gegensatz zur angeführten Persönlichkeitsspaltung, auch musikalisch.

Mehrfach fühlt man sich an Sierra Casadys Ausflug mit den Metallic Falcons erinnert, wenn in "Travelling Woman", "Sleep Alone" und "Peace Of Mind" rostige Saiten am Lagerfeuer, Maracas und gar Gospel-Chöre Kontrapunkte zum bekannten Mystic Pop setzen. Der fußt nicht mehr länger auf virtuosem Cembalospiel, sondern nutzt verstärkt das ganze Klangspektrum.

Für Drumarbeit und Beat-Programmierung etwa zeichnen die Experimentalisten Yeasayer verantwortlich. Die Brooklyner liefern das wandlungsfähige Fundament, auf dem sich eine Fülle aus atmosphärischen Soundbits ausbreitet: Piano, Synths, Vintage-Orgel, Mandoline, Streicher. Trotz einer noch gestiegenen Ereignishaftigkeit (siehe den Drumgalopp in "Siren Song") gerät Khans Podiumsplatz aber zu keinem Zeitpunkt in Gefahr.

Zwischen Kate Bush und Björk angelegt, hat ihr Organ einen ungeheuren Reifegrad erreicht. Der Bat For Lashes-Kopf wechselt mit Leichtigkeit zwischen Arie und Native-American-Gesängen, lässt der 80s-Synth-Ballade "Daniel" eine samtige Liebe entspringen und setzt den spooky Hexensabbath "Two Planets" glaubwürdig in Szene. Hier hat offensichtlich jemand den Unterschied zwischen intensiv und forciert verstanden.

Ein Duett mit Scott Walker beschließt das Album ganz im Stil des Club Silencio in besagtem "Mulholland Drive": unheimlich und sehnsüchtig, unmittelbar ergreifend und undurchdringlich zugleich. Khans Zweitwerk ist reich an künstlerischer Kraft und ziemlich wahrscheinlich der zurzeit spannendste Popwurf aus Großbritannien ... ach was: Platte des Jahres!

Trackliste

  1. 1. Glass
  2. 2. Sleep Alone
  3. 3. Moon And Moon
  4. 4. Daniel
  5. 5. Peace Of Mind
  6. 6. Siren Song
  7. 7. Pearl's Dream
  8. 8. Good Love
  9. 9. Two Planets
  10. 10. Travelling Woman
  11. 11. The Big Sleep

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